Zensur und kein Ende (49)

Meinungsfreiheit à la Springer

Wie weit her es mit der Informations- und Meinungsfreiheit im Springer- Blatt BZ ist, demonstrierte Mitte Mai wieder einmal deren Chefredakteur Georg Gafron. Der stadtbekannte Demagoge (dem, so Berliner Medienspott, selbst Linkshänder ein Gräuel sind) kippte noch am Samstagabend, 12. 5., aus dem Andruck einen Bericht, den die BZ-Sonntagsausgabe von der „Bild am Sonntag“ übernehmen sollte. Dabei ging es um Pleite und Offenbarungseid des mit 15 Millionen Mark verschuldeten einstigen CDU-Bundesverkehrsministers Günther Krause. Chefredakteur Gafron, als Zuträger und Handlanger Leo Kirchs im Verlag gefürchtet, ist Krause offenkundig ebenso verbunden wie dem weit gespannten und nach außen abgeschirmten Netzwerk des langjährigen, erst vor wenigen Wochen abgehalfterten Berliner Regenten-Duos Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky (beide CDU).

Doch diese ungenierte Zensurmaßnahme reichte ihm nicht. Wenige Tage später kündigte er seinem Stellvertreter Hansjörn Muder, der an jenem Abend Dienst und das Blatt zusammengestellt hatte. Freilich: nach dem Machtwechsel in Berlin dürfte die Zahl hilfsbedürftiger Netzwerk-Freunde erheblich zunehmen. Ob der Verlag sich einen Gafron noch lange wird leisten können?


ARD schwärzt Gesichter

Vor 32 Jahren wurden beim saarländischen Lebach vier Fallschirmjäger der Bundeswehr erschossen, die ein Munitionsdepot bewachten. Nach langen Recherchen – schließlich auch mit Hilfe einer Wahrsagerin – überführte und verurteilte das Gericht drei junge ebenso arbeits- wie haltlose junge Männer aus der Gegend. Zuerst versuchte das ZDF den Mord mit einem Dokumentarspiel darzustellen, doch ein inhaftierter Täter klagte durch mehrere Instanzen.

Schließlich gab ihm 1973 das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit der Begründung recht, seine Resozialisierung könne im Falle einer solchen Veröffentlichung gefährdet sein.

Fast fünfundzwanzig Jahre später produzierte SAT 1 einen Spielfilm zum Lebach-Thema, der mit dem gleichen Argument verboten wurde. Doch diesmal (1999) entschied das BVerfG in letzter Instanz für Veröffentlichung – weil der Persönlichkeitsschutz gewahrt sei. Gleichwohl strahlte der Sender den Film bis heute nicht aus. Erst die ARD wagte es nun am 7. Juni – im Rahmen ihrer Serie „Die großen Kriminalfälle“ – eine Dokumentation über den „Soldatenmord“ zu zeigen. Aber auch in dem Film von Inge Plettenberg (Saarländischer Rundfunk) gab es noch unbegreif-liche Ängstlichkeit. Wiewohl die Mörder auf zahllosen Fotos – sogar in den Programmzeitschriften der Sendewoche – erschienen, wurden ihre Gesichter auf den alten Filmaufnahmen geschwärzt: Vorsicht als (Selbst-) Zensurvariante.


Haiders Rückzug

Als die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) vor eineinhalb Jahren die politische Ausdrucksweise Jörg Haiders mit der Sprache Adolf Hitlers verglich („Zwei Mann – ein Wort“), erhob der Kärntner Landeshauptmann Klage vorm Wiener Landgericht: man habe ihm „nationalsozialistische Gesinnung“ unterstellt. In der Hauptverhandlung am 14. Dezember 2000 wurde er dann mit den von der SZ präsentierten Belegen konfrontiert und versuchte es noch einmal mit seiner liebsten Waffe: dem Leugnen von Fakten. Doch er musste erkennen, dass die Zeitung ihre Behauptungen beweisen konnte. So zog er – rechtzeitig vor der nächsten Verhandlung – den Schwanz ein und die Klage trotz der hohen Kosten zurück; diesmal vorsichtshalber wortlos.


Sitte(n) – Kolloquium

Zu einem „Schlachtfest gegen mich“, fürchtete der von den Medien gebeutelte Maler Willi Sitte, werde das Ende Juni vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg veranstaltete Symposion zu Werk und Funktion des langjährigen Künstlerverbands-Vorsitzenden der DDR. Statt dessen geriet die 16stündige Veranstaltung an zwei Tagen jedoch nur zu einem „mühsamen Diskurs über deutsche Kultur: eine langatmige Pflichtübung politischer Korrektheit vor dem Hintergrund allgemeiner Befangenheit“ resümierte die Kritikerin Ira Mazzoni. Der erst geplanten, dann ängstlich wieder abgesagten Werkausstellung kam man damit offenkundig nicht näher – auch wenn schon Goethe meinte: „Zuwachs an Kenntnis ist Zuwachs an Unruhe.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie ähnlich ist presseähnlich?

Der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), Ralf Ludwig, erwartet, dass es für die öffentlich-rechtlichen Sender künftig schwerer werde, insbesondere jüngere Zielgruppen online zu erreichen. Grund dafür sei die „Schärfung des sogenannten Verbots der Presseähnlichkeit“, sagte Ludwig Ende Mai im Medienausschuss des sächsischen Landtags.
mehr »

ARD-Nachrichtentag: Mehr Transparenz

Nachrichten sind das Herz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie sollen gut recherchiert und aufbereitet sein, sollen verständlich Ereignisse vermitteln und einordnen. Beim ARD-Nachrichtentag am 5. Juni gab es einen offenen Einblick, wie das eigentlich geschieht. Teilnehmende bekommen Einblicke in den journalistischen Alltag und erfahren den Wert unabhängiger Nachrichten in Hörfunk, Fernsehen und Social Media.
mehr »

Was tun gegen defekte Debatten

Das Land steckt in der Krise und mit ihm die Diskussionskultur. Themen wie Krieg und Pandemie, Migration und Rechtsextremismus polarisieren die politische Öffentlichkeit. In ihrem Buch „Defekte Debatten: Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen“ suchen Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin und Korbinian Frenzel, Journalist und Redaktionsleiter Prime Time bei Deutschlandfunk Kultur, nach Auswegen aus der diskursiven Sackgasse.
mehr »

Breiter Protest gegen Radiokürzungen

Als die Bundesländer im vergangenen September Reformvorschläge für ARD, ZDF und Deutschlandfunk vorgelegt haben, war klar: Diese beinhalten starke Kürzungen. Die ARD-Häuser müssen im Auftrag der Politik über die Verringerung von Radiowellen entscheiden. Die Anzahl der regionalen Hörfunkprogramme in der ARD soll demnach von rund 70 Wellen auf 53 sinken. Dagegen regt sich breiter Protest.
mehr »