Monopolisierung der Presselandschaft in Kassel und Nordhessen
Das Betriebsklima ist eisig geworden im Kasseler Pressehaus bei der „Hessischen / Niedersächsischen Allgemeinen“ (HNA). Verleger Rainer Dierichs hatte über Jahrzehnte eine liberale Unternehmenskultur aufgebaut. Die 1200 Mitarbeiter und ihre Betriebsräte konnten sich auf ihn verlassen. Jetzt sind sie verlassen. Ippen hat fast die komplette Führung ausgetauscht und mit eigenen Leuten besetzt.
Am Ende der 28 Jahre, die Heinz G. bei der HNA in Kassel gearbeitet hatte, passte alles, was ihm dort geblieben war in einen Schuhkarton. Von seinem Arbeitsplatz war der 62Jährige im Sommer vergangenen Jahres zu seinen Chefs zitiert worden. Und die eröffneten ihm völlig unerwartet, er solle das Haus verlassen. Und zwar sofort. Freigestellt. Kaltgestellt. Heinz G. durfte noch seine persönlichen Sachen in den Karton packen. Das ist nur ein Beispiel.
Zweihundert Mitarbeiter des Verlages der HNA und seiner Zweigunternehmen mussten ihren Arbeitsplatz räumen, seit Dirk Ippen im Februar 2002 die zweitgrößte hessische Tageszeitung (Auflage 220 000) in seine Mediengruppe holte. „Da wird teilweise mit erpresserischen Methoden gearbeitet“, sagte ver.di-Sekretär Leo Rauh. Auf dem Weg in die Kantine erfuhr manch Mittfünfziger, er werde bald ein Angebot für den Vorruhestand erhalten.
Über Jahre war es nur ein Gerücht: Die liberale HNA und das Anzeigenblatt „Extra Tip“ gehörten zusammen. Unvorstellbar für viele. Starten der „Extra Tip“ und sein Chefredakteur Klaus Becker doch immer wieder hasserfüllte Pressekampagnen gegen Politiker von SPD und Grünen, den Intendanten des Staatstheaters oder gesellschaftliche Minderheiten. Doch wer sich die Unterlagen aus dem Handelsregister vornimmt, erkennt schnell: schon seit 1996 gehört der „Extra Tip“ über eine Beteiligungsgesellschaft, einen Verlag und zwei Einzelpersonen aus dem direkten Umfeld des Verlegers Rainer Dierichs, direkt an die Seite der HNA. Und seit Februar diesen Jahres hat der „Extra Tip“-Herausgeber Hartmut Benderoth seine letzten zehn Prozent verloren. An die Medienbeteiligungsgesellschaft MBG. Neuer Geschäftsführer ist Daniel Schöningh, Neffe von Ippen, Geschäftsführer der „Offenbach Post“ und Schlüsselfigur im Konzentrationsprozess.
Appetit auf noch mehr
Denn MBG hat im Sommer 2002 auch die Kontrolle über einen Anzeigenblattverlag in Witzenhausen übernommen. 17 Anzeigenblätter, 411 000 Auflage, werden jetzt von MBG gemanaged. Beim Anzeigenblatt „Kreisanzeiger“ (Auflage 64 000) im Kreis Hersfeld Rotenburg ist MBG 50-Prozent-Partner und Daniel Schöningh Geschäftsführer.
Aber auch die beiden Tageszeitungen „Hersfelder Zeitung“ und „Werra Rundschau“ haben in MBG neue Partner bekommen. Besonders brisant: Verleger Rainer Dierichs war noch vor zwei Jahren vom Bundesgerichtshof verboten worden, seine Beteiligung an der „Werra Rundschau“ von 20 auf 40 Prozent zu erhöhen. Dies schrecke künftige Konkurrenten ab und führe zu einer marktbeherrschenden Position, argumentierte das oberste deutsche Gericht. Was Dierichs verboten wurde, holte MBG nach und kaufte sich bei der „Werra Rundschau“ ein.
MBG, das ist nichts anderes als die Ippen-Gruppe und einige Einzelpersonen. Die allerdings sind allesamt Geschäftsführer oder Mitherausgeber anderer Ippen-Zeitungen. 19 Anzeigenblätter mit rund 750 000 Auflage, die Beteiligungen an den beiden „Konkurrenzzeitungen“ der HNA aufgestockt, und weitere Versuche, in Hessen zu expandieren. Das haben Ippen und seine Mitstreiter in nur zwölf Monaten in Kassel erreicht. Das Bundeskartellamt in Bonn wußte von dieser Monopolisierung nichts. Dirk Ippen zeigt sich in Interviews von einer völlig anderen Seite: „Ich bin ein wettbewerbsorientierter, ordoliberaler Marktwirtschaftler. Für mich ist Konzentration im Markt, die dem Verbraucher die Wahlmöglichkeit nimmt, nie gut“. In Nordhessen hat die Konzentration allerdings einen Namen: Dirk Ippen.
Aber Ippen schaut über Kassel hinaus. Mehr als 20 Tageszeitungen in ganz Deutschland hat er schon. Die Zeitungskrise macht ihm Lust auf immer mehr. Die „Oberhessische Presse“ in Marburg ging gerade an den Hannoveraner Verlag Madsack, der „Gießener Anzeiger“ an die Verlagsgruppe Rhein-Main. Ippen sucht größeres. Eine Beteiligung an der „Süddeutschen Zeitung“ beispielsweise. Oder: den „Tagesspiegel“ in Berlin. Das Blatt „treffe seine liberale Gesinnung“.
Solche Beteiligungsphantasien machen auch anderen Redaktionen Angst. Bei der „Frankfurter Rundschau“ zum Beispiel. Dort habe man Ippen auf einem der Flure gesehen, erzählt man sich leise. Dementiert aber gleich wieder. Und atmet auf.