Wo ist der Geist, der stets verneint?

Das heutige Bild des Soldaten wird im Film kaum noch kommentiert

Im Widerstreit zu Erich Maria Remarques schonungsloser Betrachtung des Soldaten im ersten Weltkrieg in seinem Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ formulierte einst der eiserne Kriegsverklärer Ernst Jünger: „Dem Sinn zu geben, was eine auf niederer Stufe stehende Anschauung als Widersinn und Äußerung menschlicher Unvollkommenheit betrachten mag, ist eine heilige Pflicht gegenüber Gefallenen und den Werdenden.“ Und ein strammer und vaterlandstreuer Lehrer beklagte 1931 in der „Pädagogischen Warte“ die Perspektivlosigkeit der Remarque-Figuren: „Die Probleme sind nirgends positiv gelöst. Es ist der Geist, der stets verneint.“

Remarque bekam damals jede Menge Ärger, weil er den Krieg als schmutzig und die Persönlichkeit der Soldaten zerstörend schilderte. Vor diesem Hintergrund muten die meisten der neueren großen Kriegsdokumentarfilme von Frederick Wisemans „Basic Training“ (USA, 1971) über Hartmut Bitomskys „B-52“ (USA, 2000) bis zu Michael Loekens und Ulrike Frankes „Soldatenglück und Gottes Segen“ (Deutschland, 2002) harmlos an. Der Geist, der stets verneint, wohnt ihnen nicht inne.

Spannende Debatte

Vielmehr gehören sie – zumindest nach Ansicht des Hamburger Filmjournalisten Dietrich Kuhlbrodt – zu jener „ungewöhnlichen“ Art von Filmen, die dem Zuschauer Rezeptionsfreiheit gewähren. Dass dies ungewöhnlich ist, diese Meinung muss man nicht unbedingt teilen. Wird doch derzeit von Fernsehredaktionen weitgehende Kommentarenthaltung im Dokumentarfilm eingefordert. Deshalb kommt es zu dem verblüffenden Tatbestand, dass die Gespräche über den Film oft spannender sind als dieser selbst. Genau das macht Filmreihen, wie sie die Dokumentarfilminitiative im Filmbüro Nordrheinwestfalen (dfi) kürzlich im Kölner Filmhaus veranstaltete – in diesem Fall unter dem Titel „Your country needs your service“ – attraktiv. Die Debatte eines außergewöhnlich interessierten, kompetenten Publikums bringt stets Überraschendes zu Tage.

Realsatire oder …?

So teilte etwa ein Herr aus dem Zuschauerreihen den darob baff entsetzten Filmautoren mit, es gebe Anfragen von der Bundeswehr, ihren Film „Soldatenglück und Gottes Segen“ als Lehrfilm zu erwerben. Loeken und Franke schauten ungläubig drein, hatten sie doch ihren Film über im Kosovo stationierte Soldaten für kritisch gehalten. Doch keine Chance, der Mann muss es wissen, ist schließlich Verleiher des Films. Kann sich also jeder sein Scheibchen abschneiden, Pazifisten wie Kriegsbefürworter?

Nun, wenn Gunter Gabriel im Einsatz für „unsere Jungs im Kosovo“ seinen Kitschhit anstimmt: „Da ist ein Haus im Kosovo, es ist zerbombt und leer…“, mögen einige diese Szene als Realsatire empfinden. Anderen – etwa den Soldaten selber und ähnlich denkenden Zeitgenossen, die Militärriten positiv sehen – stehen die Tränen in den Augen. Das Sehnen der jungen Soldaten nach den Freundinnen, Kfor-Bierkrüge im amerikanischen PX-Laden, das ausufernde Privatleben im Kosovo – der Zuschauer kann es geschmacklos finden und als sinnloses Verschleudern von Steuergeldern oder aber als sensationsheischendes Häppchen Intimssphäre genießen.

Ob der Film als Lehrfilm in den Kasernen genehm gewesen wäre, wenn provokative Kommentare der Autoren nicht im Nachhinein, sondern im Film selbst geäußert wären? „Wir haben versucht, den Alltag der Soldaten zu zeigen: Und dieser sei eben zu 99 Prozent von Bierzeltstimmung beherrscht, und nur zu einem Prozent von jenen Hilfsaktionen in brennenden Häusern, wie sie gehäuft in Fernsehnachrichten zu sehen waren“, merkt die Autorin Franke im Filmgespräch an. Oder: „Im Camp wurde ab 19 Uhr Alkohol getrunken.“ Frankes kritische Frage: „Was ist eigentlich, wenn nach 19.00 Uhr ein Angriff erfolgt?“

Jean Perret, Direktor des Internationalen Dokumentarfilmfestivals von Nyon, stellt die spannende Frage, von deutschen Filmwissenschaftlern zunehmend weniger gestellt: „Ist Wiseman ein politischer Filmemacher?“ Ist es politisch, wie Wiseman es tut, während des Vietnamskriegs in einem Trainingslager Aufnahmen von Soldaten zu machen? Wie sie marschieren, kriechen, robben, befehlen und Befehle entgegennehmen? Oder beim Marschieren Sauflieder singen, deren Pointe beschreibt, wie man es vermeiden kann, biederer Vater von 14 Kindern zu werden: Bier trinken, statt Whisky und die blonde Frau anschließend nicht flachlegen? Perret meint ja. Das detaillierte Zeigen der Institution sei bereits Politik im Sinne von Demokratie.

Zerstörte Psyche

Ist Bitomskys Film „B 52“, der den Soldaten hinter dem 1947 entwickelten Bomber, der extensiv im Vietnamkrieg eingesetzt wurde, und später auch im Golfkrieg, im Kosovokrieg und in Afghanistan zum Einsatz kam, verschwinden lässt, Beispiel für die extreme Technikverliebtheit des Filmemachers? Entlastet solch ein Film die kriegsführende US-Regierung, weil in ihm die Maschine scheinbar selbsttätig als Subjekt erscheint? „Ist der Film etwa so eine männliche Technikgeilheit, die man dem Filmer in den 70er Jahren um die Ohren geknallt hätte?“, wie Betty Schiel (dfi)fragt. Oder stellt er in der unverstellten Wiedergabe gerade radikale Technikkritik dar? Fragen, die im Kölner Filmhaus auf der Tagesordnung standen.

Aus dem Rahmen fiel im Kölner Filmhaus ein einziger Film: Johann Feindts und Tamara Trampes noch unvollendetes Werk „Protokoll einer Recherche I / Soldaten“. Junge russische Soldaten erzählen vom Abstumpfen im und nach dem Tschetschenienkrieg. Fern jeder Faszination und Ästhetik zeigen sich hier die Auswirkungen des schmutzigen Kriegs. Die zerstörte Psyche junger Männer ist in tristem Umfeld thematisiert.

Was soll werden?

Und da wird plötzlich jenes so ganz andere Bild des Soldaten spürbar, wie Erich Maria Remarque es beschrieb: Ein „zitterndes Stück Dasein allein im Dunkel“, das nach dem Krieg mit Beinprothese oder Armstumpf die bange Frage stellt: „Und was soll aus uns werden?“

Eine Frage, mit der sich allerdings auch die Dokumentarfilminitiative selbst in ganz anderer Weise auseinandersetzen muss. Zu befürchten steht, dass solch anspruchsvolle Filmreihen in Zukunft nicht mehr stattfinden können. Das Kulturministerium beabsichtigt eine Reduzierung von 30 bis 40 Prozent der bisherigen Fördermittel.

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