Zuviel „Menscheln“ in TV-Nachrichten

Ulrich Hottelet ist freier Journalist.
Foto: privat

Es menschelt immer mehr in den Fernsehnachrichten. Vorbei sind die Zeiten, als die Sprecher*innen dröge ihre Nachrichtentexte vom Blatt lasen. Stattdessen werden oft wie in Magazinsendungen die Fälle von Betroffenen geschildert und Interviews am Straßenrand geführt. Doch dient diese zunehmende Personalisierung der Information der Zuschauer*innen?

Meinung

Den Trend setzten vor Jahren die Privatsender mit ihrer Hinwendung zu Themen von „Human Interest“. Davon ließen sich insbesondere die Macher der Nachrichtensendung „heute“ im ZDF beeinflussen. Sie begannen, sozialpolitische Themen mit Hilfe von Einzelfällen Betroffener zu schildern und so die konkreten Auswirkungen hinter den nüchternen Zahlen aufzuzeigen. Grundsätzlich ist das journalistisch völlig in Ordnung. In der heute-Sendung ist das aber inzwischen eine starre Regel geworden. Kaum ein sozial- oder wirtschaftspolitisches Thema entkommt mehr der magazinigen Aufbereitung mit betroffenen Firmen oder Bürgergeldempfänger*innen inklusive Interviews. Das wirkt zum einen etwas krampfhaft, zum anderen nehmen die Kurzfeatures Sendezeit in Anspruch, die dann für andere Themen fehlt. Die heute-Nachrichten informieren im Gegensatz zur Tagesschau oft nicht einmal mehr über die Ergebnisse von Präsidentschaftswahlen im Ausland.

Emotional statt informativ

Stattdessen werden zunehmend Menschen in Straßeninterviews nach ihrer Meinung gefragt. Solch ein Infotainment soll die Stimmung in der Bevölkerung repräsentieren. Die Auswahl der Befragten obliegt freilich den Reporter*innen und der Redaktion. Dadurch können sie bestimmte Meinungen über- oder unterrepräsentieren – eine bedenkliche Subjektivierung der TV-Nachrichten, wie ich finde. Nicht jedem*r dürfte klar sein, nach welchen Kriterien ausgewählt wird und dass dabei auch der Zufall eine Rolle spielen kann. Auch wenn Objektivität in den Nachrichten nie zu 100 Prozent erreicht werden kann, sollten ihre Macher zumindest danach streben, sagte mal ein kluger Kopf. Inzwischen greift die Personalisierung auch in anderen Themen und Sendern um sich. Dabei ist der Erkenntniswert von Interviews fraglich, in denen zum Beispiel bei Flughafen- oder Bahnstreiks die Passagiere ausführlich schildern, woher sie kommen, wohin sie fahren wollen und dass ihnen – welch Überraschung – die Verspätung ungelegen kommt. Wie gut, dass die ganze Fernsehnation davon erfährt!

Natürlich kann man einwenden, dass die Zeiten von Karl-Heinz Köpcke vorbei sind und dass Nachrichtensendungen durch die Personalisierung näher am Menschen seien und die Themen so konkreter und anschaulicher darstellen könnten. Das ist bei komplizierten Sachverhalten sicher sinnvoll, insbesondere wenn der geschilderte Einzelfall stellvertretend für viele Betroffene steht. Auch über das Für und Wider des Infotainment lässt sich trefflich streiten. Die Privatsender und die Tagesschau-Redaktion haben natürlich unterschiedliche Stile und sollen das in einer pluralen Gesellschaft auch haben. Letztlich gilt wie so oft im Leben: Alles im rechten Maß. Der stereotype Einsatz der Kurzfeatures mag gut gemeint sein, dient aber nicht der Sache der Informationsvermittlung.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

RBB: Nach- und Neubesetzungen

Beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) wird es voraussichtlich im Herbst eine neue Leitung der Programmdirektion geben. Es gehe darum, dann die Neubesetzung mit dem eingeleiteten Konsolidierungs- und Reorganisationsprozess aufeinander abzustimmen, erklärte der RBB auf Anfrage. Damit wird es keine schnelle Nachbesetzung der Programmdirektorenstelle geben.
mehr »

Aktive Medien gegen Rechts

„Wie weiter?“ – unter dieser Fragestellung wollten am 7. Mai in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin Medienpolitiker*innen und Journalist*innen über „Visionen für eine demokratische Medienlandschaft“ diskutieren. Den Rahmen bildete das Roman Brodmann Kolloquium zum Oberthema „Rechtsruck in Europa! Ohnmacht der Medien?“ Anstelle von überzeugenden Visionen spiegelte die Debatte eher die Ratlosigkeit der Demokraten angesichts eines erstarkenden Rechtsextremismus.
mehr »

Von Drehtüren und Seitenwechslern

Seit gestern hat Deutschland eine neue Bundesregierung. Das Personalkarussell dreht sich - sowohl in der Politik als auch in der PR. Einige prominente Namen der künftigen Mannschaft von Bundeskanzler Friedrich Merz kommen aus dem Journalismus. Zu den spektakulärsten Seitenwechseln zählen die Personalien Stefan Kornelius und Wolfram Weimer. Kornelius, seit 2000 in leitender Funktion bei der Süddeutschen Zeitung, zuletzt als Ressortleiter Politik, tritt die Nachfolge von Steffen Hebestreit (SPD) als Regierungssprecher an. Mit Weimer wird gar ein Verleger („Business Punk“) und Publizist („Cicero“) und Ex-Focus-Chefredakteur neuer Staatsminister für Kultur und Medien.
mehr »

Rechtsextreme im Fernsehen

Durch meine Eltern habe ich Anstand und Respekt beigebracht bekommen. Daher missfällt es mir, Menschen nicht anzuhören, nur weil sie eine andere oder unliebsame Meinung vertreten. Das geht mir auch so bei der Frage, ob man Politikerinnen und Politiker der rechtsextremen AfD in TV-Talkshows einladen sollte. Ein grundsätzliches „Nein“ behagt mir nicht. Ein offenes „Ja“ kommt mir allerdings auch nicht über die Lippen, angesichts der AfD-Auftritte gerade im Vorfeld der jüngsten Bundestagswahl. Was also tun?
mehr »