Zuwachs bei jungen Hörern

DR-Intendant Ernst Elitz über Chancen des Qualitätsjournalismus

Ende März wurde Deutschlandradio-Intendant Ernst Elitz aus seinem Amt verabschiedet. Als Gründungsintendant hatte er 1994 die Fusion von Deutschlandfunk, RIAS Berlin und Deutschlandsender (DS) Kultur zu den zwei nationalen und werbefreien Hörfunkprogrammen Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur auf den Weg gebracht. Vorher hatte Elitz unter anderem für den Spiegel und als Fernsehdirektor des Süddeutschen Rundfunks gearbeitet. Er gilt als engagierter Verfechter des Qualitätsjournalismus.

M | Unter dem Eindruck der Finanz- und Wirtschaftskrise werden in der Medienbranche derzeit Hunderte von Arbeitsplätzen abgebaut. Ist der Qualitätsjournalismus in diesem Land in Gefahr?

ERNST ELITZ |
 Ich glaube, er hat eine Chance durch die Krise, in der sich Deutschland zurzeit befindet. Nichts macht Journalismus interessanter und wichtiger, als wenn er in Krisenzeiten Orientierung bietet, Zusammenhänge darstellt, Lösungen für Probleme aufweist und nachhaltig überprüft, ob die Politik sich auch an die getroffenen Versprechen hält.

M | Wie soll das gehen, wenn etwa bei der deutschen WAZ-Gruppe jeder dritte Redaktionsarbeitsplatz verloren geht, wenn bei der G+J-Wirtschaftspresse die Redaktionen von drei Wirtschaftstiteln auf die Hälfte der Mitarbeiter eingedampft werden?

ELITZ | Die kommerziellen Medien sind unverschuldet in eine wirtschaftlich schwierige Situation geraten. Sie müssen sich darauf einstellen, daß die Werbeerlöse sinken. D.h., sie müssen frühzeitig Weichen stellen. Wenn ich wüßte, daß bei uns die Gebühreneinnahmen rapide zurückgehen, dann hätte ich mich auch als verantwortungsbewußter öffentlich-rechtlicher Unternehmer zu fragen: Wo kann ich sparen? Worauf kann ich verzichten? Welche Synergieeffekte lassen sich noch erzielen? Wie viel Personal ist für die verbleibenden Aufgaben nötig?

M | Auch die überregionale Qualitätspresse verliert an Auflage. Bei ARD und ZDF kämpfen Politik- und Kulturmagazine um Sendezeiten und bessere Sendeplätze. Wie steht es hierzulande um die urteilsfähigen Milieus und die kritische Öffentlichkeit?

ELITZ | Um diese urteilsfähigen Milieus zu erhalten, plädiere ich für eine engere Zusammenarbeit zwischen Print-Medien und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das Gegeneinander, das sich um den Internetauftritt der Öffentlich-Rechtlichen gerankt hat, muss ein Ende haben. Achtzehn Prozent der deutschen Bevölkerung sind print-resistent, das heißt, sie lesen keine Zeitung mehr. Wer keine Zeitung liest, der wird auch kaum das Deutschlandradio und andere anspruchsvolle Programme hören. Insoweit sitzen die öffentlich-rechtlichen Anbieter und die Printmedien in einem Boot.

M | Das letzte Opfer vom Einsturz des Kölner Stadtarchivs war noch nicht geborgen, da stürzten sich die Medien auf den Amoklauf in Winnenden/Wendlingen. Werden die Medien unter den verschärften Bedingungen des Gewerbes – noch mehr Aktualitätsdruck, noch mehr Beschleunigung – ihrer Aufgabe gerecht?

ELITZ | Hätten die Medien etwa nicht über den Einsturz des Kölner Stadtarchivs berichten sollen? Hätten sie nicht um das Schicksal der Vermissten bangen dürfen? Hätten Sie ein so unfassbares Verbrechen wie den Amoklauf nur unter Vermischtes oder auf der Nachrichtenseite melden sollen? Die Ereignisse geben das Tempo vor. Und wer nicht an den Schlagzeilen hängengeblieben ist, konnte viele ernsthafte Berichte und Deutungen lesen, die geholfen haben, die Ereignisse in ihrer ganzen Tragweite zu erkennen und zu bewerten.

M | Sollte der Staat Not leidenden Printmedien zu Hilfe eilen? Im Gefolge der Schwierigkeiten der Qualitätspresse wird immer häufiger diese Forderung erhoben.

ELITZ | Regierung und Parlament sollten erst einmal dafür sorgen, dass das einengende Medienkonzentrationsrecht aufgebrochen wird. Wäre dem Holtzbrinck-Verlag frühzeitig erlaubt worden, den Berliner Verlag zu erwerben, dann hätte man den Kollegen einen langandauernden Heuschreckenüberfall erspart. Wäre dem Springer-Verlag ermöglicht worden, ProSiebenSat.1 zu erwerben, dann wäre der Niedergang dieser Sendergruppe aufzuhalten gewesen.

M | Bestand nicht in beiden Fällen die Gefahr, dass vorherrschende Meinungsmacht entsteht?

ELITZ | Wenn Zeitungen und Fernsehunternehmen ausgesaugt und weggeworfen werden, ist die Gefahr für die Meinungsbildung noch größer. Ich begrüße es, daß die Generalsekretäre von CDU und SPD jetzt darüber reden, wie man in der nächsten Legislaturperiode reagieren kann, um Meinungsfreiheit und Medienvielfalt in Deutschland zu erhalten und sie nicht weiter an unsichere Kantonisten im Ausland zu verscherbeln.

M | Wie beurteilen Sie das aktuelle politische Gezerre um die Vertragsverlängerung von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender?

ELITZ | Der Verwaltungsrat des ZDF muss sich eine Meinung bilden können, bevor er einen Vertrag verlängert. Er ist ja eine Durchwink-Maschine. Und insoweit war es nicht schlecht, dass die Diskussionen aus dem Hinterzimmer in die Öffentlichkeit getragen wurden. Die Medien blicken bei jeder Stellenbesetzung in Politik und Wirtschaft hinter die Kulissen und decken dahinter stehende Interessen auf. So konnte sich auch in diesem Fall jeder unbefangen eine Meinung bilden, wer bei dieser Personalie mitreden will und was er bezweckt.

M | Und wie wird es ausgehen?

ELITZ | Markus Schächter hat deutlich gemacht, daß er zu Brender steht. Und nach der Unterstützung, die er vom Fernsehrat erhalten hat, wird er Brender durchsetzen.

M | Eine Bilanz nach 15 Jahren Deutschlandradio – wie behauptet sich der Hörfunk im nationalen Wettbewerb der Medien?

ELITZ | Wir haben unsere Hörerzahlen verdoppeln können. Und mit Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk klare Markenprodukte geschaffen. Deutschlandradio Kultur hat einen entscheidenden Schritt getan, es hat innerhalb eines Jahres einen Hörerzuwachs von 13 Prozent erreicht. Eine grandiose Leistung. Der Deutschlandfunk ist das bekannteste Radioprogramm in Deutschland. Insgesamt hat der Nationale Hörfunk neun Millionen Hörerinnen und Hörer, die regelmäßig einschalten, 1,8 Millionen, die das täglich tun.

M | Die junge Generation geht zunehmend weg von den klassischen Medien, wendet sich dem Internet zu. Wie hat das Deutschlandradio auf diese Entwicklung reagiert?

ELITZ | Wir haben die Programme permanent modernisiert. Deutschlandradio Berlin wurde zu Deutschlandradio Kultur. Erst kam eine Werktagsreform und dann eine Wochenendreform. Auch beim Deutschlandfunk gab es eine kontinuierliche programmliche Entwicklung, die sich auch an den Hörgewohnheiten eines jüngeren Publikums orientierte. Wir haben als erste ein tägliches Studentenmagazin „Campus & Karriere“ aufgelegt. Und Deutschlandradio Kultur hat den jüngsten Altersdurchschnitt aller Informations- und Kulturprogramme.

M | Welche Rolle spielen die neuen Digitaltechniken?

ELITZ | Wir haben uns schnell an neue Kommunikationstechniken herangewagt, zum Beispiel Podcast. Wir wissen, dass die junge Generation gezielt sucht und auswählt. Daher sind wir früh ins Internet gegangen, haben Archivfunktionen im Internet eingerichtet. Rund 100 Sendungen können inzwischen als Podcast abonniert werden. Damit erreichen wir die junge Generation. Die Zugriffszahlen steigen ständig.

M | Laut Beschluss der Ministerpräsidenten dürfen Sie ab 2010 ein drittes Hörfunkprogramm veranstalten, DRadio Wissen. Was steckt dahinter?

ELITZ | Dieses Programm wird nicht nur Informationen aus Naturwissenschaft und Technik anbieten. Es wird sich natürlich der Netzwelt und allen neuen Entwicklungen in der Kommunikationstechnologie widmen. Es wird Hintergründe zu politischen Ereignissen, zu gesellschaftlichen Trends anbieten. Fachleute aus den Universitäten, aus den Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen werden aktuell Stellung nehmen. Das Publikum wird über Chats und andere Dialogmöglichkeiten in das Programm eingebunden, denn es ist der Auftrag der Medien, aufzuklären und die Interessen des Publikums aufzunehmen.

M | Bei der Gründung von Deutschlandradio hatten Sie die Aufgabe, drei sehr heterogene Sender zu fusionieren. Salopp gesagt, ging es ja auch darum, die „Kalten Krieger“ des RIAS und die „Roten Socken“ von DS Kultur zu vermählen. Was war das Schwierigste?

ELITZ | Bei uns gab es weder „kalte Krieger“ noch „rote Socken“. Es gab vielmehr Kollegen, die sehr engagiert ihre kulturelle, ihre publizistische Aufgabe wahrgenommen haben. Es war eine große Chance, die unterschiedliche Neugier der Mitarbeiter, die aus dem Osten kommend, neugierig auf den Westen waren, zu verknüpfen mit der Neugier der Westler auf die DDR. So hat jeder seine ganz persönliche Neugier und seine Fragen mit in die Programmgestaltung eingebracht. Das Ergebnis war, dass wir als einziges Medium in Ost und West sehr früh gleich hohe Marktanteile hatten. Das ist bei den Zeitungen bis heute nicht der Fall.

M | Gab es keine politischen Widerstände?

ELITZ | Aber sicher. Der Nationale Hörfunk war anfangs von vielen nicht gewollt, weder von der ARD noch von einzelnen Ländern. Ursprünglich sollten wir unsere Gebührenmittel von ARD und ZDF überwiesen bekommen. Das war mir unheimlich. Ich konnte die Ministerpräsidenten recht früh davon überzeugen, dass Deutschlandradio eine eigenständige Gebühr braucht. Und natürlich ausreichend Frequenzen. Nachdem wir gute und attraktive Programme anboten, konnten wir uns von 30 UKW-Frequenzen auf über 300 steigern. In vielen Teilen des Landes kann man zumindest eines der Programme, meist sogar beide Programme des Nationalen Hörfunks empfangen. Wir haben viel erreicht. Ich habe tolle Kolleginnen und Kollegen. Denen danke ich aus vollem Herzen.

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