Ältere und Betriebsräte raus

Delmenhorster Kreisblatt Verschiebebahnhof für Lokalredakteure

Jahrelang leisteten die Redakteurinnen und Redakteure des Delmenhorster Kreisblatts ihre journalistische Arbeit in guter Atmosphäre. Im Juli 2004 jedoch wurde alles anders: Der Lokalteil wurde outgesourct. Erneute „Umfirmungen“ in diesen Tagen führten zu Arbeitsplatzverlusten.

Die Leitung des Rieck Verlages, eines Familienunternehmens in sechster Generation, teilte der Redaktion damals mit, dass sie nun in einer Tochter-Firma angestellt würden. Die neue Gesellschaft „Delmenhorster Redaktions Service GmbH“ (DRS) übernahm die alte Belegschaft, die den Lokalteil für die Zeitung produziert hatte. Ein Jahr später gibt es diese Firma nicht mehr, dafür eine andere mit dem Namen „Rieck24 News Service GmbH“. Sie stellt seit dem 1. Oktober den Lokalteil des Delmenhorster Kreisblattes her – und ein Teil der alten Redaktion „ist nicht mehr“. Verlagschef Frank Dallmann begründet die Veränderungen: „Wir hatten Handlungsdruck. Da die Anzeigenumsätze zurückgegangen sind, mussten wir uns den wirtschaftlichen Gegebenheiten auf dem Zeitungsmarkt anpassen.“

„Zum Zeitpunkt der Übernahme durch die DRS dachten wir noch, dass wir alle bleiben können. Die Gehälter sollten zumindest ein Jahr lang unangetastet bleiben“, sagt Ingo Hartel, ehemaliger Betriebsrat und Redakteur der Zeitung. Denn die DRS war nach Paragraf 613a BGB verpflichtet, alle Rechte und Pflichten des Verlags zu übernehmen. Dass die DRS kein Ver­lag mehr war, sondern ein reines Dienstleistungsunternehmen, das mit dem Verlag einen Produktionsvertrag abgeschlossen hatte, war zunächst nicht zu spüren.

Freienverträge angeboten

Im Mai, pünktlich zum Ablauf des Karenzjahres, schlug die Verlagsleitung vor, für die Angestellten der Lokalredaktion einen eigenen Haustarifvertrag auszuhandeln. In der ersten Verhandlungsrunde vereinbarten die Gewerkschaften, Einblick in die Bilanz zu bekommen, um zu prüfen, wie es um die finanziellen Schwierigkeiten des Verlages stehe. Doch bevor ein zweiter Termin gefunden wurde, teilte der Verlag mit, die Redaktion hätte keinen Produktionsauftrag mehr. Der Rieck Verlag hatte der DRS den Vertrag gekündigt. Da die Firma damit vor der Insolvenz stand, blieb den Redakteurinnen und Redakteuren nichts anderes übrig, als sich auf die Angebote des Verlages einzulassen: Ein Teil der ehemaligen Angestellten wurde mit neuen, nicht mehr an den Tariflohn angelehnten Verträgen, in die neue Firma Rieck24 übernommen. Ein anderer Teil sollte ein Jahr mit 85 Prozent des ursprünglichen Gehalts in einer Transfer­gesellschaft weitergebildet werden und danach eine Abfindung bekommen. So wurde die DRS aufgelöst. Riek24 übernahm fünf der elf DRS-Mitarbeiter, davon zwei Sekretärinnen. Ein Kollege ging in Altersteilzeit. Die fünf übrig Gebliebenen landeten in der Transfergesellschaft. Sie sind zwischen 47 und 58 Jahre alt, waren im Betriebsrat des Verlages und hatten zwischen 15 und 27 Jahre als Redakteure oder Fotografen für den Verlag gearbeitet. Inzwischen wurden zwei von ihnen Pauschalistenverträge oder Abnahmegarantien als Freie bei Rieck24 angeboten.

Zu alt für Selbständigkeit

Verleger Frank Dallmann findet, sie hätten ein gutes Ergebnis erzielt. „Wir haben für einen Sozialplan gesorgt, und die Zeitung ist jetzt zukunftssicher. Wir hätten sonst den Laden dicht machen müssen. So haben wir unsere Eigenständigkeit bewahrt.“ Ingo Hartel sieht das kritischer. Rieck24 beschäftige jetzt weniger Festangestellte als vorher die DRS. Vor allem habe die Firma die Jüngeren übernommen, die sich nie im Betriebsrat engagiert hätten. Diese seien billiger und mit Arbeitsverträgen zufrieden, die nicht an den Tariflohn angelehnt sind. Das Delmenhorster Kreisblatt zeige exemplarisch, wie ein kleiner Verlag zerlegt werden könne, sagt Ingo Hartel. „Möglicherweise droht einigen von uns existenzielle Not. In unserem Alter ist es schwierig, uns auf dem Medienmarkt selbständig zu machen.“ ver.di in Hannover hat uns nicht engagiert genug vertreten. „Offenbar weil wir so wenige waren“, so Hartel.

Weitere aktuelle Beiträge

Vernetzte Frauen im Journalismus

Sich als Frau in einer Branche behaupten müssen, in der Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein entscheidende Faktoren sind: Für Generationen von Journalistinnen eine zusätzliche Belastung im ohnehin schon von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Beruf. Angesichts dieser Herausforderung sind Netzwerke und solidarische Bündnisse von großer Bedeutung. Der Journalistinnenbund (JB) hatte hierbei seit seiner Gründung im Jahr 1987 eine Vorreiterrolle inne. Sein Anliegen: Geschlechtergleichstellung in den Medien erreichen.
mehr »

In den eigenen Räumen etwas bewegen

Stine Eckert forscht zu Geschlechterkonstruktionen in den Medien am Institut für Kommunikationswissenschaft an der Wayne State University in Detroit. Ihr Buch „We can do better“ versammelt  „feministische Manifeste für Medien und Kommunikation“. Mit Ulrike Wagener sprach sie für M über die Verbindung zwischen Universitäten und Aktivismus und die Frage, wo Medien und Medienschaffende etwas verändern können.
mehr »

Gutes Ergebnis für die VG Wort

Im Jahr 2024 hat die VG Wort 165,64 Millionen Euro aus Urheberrechten eingenommen. Im Vorjahr waren es 166,88 Millionen Euro. Aus dem Geschäftsbericht der VG Wort geht hervor, dass weiterhin die Geräte-, und Speichermedienvergütung der wichtigste Einnahmebereich ist. Die Vergütung für Vervielfältigung von Textwerken (Kopiergerätevergütung) ist aber von 72,62 Millionen Euro im Jahr 2023 auf nun 65,38 Millionen Euro gesunken. Die Kopier-Betreibervergütung sank von 4,35 auf 3,78 Millionen Euro.
mehr »

Smart-Genossenschaft für Selbstständige

Smart klingt nicht nur schlau, sondern ist es auch. Die solidarökonomische Genossenschaft mit Sitz in Berlin hat seit ihrer Gründung im Jahr 2015 vielen selbstständig Tätigen eine bessere und stärkere soziale Absicherung verschafft – genau der Bereich, der bei aller Flexibilität und Selbstbestimmtheit, die das selbstständige Arbeiten mit sich bringt, viel zu oft hinten runterfällt.
mehr »