20 Jahre danach: Starker Heimatsender

Anzeigenflaute und Auflagenrückgang auch im Süden – MDR sehr populär

Auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt hinterlässt die Medienkrise tiefe Spuren. Die Printmedien erleiden dramatische Auflagenverluste. Trost spendet ein starker Heimatsender mit Ostalgie-Tendenzen.


Während Mecklenburg-Vorpommern nach der Wende rundfunkpolitisch Zuflucht beim NDR suchte und in Brandenburg der ORB sich als „schlanke Anstalt“ profilierte, ehe er mit dem SFB zum RBB fusionierte, machten die drei südlichsten Neuen Länder von Beginn an Nägel mit Köpfen. Anfang 1992 nahm der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) als Dreiländeranstalt für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen den Sendebetrieb auf. Mit einem Umsatz von 666 Millionen Euro und mehr als 2.000 Mitarbeitern schaffte der Sender es im vergangenen Jahr noch einmal knapp in die vom Branchenmagazin Horizont ermittelten Top Twenty der größten deutschen Medienunternehmen.
Nach anfänglichem Dauerclinch um die Stasi-Vergangenheit leitender Mitarbeiter konnte sich der MDR einen stabilen Platz in der ARD-Familie erobern. Unter allen Dritten ARD-Programmen ist das MDR-Fernsehen beliebtester Sender im eigenen Sendegebiet. Westliche Spötter meinen, diese Popularität werde vor allem mit eher seichten Formaten wie „Musikantenscheune“ und „Riverboat“ erzielt. Dazu passt auch Superillu TV, das bislang einzige private Zeitschriftenformat im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Im Rahmen der ARD-internen Arbeitsteilung scheint der MDR auf Seichtes und (N)ostalgisches programmiert. Dass das Boulevardmagazin „Brisant“ vom MDR produziert wird, ist sicher kein Zufall. Eine eskapistische Tendenz mit Hang zum vermeintlich unpolitischen Unterhaltungsfernsehen ist unverkennbar.
Dem entspricht auch das TV-Nutzungsverhalten der ostdeutschen Bevölkerung. Nach den Daten der Arbeitsgemeinschaft für Fernsehforschung AGF schauten im Jahr 2008 die Bürger der neuen Länder täglich 42 Minuten länger fern als die Westdeutschen. In Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen lag die tägliche Sehdauer bei über vier Stunden, und damit knapp eine Stunde über dem TV-Konsum der „fernsehschwächsten“ Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg. Beliebtester Sender bei den Ostdeutschen ist nach wie vor RTL vor dem Ersten der ARD.
Für MDR-Gründungsintendant Udo Reiter, wie ein großer Teil des frühen Führungspersonals vom Bayerischen Rundfunk rekrutiert, dürfte der Hochmut mancher ARD-Kollegen gegenüber dem bespöttelten „Butzenscheiben-Idyll“ die geringste Sorge sein. Er verweist gern auf die finanziellen Einbußen, die der MDR durch den jährlichen Exodus von rund 70.000 Menschen aus seinem Sendegebiet erleidet. Gefolgt von der Forderung nach einer Reform der Gebührenverteilung, damit der „Osten“ weiterhin öffentlich-rechtliche Qualitätsstandards einhalten könne.
Not macht erfinderisch: In diesem Jahr geriet der MDR mal wieder ins Gerede, weil er offenbar Gebührengelder in riskante Wertpapiere investiert und sich dabei verzockt hatte. Nach Auffassung des sächsischen Landesrechnungshofs habe der Sender aufgrund der sich seit Mitte 2008 verschärfenden Finanzkrise „einen deutlichen Rückgang stiller Reserven“ zu verzeichnen. Die mangelnde Transparenz der Geschäfte diverser MDR-Töchter hat in der kurzen Geschichte des Senders immer wieder für kritische Nachfragen gesorgt.
Getreu dem föderalen Prinzip einer Dreiländeranstalt haben alle Regionen etwas MDR abbekommen. Die TV-Zentrale sitzt in Leipzig, während die zentralen Radioprogramme MDR Info, Figaro, Jump, Sputnik sowie das digitale MDR Klassik aus Halle senden. Dazu kommen drei Hauptregionalstudios in den Landeshauptstädten Dresden, Erfurt und Magdeburg, aus denen neben den drei Regionalradioprogrammen auch die TV-Magazine Sachsenspiegel, Sachsen-Anhalt heute und Thüringen Journal ausgestrahlt werden.

Demokratisierung „von oben“

Die in allen neuen Ländern leiden auch die wenigen Tageszeitungen Sachsens unter Anzeigenflaute und Auflagenrückgang. Dazu tragen vor allem die krisenbedingte mangelnde Kaufkraft und ein anhaltender Bevölkerungsschwund bei. Zum Beispiel Chemnitz: Die Großstadt im Süden Sachsens verlor seit der Wende rund ein Fünftel seiner Einwohner. Die regionale Monopolzeitung Freie Presse traf es ungleich schlimmer. Die einst stolze Verkaufsauflage von über 600.000 Exemplaren schrumpfte auf weniger als die Hälfte. Trotz dieser desaströsen Bilanz bleibt die Freie Presse damit die stärkste Regionalzeitung jenseits der Elbe. Anders als die meisten anderen Ex-SED-Bezirksblätter ging die Zeitung seinerzeit ohne Treuhand-Ausschreibung direkt an die Medien-Union GmbH (Die Rheinpfalz) in Ludwigshafen.
Die Demokratisierung der ideologisch geprägten Zeitungen konnte nach Auffassung der West-Verlage zunächst nur „von oben“ organisiert werden. Also mit Journalisten die aus dem Westen importiert wurden. Mittlerweile werden immer mehr Schlüsselpositionen mit im Osten sozialisierten Kräften besetzt. Jüngstes Beispiel ist der gebürtige Sachse Torsten Kleditzsch, der im Frühjahr 2009 von der Mitteldeutschen Zeitung in die Chefredaktion der Freien Presse wechselte. Bereits vor zwei Jahren wurde der Greifswalder Uwe Vetterick zum Chefredakteur der Sächsischen Zeitung berufen. Die Sächsische hat ihren noch 1990 existierenden Untertitel „Sozialistische Tageszeitung“ längst aufgegeben. Sie erscheint in der Dresdner Druck- & Verlagshaus GmbH, einer Mediengruppe, die zu 60 Prozent der Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr gehört. Das restliche 40-Prozent-Paket liegt bei der SPD-Medienholding DDVG. Neben der Sächsischen Zeitung gibt die Dresdner Mediengruppe auch das Boulevardblatt Morgenpost Sachsen mit Ausgaben in Chemnitz und Dresden heraus.
Drittstärkstes Blatt Sachsens ist die Leipziger Volkszeitung (LVZ), die 1991 zu gleichen Teilen von den Verlagen Axel Springer und Madsack übernommen wurde. Nach dem Verkauf der Regionalzeitungsbeteiligungen durch Springer ging im Februar 2009 die LVZ zu 100 Prozent in den Besitz der Hannoveraner Madsack-Gruppe über. Im Hintergrund mischt auch die SPD über ihre gut 20prozentige Beteiligung an Madsack bei der LVZ mit. Aus medienhistorischer Sicht durchaus standesgemäß: Vor dem 1. Weltkrieg galt das Blatt als wichtigstes Sprachrohr des linken SPD-Flügels um Rosa Luxemburg; als Chefredakteur agierte von 1902–1907 kein geringerer als Franz Mehring. Mit den Dresdner Neueste Nachrichten (DNN), die im selben Verlag wie die LVZ erscheinen, findet in der sächsischen Hauptstadt zumindest teilweise publizistischer Wettbewerb statt. Die DNN hatte bereits Ende 1991 mit Die Union, dem einstigen Parteiorgan der Ost-CDU Sachsens, fusioniert.
Der Auflagenkönig der sächsischen Printmedien heißt allerdings Spiesser, eine vor 15 Jahren gegründete Schülerzeitung aus Dresden. In Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung wird das Jugendmagazin seit Herbst 2007 in einer Gesamtauflage von rund einer Million Exemplaren bundesweit kostenlos an Schulen und Freizeiteinrichtungen verteilt.
Überregionale Qualitätszeitungen und -zeitschriften finden in Sachsen wie in den übrigen neuen Ländern nach wie vor nur wenig Zuspruch. Auch 20 Jahre nach der Wende existiert immer noch ein gespaltener Medienmarkt. Ein Markt, auf dem das Burda-Wochenblatt SUPERillu mehr Leser erreicht als Spiegel, Stern, Focus und Bunte zusammen. Die Erklärung dafür liefert eine von SUPERillu selbst in Auftrag gegebene, soeben veröffentlichte „tiefenpsychologische Studie über die Menschen zwischen Chemnitz und Rostock“. Demnach leistet die 1990 gegründete Zeitschrift „Übergangshilfe bei der Anpassung an eine völlig veränderte gesellschaftliche Wirklichkeit“. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine solche „Übergangshilfe“ von den westlichen Qualitätsblättern und Hochglanztiteln bislang nicht erbracht wurde. Jetzt schicken sich einzelne Westverlage an, das ostdeutsche Publikum zu erobern. So startete am 5. November die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit eine Regionalausgabe mit zwei Extraseiten für Sachsen.
Vielfältiger als die Zeitungslandschaft erscheint auf den ersten Blick die sächsische Radioszene. Laut jüngstem Jahrbuch der Landesmedienanstalten werden in Sachsen derzeit 21 privatkommerzielle und fünf nichtkommerzielle UKW-Hörfunkprogramme verbreitet. Nur in Berlin liegt die Zahl der privaten Radioveranstalter noch höher. Hört man genauer hin, reduziert sich die vermeintliche Vielfalt auf den sattsam bekannten Einheitsbrei, der unter dem Kürzel AC (= Adult Contemporary) im Äther unters Volk gebracht wird. Jagd auf die eher jüngeren Hörer machen vier landesweite Ketten: Radio PSR, R.SA, Energy Sachsen sowie Hitradio RTL Sachsen. Dass das öffentlich-rechtliche MDR-Programm Jump mit diesem Quartett um die gleiche Zielgruppe konkurriert, macht die Sache nicht besser. In der Hörergunst liegen die Privaten mit einem Marktanteil von gut 48 Prozent rund drei Prozentpunkte vor den sechs Wellen des MDR.

Privatradios überflügeln MDR

Ungleich dramatischer erscheint das Gefälle zu den Privaten für den MDR im Nachbarland Sachsen-Anhalt. Dort übertraf der Marktanteil der Privaten mit 57,9 Prozent die der MDR-Wellen um fast 14 Prozent. So krass auseinander im Ringen um die Hörergunst liegen beide Systeme in keinem anderen Bundesland. Ähnlich wie in Sachsen bedienen vier private Senderketten das Zerstreuungsbedürfnis der Hörer: Radio SAW, Radio Brocken, 89,0 RTL und Rockland Sachsen-Anhalt. Mit gut 47 Prozent schneiden sich der langjährige Marktführer Radio SAW und Radio Brocken das größte Stück vom Kuchen ab. Die SAW-Schwester Rockland Sachsen-Anhalt schrieb vor zehn Jahren sogar Mediengeschichte. Am 1. Mai 1999 startete der Sender das bundesweit erste DAB-Programm im Regelbetrieb. Eine digitale Pionierleistung, die im Mai dieses Jahres mit der Aufschaltung von Rockland auf den Digitalstandard DAB+ fortgesetzt wurde.
Dramatische Auflageneinbußen mussten auch die beiden großen Tageszeitungen in Sachsen-Anhalt hinnehmen. Statt 589.000 Exemplaren im Jahr 1989 verkauft die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) heute nur noch 221.000, was einem traurigen Rekordverlust von fast zwei Dritteln entspricht. Nicht viel besser schneidet die Volksstimme aus Magdeburg ab, deren Verkaufsauflage soeben unter die 200.000er Marke fiel. Vor der Wende war die MZ unter dem Namen Freiheit offizielles SED-Organ im Chemiearbeiterbezirk Halle. Anfang 1990 sagte sich die Redaktion von der SED/PDS los und erklärte sich zur unabhängigen Zeitung. Am 17. März erschien sie erstmals als Mitteldeutsche Zeitung. Aufgrund einer privaten Kooperationsvereinbarung ging das Blatt bereits Ende 1990 in den Besitz der Kölner Verlagsgruppe DuMont Schauberg (Kölner Stadtanzeiger, Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung) über.
Eine bewegte Wendezeit erlebte auch das einstige SPD-Blatt Volksstimme. Wie die Kollegen von der MZ erklärte auch dessen Redaktion ihre Unabhängigkeit vom bisherigen Herausgeber, der Magdeburger SED-Bezirksleitung. Eine Zeitlang bemühte sich die SPD um eine Rückgabe ihrer von den Nazis verbotenen, nach dem Krieg von der SED usurpierten Zeitung. Später verzichteten die Sozialdemokraten auf ihre Restitutionsansprüche und ließen sich stattdessen mit einem 40prozentigen Minderheitsanteil an der Sächsischen Zeitung entschädigen. Den Zuschlag für die Volksstimme erteilte die Treuhand 1991 der bis dahin im Tageszeitungsgeschäft unerfahrenen Hamburger Bauer-Gruppe.
Einziger Wettbewerber der Volksstimme ist das Nachwendeprodukt Altmark Zeitung aus der Verlagsgruppe Ippen, das schwerpunktmäßig in den Landkreisen Salzwedel und Stendal verbreitet wird. Die ebenfalls im Wendenovember gegründete Ascherslebener Allgemeine wurde dagegen bereits 1992 vom Mitteldeutschen Verlagshaus geschluckt und wenig später eingestellt.

Die Presse in Sachsen/Sachsen-Anhalt

Titel Verkaufte Auflage in Tsd. Exemplaren Differenz
Quartal/Jahr III/1989 III/1999 III/2009 1989–2009
Freie Presse Chemnitz 663,7 427,8 291,4 – 56,1%
Sächsische Zeitung 568,9 362,0 265,0 – 53,4%
Leipziger Volkszeitung 483,9 319,2 220,9 – 54,4%
Dresdner Neueste Nachrichten 38,1 26,0
Mitteldeutsche Zeitung (Halle) 589,9 354,1 221,0 – 62,5%
Volksstimme Magdeburg 453,6 277,1 198,9 – 56,2%
Naumburger Tageblatt 19,5 14,1

Quelle: IVW

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