Zu wenig Raum für Kontroversen

Bettina Lendzian ist Mitglied der Medienkommission der Landesanstalt für Medien NRW

M | Ihr Direktor Tobias Schmid bezeichnete seinen Job einmal als den schönsten der Welt. Trifft das auch auf Ihre Arbeit in der Medienkommission zu?

Bettina Lendzian, Professorin im Fachbereich Journalismus und Kommunikation an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMWK) in Köln. Foto: Werner Siess

Bettina Lendzian | Die freiwillige Arbeit in der Kommission ist hoffentlich für die Mitglieder nicht der „schönste Job der Welt“. Denn wir alle arbeiten ja nur neben unseren eigentlichen Berufen im Gremium mit – und die sind doch hoffentlich für alle die schönsten der Welt (schmunzelt). Aber natürlich ist es eine spannende und abwechslungsreiche Tätigkeit. Nur manchmal auch wirklich sehr viel Arbeit. Es gibt eine Menge Material zu lesen, eine Menge Themen zu recherchieren und zu verstehen – eine Aufgabe, die nebenamtlich ganz schön fordernd sein kann. Genau deshalb gibt es wie in den meisten Gremien eine Ausschuss-Struktur, die ermöglicht, dass die jeweiligen Experten für bestimmte Themen und Bereiche gut eingebunden werden können, ohne überlastet zu werden. Ich arbeite beispielsweise im Ausschuss „Programmaufsicht und Programmqualität“ mit, der sich sehr viel mit dem Lokalfunk im Land, aber auch mit den Zulassungen für andere Hörfunk- und TV-Programme befasst.

Mit welchen Erwartungen sind Sie in die Medienkommission gegangen?

Zu Beginn der neuen Amtsperiode hätte ich mir in einigen Bereichen eine ausführlichere Diskussion über mögliche Akzente in der Arbeit gewünscht. Dafür fehlt jetzt manchmal die Zeit. Gerne hätte ich zum Beispiel eine Debatte darüber geführt, wie viel Wirtschaftsförderung wir leisten wollen oder eben nicht, wie viel Journalismusförderung wir leisten wollen, welche Bedeutung wir der Medienkompetenzförderung zumessen, welche den Bürgermedien und was das jeweils für die Haushaltsplanungen bedeuten soll. Das wäre sicherlich anstrengend gewesen, aber ich denke, es hätte sich gelohnt.

Zum Thema Lokalfunk haben Sie ja mehrfach geforscht und sich darüber hinaus ehrenamtlich für die Bürgerbeteiligung am Lokalfunk engagiert. Können Sie deshalb bei diesen Themen besonders gestalten und Akzente setzen?

Die Bedeutung der Bürgermedien ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine grundsätzliche Entscheidung – zumindest in meiner Zeit als Mitglied der Kommission – leider nicht grundsätzlich diskutiert wurde. Der Landesverband Bürgerfunk (LBF) hatte vor einigen Jahren auf Basis von Daten der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM) die Bürgermedien-Etats der Bundesländer gegenübergestellt. Die LfM hatte 2017 etwa acht Prozent ihres Etats in Bürgermedien investiert, das war deutlich weniger als in der Vergangenheit. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg waren es rund dreißig Prozent, in Niedersachsen 52 und in Rheinland-Pfalz sogar 80 Prozent. Es stellten sich Fragen: War das eine bewusste Entscheidung der damaligen Kommission, dass wir nur acht Prozent dafür ausgeben? Will die aktuelle Kommission das so beibehalten oder wo möglich wieder mehr in die Vielfaltsreserve Bürgerfunk investieren? Oder noch weniger, weil sich die Medienlandschaft gewandelt hat?

Das Thema Lokalfunk hingegen beschäftigt uns seit geraumer Zeit sehr intensiv und ich hoffe, dass ich hier mit meiner Sachkenntnis einiges beitragen und Impulse geben kann. Die guten alten, nach dem weltweit einzigartigen Zwei-Säulen-Modell konstruierten Radiosender verlieren durch die Digitalisierung an Bedeutung und kämpfen um ihr Überleben. War der Betrieb eines Lokalsenders für die Betreiber in den 1990er Jahren noch quasi eine „Lizenz zum Gelddrucken“, schreibt heute die Hälfte aller Lokalradios im Land Verluste. Hier versuchen wir als Medienkommission, durch Umstrukturierungsvorschläge und Moderation den Anpassungsprozess an die neue digitale Medienwelt zu unterstützen.

Wenn Sie sagen, dass es zu wenig Zeit für Diskussionen gibt, sehen Ihre Mitstreiter in der Medienkommission das ähnlich?

Das Problem in vielen großen Gremien ist, dass am Ende Entscheidungen getroffen werden müssen, die alle gemeinsam vertreten sollten. Das aber bewirkt dann oft eine Konsensorientierung, die wenig Raum für Kontroversen lässt. Ich hatte in die – damals noch junge – Rundfunkkommission in den 1990er Jahren einen intensiven Einblick. Es wurde in der Anfangszeit tatsächlich mehr diskutiert und gestritten, es wurden aber auch gute konstruktive Lösungen gefunden, die ohne die vorherigen hitzigen Debatten nie entstanden wären.

Diese alte demokratische Streit-Kultur vermisse ich ein wenig. Fast immer werden heute Entscheidungen einstimmig gefällt, bei Wahlen gibt es meist nur einen Kandidaten. Doch genau die Entscheidungsmöglichkeit zwischen mehreren Alternativen bringt doch Menschen in einer Demokratie dazu, sich mit Themen intensiv auseinanderzusetzen, nachzufragen, Gespräche dazu zu führen, um dann bewusst und gezielt die beste Lösung auszuwählen.

Was auch die Frage aufwirft, wie effektiv arbeitende Kontrollgremien zusammengesetzt sein sollten?

Der Gesetzgeber ist gefordert, immer zu schauen, ob diese Abbilder der Gesellschaft der realen Gesellschaft angepasst werden sollten. Schließlich haben wir auch nicht mehr die Vertriebenenverbände oder die Kriegsblinden dabei, die einmal eine wichtige Rolle spielten. Und müsste nicht neben den Vertretern von evangelischer und katholischer Kirche sowie der jüdischen Kultusgemeinden auch längst ein Vertreter der Muslime oder bewusst nicht kirchlich organisierten Bürger dabei sein? Außerdem wird ja immer wieder über die Vertreter der Parteien diskutiert. In unserem Gremium empfinde ich deren Zahl, nämlich acht, als angemessen, da Parteien ja nun definitiv die politischen Richtungen, die es in der Gesellschaft gibt, abbilden – zumal ich die Kollegen in der Mehrzahl als sehr kompetent und engagiert erlebe. Dürfte z.B. jede Partei im Landtag nur einen Vertreter entsenden, würde deren Zustimmungswert in der Gesellschaft ja verzerrt. Eine Partei, die häufiger gewählt wurde, sollte schon stärker vertreten sein als eine kleine. Für die Arbeit der Kommission wäre es vielleicht sinnvoll, wenn sich zu bestimmten Themen mehr inhaltliche Arbeitskreise auch über Ausschussgrenzen hinweg zusammenfänden, um gemeinsam Vorschläge zu erarbeiten. Im WDR-Rundfunkrat hat es zum Beispiel einmal eine Gruppe der „Kulturfrauen“ gegeben – quer durch alle Parteien und entsendenden Organisationen.

Die Aufgaben haben sich gerade bei Ihnen in NRW nach meiner Beobachtung gewandelt – vor allem in Richtung Telemedien-Aufsicht. Täuscht der Eindruck oder geht es heute gar nicht anders?

Seit das Internet kein Neuland mehr ist, geht es tatsächlich nicht mehr anders. Für den privatwirtschaftlichen Rundfunk und die Bürgermedien ist das Netz ja mittlerweile ein wichtiger Ausspielweg. Und da das Internet die Medien und die Kommunikation verändert, gehört es zwingend zu den Aufgaben einer Landesmedienanstalt, im Bereich Medienkompetenzförderung aktiv zu werden. Das hat die Landesanstalt von Anfang an getan, auch mit anderen Landesmedienanstalten zusammen, man denke nur an das „Internet-ABC“, „Klicksafe“ oder „Flimmo“, an „eltern + medien“, „Zebra“ oder die „Medienscouts“.

Es ist wichtig und unsere Aufgabe, uns hier auch um Social Media Trends, Influencer und Hilfe zum Erkennen von Fake News zu kümmern. Bei der Regulierung von Intermediären ist noch viel in der Schwebe. Hier ist definitiv kein Alleingang einer Landesmedienanstalt möglich, sondern es muss bundes- und europaweit kooperiert werden. Ein Vorreiter bei der Rechtsdurchsetzung im Netz ist aber auf jeden Fall unsere Initiative „Verfolgen statt nur löschen“, bei der die Landesanstalt mit den Strafverfolgungsbehörden und den Medienhäusern zusammenarbeitet.

Wie viel Transparenz ist für Ihr Gremium nötig? Sollten vielleicht Bürger*innen stärker einbezogen werden und wenn das beabsichtigt ist, wie könnte es gelingen?

Ich glaube, dass alle Organisationen mit der Zeit dazu neigen zu verkrusten – egal, ob es sich um öffentlich-rechtliche oder private, gemeinnützige oder kommerzielle handelt. Wenn ich ein Patentrezept dagegen wüsste, könnte ich damit die Welt ein ganzes Stück besser machen (lacht). Aber es wäre schon einmal gut, wenn sich alle dessen bewusst wären und dagegen angingen. Das wird – meist aus Zeitgründen – zu wenig getan, so auch in der Medienkommission.

Ein Verbesserungsvorschlag wäre auf jeden Fall, sich zu überlegen, wie wir näher an die Bürger*innen herankommen. Die meisten kennen uns nicht, da geht es uns wie den Rundfunkräten auch. Immer mehr Menschen halten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für Staatsfunk, und wie privatwirtschaftliche oder gemeinnützige Medien reguliert werden, darüber macht sich kaum jemand Gedanken. Ich habe den Eindruck, die meisten Bürgerinnen und Bürger fühlen sich durch uns Räte nicht vertreten. Dabei sind ja, so gut es geht, alle dabei: junge oder alte Menschen, Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, Naturschützer, Musiker oder Journalisten. Deshalb könnten zum einen alle entsendenden Organisationen mehr aufklären und Kontakte zu ihren Vertretern ermöglichen, zum anderen könnte die LfM selbst noch mehr Aufmerksamkeit für ihre Arbeit außerhalb der Fachöffentlichkeit herstellen.    Gespräch:

Bettina Lendzian ist Professorin im Fachbereich Journalismus und Kommunikation an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMWK) in Köln.

Die promovierte Journalistin vertritt seit Herbst 2021 in der Medienkommission der Landesanstalt für Medien NRW ver.di. Die 1987 gegründete LfM soll sich vor allem der Aufsicht des Privatrundfunks widmen. Das sind im bevölkerungsreichsten Bundesland im Hörfunk die 44 Lokalradios, das Rahmenprogramm radio.nrw und die TV-Sender Super RTL und Vox. Die Medienkommission mit 41 Mitgliedern tagt zehn Mal im Jahr. 2021 erhielt die LfM mit ihren 110 Mitarbeitenden 16,9 Millionen Euro aus dem Rundfunkbeitrag.

 

 

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