Öffentlich-rechtliche Grundversorgung auch online gewährleisten
Bei den 41. Mainzer Tagen der Fernsehkritik im ZDF ging es um den Zwiespalt zwischen Wirtschaftsinteressen und publizistischen Werten auch mit Blick auf Texte und bewegte Bilder im Netz.
Es begann mit einem Sturm im Wasserglas. ZDF-Intendant Markus Schächter hatte zu Beginn der 41. Mainzer Tage der Fernsehkritik im ZDF die Medienpolitik der Länder scharf kritisiert. Der vorliegende Entwurf des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrages sieht vor, dass ARD und ZDF im Internet nur sendungsbezogene „textbasierte Angebote“ veröffentlichen dürfen, und ihnen andere Texte zu untersagen sind. Der Grund: Private Sender und Verlage hatten darauf gedrängt, Internetaktivitäten der gebührenfinanzierten Sender nur eingeschränkt zuzulassen. „Wer das den öffentlich-rechtlichen Sendern im Jahre 2008 verbieten will, steht unter Zensurverdacht“, empörte sich Schächter. Wer im Netz erfolgreich sein wolle, müsse Text und bewegte Bilder bieten können. Die Politik müsse Sorge tragen, dass ARD und ZDF die öffentlich-rechtliche Grundversorgung mit Informationen und Unterhaltung online gewährleisten könnten, forderte Schächter. Am Ende konnte der rheinlandpfälzische Ministerpräsident Kurt Beck den Intendanten jedoch beruhigen: Eine derartige Begrenzung gehe „weit über das hinaus, was politisch beabsichtigt ist“.
Mercedes Bunz (Chefredakteurin Tagesspiegel Online) war hingegen anderer Meinung und witterte Wettbewerbsverzerrung: „Warum sollen wir privatwirtschaftlich Texte ins Internet stellen, und die öffentlich-rechtlichen Sender dürfen es gebührenfinanziert tun!“
Was kann sich alles ändern, wenn die technologische Entwicklung fortschreitet, und das gute alte Fernsehen online geht? Diese Frage wurden in Mainz breit diskutiert. Wenn Christiane zu Salm, bis vor kurzem Geschäftsführerin von „9Live“ und „Sonnenklar TV“, neuerlich im Vorstand von Hubert Burda, in diesem Zusammenhang von „sozialen Netzwerken“ schwärmte, dürfte allerdings gestaunt werden: „Während ein 20-jähriger „Explosiv“ sieht, und dies mit seinen Freunden kommentiert, poppen zur gleichen Zeit Fotos der letzten Party und Angebote auf seine Anfragen bei Ebay hoch“.
Publizistische Werte
Senderverantwortliche und -redakteure, Produzenten, Medienkritiker, Vertreter der Verleger, Rundfunkräte, Online-Redakteure, Unternehmer und – ausnahmslos sozialdemokratische – Politiker hatten sich am 31. März und 1. April im ZDF versammelt um die Frage zu diskutieren: „Ist das Fernsehen nun eine Milchkuh, die kommerziell gemolken wird, um wirtschaftlich zu sein, oder geht es um publizistische Werte?“. Beim ZDF selbst gab man sich optimistisch und traditionsbewusst. Programmdirektor Thomas Bellut beschwor, der Untergang des Fernsehens in Zeiten der neuen Medien sei bereits derart oft prophezeit worden, habe aber niemals stattgefunden: Selbst Kritiker wüssten nicht mehr, was sie machen sollten, gäbe es Sendungen wie „Wetten dass“ nicht mehr, über die man sich kollektiv aufregen könne. Es schien, als wolle man in Zeiten des Wandels verstärkt auf das Wahren von Althergebrachtem setzen: Hans Jahnke, Hauptredaktionsleiter beim ZDF betonte, den „neuen Alten“ in der Krimiserie „Der Alte“ habe man bewusst ohne Innovation gestaltet: Noch nicht einmal das Mobiliar sei verändert worden. Walter Kreye sei jetzt um die 60 Jahre alt, und habe noch rund 15 Jahre vor sich.
Der freie Onlinejournalist Stefan Niggemeier schlug erstaunlich sanfte und subjektive Töne an, als er den im ZDF viel diskutierten „Public Value“ aus Sicht des Fernsehkritikers erklärte: „Public Value ist, wenn das läuft, was ich gerne sehen will“. Weiterhin erläuterte er, dass er beispielsweise „die schnelle moderne wunderbare“ ZDF-Krimiserie „Kriminaldauerdienst“, der „schrecklichen in Zeitlupe erstarrten“ Serie „Der Alte“ vorziehe. Eine Befürchtung äußerte er allerdings: Nämlich, dass „konkret dieser „Public Value“ als Begründung dafür herhalten muss, absurde Summen für die Übertragungsrechte von Fußball-Spielen und Weltmeisterschaften auszugeben“. Und dass man mit diesem Geld doch Dutzende wertvolle Fernsehfilme und Dokumentationen hätte herstellen können.
Über den tatsächlich geplanten dreistufigen „Public Value Test“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurde nur oberflächlich informiert. Dem rheinlandpfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck zufolge soll er von den hauseigenen Gremien vorgenommen werden, den Rundfunkräten bei ARD und ZDF, die nicht nur aus gesellschaftlich relevanten Gruppierungen bestehen, sondern auch parteipolitisch besetzt sind. Publizistischer Wert hin, publizistischer Wert her: Bleibt also hierzulande alles beim Alten – bloß keine Verunsicherung durch Veränderung?
Der Wirtschaftsredakteur der BBC, Tim Weber, berichtete hingegen über den britischen „Public Value Test“: Dort sei zwar ein von der Regierung berufenes Gremium zuständig, das aber „sehr unabhängig“ agiere. Weiterhin sei eine tägliche repräsentative Meinungsumfrage von Zuschauern Grundlage, Gewerkschaften und große Unternehmensverbände würden ebenso befragt. Man nehme den gesellschaftlichen Auftrag des Fernsehens sehr ernst, so Weber. Und Friedrich Küppersbusch äußerte am Rande der Tagung gegenüber M Bedenken, ob die Pluralität der Meinungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen tatsächlich gewährleistet werde, und „nicht etwa immer nur jene Gruppierungen miteinander ins Gespräch kämen, die es sowieso schon sind“.
Entsetzt über Wortwahl
Die deutschen Zeitschriftenverleger (VDZ) weisen die Vorwürfe eines „Zensurverdachts“ von ZDF-Intendant Schächter in Mainz scharf zurück. „Maulkorb und Zensur sind so ziemlich die schlimmsten Vorwürfe gegen Meinungsfreiheit, die man in diesem Land erheben kann“, so Wolfgang Fürster, Geschäftsführer des VDZ im Medienbranchendienst Kontakter.