Berlin: Politik als öffentlich-rechtlicher Programmgestalter?
Wie sieht die Zukunft von ARD und ZDF aus? Jenseits von Finanznöten und Quotendebatten stehen nach dem Skandal um die parteipolitische Ausbootung des ehemaligen Chefredakteurs Nikolaus Brender die internen Strukturen der Sender auf dem Prüfstand. In Berlin diskutierten unlängst grüne Medienpolitiker, Gremienvertreter und Senderverantwortliche über die Rolle der Rundfunkräte in den öffentlich-rechtlichen Anstalten.
„Politik als öffentlich-rechtlicher Programmgestalter?“ lautete die leicht rhetorisch angehauchte Eingangsfrage der Veranstalter im Rahmen des Debattenzyklus „demokratie heute“. Jetzt, wo das neue Gebührenverfahren in Form einer Haushaltsabgabe ab 2013 unter Dach und Fach ist, können die Binnenstrukturen der Sender einer Generalrevision unterzogen werden. Für Hans J. Kleinsteuber, emeritierter Politologe und Medienwissenschaftler, steht die Causa Brender symptomatisch für die Folgen einer verhängnisvollen Fehlentwicklung. Schon bei der Gründung der Anstalten hätten sich die Politiker eine „erhebliche Präsenz“ in den Aufsichtsgremien in die Rundfunkstaatsverträge „hineingeschrieben“. An diesem Punkt müsse eine Reform einsetzen. Kleinsteuber plädierte dafür, „hochrangige Politiker“, vor allem Mitglieder der Exekutive, künftig von solchen Positionen auszuschließen. Auch die teilweise anachronistische Auswahl der so genannten gesellschaftlich relevanten Gruppen müsse überdacht werden.
Anstelle von Vertriebenenverbänden sollten heutzutage eher Vertreter von NGO’s, Bürgerinitiativen oder Elternorganisationen in den Räten agieren. Zudem könne ein Auswahlverfahren, bei dem die Kandidaten spezifische rundfunkpolitische Kenntnisse nachweisen müssten, analog zum BBC-Trust zur Erhöhung des Sachverstands in den Gremien beitragen. Zugleich seien mehr Öffentlichkeit und Transparenz vonnöten: in den weitaus meisten Sendern tagten die Räte hinter verschlossenen Türen. Auch ein eigenständiger Rechtsstatus der Gremien könne hilfreich sein – die Räte arbeiteten in der Regel unter der Regie der Intendantenbüros. Schließlich gelte es auch, ernsthafte Beschwerdeinstanzen zu etablieren. So könne sich etwa ein Ombudsmann als Bindeglied zwischen Redaktionen und Rundfunkteilnehmern mit programmrelevanten Beschwerden auseinandersetzen.
Parteien-Einfluss zurückdrängen
Tabea Rössner, ehemalige ZDF-„Logo“-Redakteurin und medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen, wünscht wie Kleinsteuber eine Zurückdrängung des parteipolitischen Einflusses in den Sendern. Sie bedauerte, dass nur die Fraktion der Linken die von den Grünen initiierte und vom renommierten Rundfunkrechtler Dieter Dörr verfasste Normenkontrollklage gegen den übermächtigen Einfluss von Staatsvertretern im ZDF unterstützt habe. Die SPD habe stattdessen eine eigene Klage eingereicht, über die das Bundesverfassungsgericht demnächst entscheiden werde. Rössner argwöhnte, die Sozis wollten mit der angestrebten sinnvollen Reduzierung der politischen Funktionäre im ZDF-Fernsehrat zugleich auch den Einfluss der kleineren Parteien minimieren.
„Unser Programm wird nicht gegängelt, wir machen Qualitätsjournalismus“, bekräftigte Elmar Theveßen, stellvertretender ZDF-Chefredakteur. Allerdings erinnert er sich noch an seine Anfänge im Sender Mitte der neunziger Jahre. Damals sei es durchaus gelegentlich vorgekommen, dass den Redaktionen – von Vertretern aller Parteien – vorgezählt wurde, „wie viele Sekunden bestimmte Politiker bei ‚Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht’ im Bild zu sehen waren, weil man daran glaubte, wer häufiger auftritt, der gewinnt die Wahl“. Diese Zeiten seien vorbei. Weder das ZDF noch die ARD seien „Staatsfernsehen“, die Programmmacher würden nicht gegängelt, in den Gremien werde sachlich und effizient gearbeitet.
Der Einrichtung einer Beschwerdeinstanz nach dem Modell Ombudsmann kann Bundesvorsitzender der Grünen Cem Özdemir, der selbst im ZDF-Fernsehrat sitzt, vor dem Hintergrund der parteipolitisch motivierten Auseinandersetzungen über das ZDF-Magazin „Frontal 21“ einiges abgewinnen. „Sobald wir anfangen, im Fernsehrat bei einem Beitrag über Atomkraft darüber zu diskutieren, ob der Einspieler zu lang oder zu kurz war, die Farbe freundlich oder bewusst unfreundlich gewählt war, begeben wir uns auf Glatteis“, warnte Özdemir. Eine solche Debatte sei von Politikern „nicht seriös zu führen“.
Programmbeschwerden sollten durchaus ernst genommen werden, findet Frank Werneke, ver.di-Bundesfachbereichsleiter Medien, Kunst und Industrie. Wenn diese aber wie im Fall „Frontal 21“ zum Anlass genommen würden, über journalistische Inhalte Rügen auszusprechen, sei dies eine „klare Grenzüberschreitung“. Darüber sei im Fernsehrat berechtigterweise sehr heftig diskutiert worden. Diese Debatte „im Livestream zu übertragen wäre interessant gewesen, da hätte es bei Youtube sicher im Nachhinein viele Abfragen gegeben“.
Werneke wandte sich – trotz des Falls Brender – gegen die Vorstellung, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ständigen Manipulationsversuchen der Politik ausgesetzt sei. Zwar gebe es Versuche von Lobbyisten, Einfluss zu nehmen. Die entscheidende Frage sei aber: „Gibt es Intendanten und Intendantinnen, gibt es Chefredaktionen und gibt es selbstbewusste Redaktionen, die diese Einflussnahme abwehren?“ Dies, so Werneke, finde in aller Regel statt. Der Eindruck, dass es einen „politisch durchverfilzten öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ gebe, sei jedenfalls ein „Zerrbild“. Mehr Transparenz im Sender – schön und gut, meinte Werneke. Es gebe aber „Dinge in den Gremien, die nicht in die Öffentlichkeit gehören“. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten befänden sich in einem harten Wettbewerb mit privaten Medienanbietern. Teile der Geschäftspolitik dürften „nicht vor der Zeit an die privaten Wettbewerber durchgespielt werden“.