Berliner, wie haste dir verändert

Nicht nur symbolisch für die Beschäftigten bei DuMont an allen Standorten: Die Ampel zeigt auf Rot vor dem einstigen DuMont-Verlagsgebäude am Berliner Alexanderplatz. Foto: Christian von Polentz/ transitfoto.de

Zusammengespart, aber noch immer eine wichtige Stimme in der Hauptstadt

Die Berliner Zeitung, ihre etwas leichtere Schwester Berliner Kurier und die zugehörigen Online-Auftritte werden heute von etwa 130 Menschen gemacht. Die Personalsituation im Berliner Newsroom und bei Berlin24 Digital – beides eigenständige GmbH – ist angespannter denn je. Leistung in der täglichen Zeitungsproduktion wird ungenügend gewürdigt. Für die Beschäftigten im DuMont-Haus in Kreuzberg kommt seit März die Sorge hinzu: Was droht ihnen, wenn der Kölner Traditionsverlag seine Regionalblätter in Kürze komplett abstößt?

Unsichere Perspektive begleitete die Macher der beiden Tageszeitungen in den vergangenen 30 Jahren immer wieder. Als Überlebende mit Ostwurzeln wurden Berliner Zeitung und Berliner Kurier in den vergangenen 30 Jahren mehrfach veräußert, die Substanz zusammengespart. Unter solchen Voraussetzungen, auf schrumpfendem Printmarkt und umkämpftem Berliner Terrain qualitativ hochwertigen Journalismus zu machen, verlangt fast Unmögliches.

Wer zu spät kommt … Privatisiert und dem rauen Wind des Marktes ausgesetzt wurde der Berliner Verlag, jahrzehntelang zum SED-Medienimperium Zentrag gehörig, im Sommer 1990. Geschätzte 250 Millionen DM sollen dafür an die Treuhand geflossen sein. Immerhin stellte die SED/PDS beim Verkauf Bedingungen, die den Start erleichtern sollten, doch bald von der Realität überholt wurden: Um die Titel des Berliner Verlags zu sichern, wurden ihre Einstellung aus inhaltlichen oder politischen Tendenzgründen ausgeschlossen, Erhaltung und Erweiterung sowie der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zum Ziel gesetzt.

Solche Rücksichten waren sinnvoll, zumal in den 45 Jahren davor kaum von Belang. Die Berliner Zeitung galt wegen des besonderen Status von Berlin nie offiziell als Organ der SED-Bezirksleitung, fungierte jedoch als Hauptstadtzeitung der Partei und wies 1990 – überwiegend im Abonnement verkaufte – 407.000 Druckexemplare aus. Das „Boulevardblatt“ aus dem Berliner Verlag, die B.Z. am Abend, später Berliner Kurier, brachte es im Straßenverkauf auf etwa 200.000 Exemplare. Die Tageszeitungsredaktionen arbeiteten im 1973 eingeweihten Verlagsgebäude am Alexanderplatz Tür an Tür mit denen weiterer auflagenstarker Blätter: Die Neue Berliner Illustrierte vertrieb DDR-weit 360.000 Hefte, ebenso viele Exemplare wurden für die Wochenpost gedruckt, die Frauenzeitschrift Für Dich lieferte wöchentlich 513.000 Exemplare aus; die einzige Fernsehzeitschrift der DDR FF dabei hatte eine 1,2-Millionen-Auflage. Insgesamt 1.153 Beschäftigte produzierten bis 1989 im größten Pressehaus der DDR und der zugehörigen Druckerei neun Titel. Ihre Auflagen waren stabil, allenfalls durch Papierkontingente begrenzt.

Berlin bleibt doch Berlin. Mit dem Flaggschiff Berliner besaß der Verlag zudem die älteste Tageszeitung Nachkriegsdeutschlands. Am 21. Mai 1945 war die erste vierseitige Nummer als „Organ des Kommandos der Roten Armee“ erschienen. Ab August 1945 firmierte sie als „Amtliches Organ des Magistrats von Berlin“. Eine antifaschistische, bald sozialistische -Linie durchzog das Blatt von Beginn an und über die Gründung der DDR hinweg. 1953 wurde die Berliner Zeitung direkt dem Zentralkomitee der SED unterstellt, agierte aber selbst in Hochzeiten des Kalten Krieges etwas offener und kritischer als die 14 SED-Bezirkszeitungen. Das blieb bis 1989 so.

Foto: Andreas Nowak

Nachdem staatliche Subventionen zum 1. April 1990 weggefallen waren, übernahm im Sommer ein Joint Venture aus der britischen Maxwell Communications und Gruner+Jahr mit dem gesamten Berliner Verlag auch die Berliner Zeitung und die 1949 gegründete B.Z. am Abend. Einerseits herrschte Goldgräberstimmung, andererseits begann marktgerechte „Sanierung“, was für die meisten Titel des Verlages das kalkulierte Aus bedeutete. G+J, der bald allein das Sagen hatte, versprach sich lediglich von den Tageszeitungen Gewinne. Herausgeber Erich Böhme wollte das Aboblatt vom Alex zur deutschen Washington Post, zum Paradepferd der Berliner Tagespresse machen. Für den Umbau stand eine durch Westimporte aufgewertete ehrgeizige Redaktion mit selbstgewähltem Chefredakteur bereit. Der Auflagenrückgang hielt sich zunächst in Grenzen, doch mit der Konkurrenz – Holtzbrinck und Platzhirsch Axel Springer – geriet man bald in einen hauptstädtischen Tageszeitungskrieg, der bis heute keinen Gewinner kennt. Im Herbst 1997 sollte ein millionenschwerer Relaunch der Berliner endlich über-regionales Format verleihen. Doch als Auflage und Anzeigenumsätze weiter bröckelten, senkte der Vorstand Thomas Middelhoff den Daumen und Gruner+Jahr überließ Holtzbrinck das Feld. Zuvor hatte es „quer durch das Haus“ Personalabbau „aufgrund der sich drastisch verschlechternden Wirtschaftskonjunktur“ gegeben, die neugegründete BerlinOnline-Gesellschaft war ebenso betroffen wie die Kurier-Redaktion, wo die Einführung eines neuen Redaktionssystems für Entlassungen verantwortlich gemacht wurde.

Proteste 2005 in der Verkaufsphase Gruner+Jahr/Holtzbrinck
Foto: transitfoto/Christian von Polentz

Insgesamt 850 Beschäftigte sollten zum 1. Juli 2002 einen neuen Arbeitgeber bekommen, Holtzbrinck wollte den Berliner Verlag mit Berliner Zeitung, Berliner Kurier, Stadtmagazin TIP, Anzeigenzeitung Berliner Abendblatt sowie „Berliner Zeitungsdruckerei“ komplett übernehmen. Nur TIP und Druckhaus sollen damals schwarze Zahlen geschrieben haben. Der geschätzte 160-Millionen-Euro-Deal rief jedoch umgehend die Kartellwächter auf den Plan und mündete in eine dreijährige Hängepartie. An deren Ende, im Oktober 2005, schlug die Georg-von-Holtzbrinck-Gruppe den Berliner Verlag wieder los. Ein britisch-amerikanisches Konsortium erhielt den Zuschlag.

Wer nicht kämpft, hat schon verloren? Gegen die branchenfremde „Heuschrecke“ Mecom von David Montgomery, der eine Rendite von 15 bis 20 Prozent erwartete, formierte sich schnell Widerstand. Die Berliner Zeitung gab sich ein Redaktionsstatut, das zum 1. September 2006 in Kraft trat und journalistische Unabhängigkeit und Qualität sichern sollte. Der gewählte Redaktionsausschuss verlangte Mitsprache selbst in Etatfragen. Nach mehrmonatigen Verhandlungen erstritten die Gewerkschaften neue Tarif-verträge für die über 700 Beschäftigten des Berliner Verlages. Ein gemeinsamer gewerkschaftlicher Ak-tionsausschuss „Wir für Euch – Ihr für uns“ hatte als Konzerntarifkommission agiert. Betriebsbedingte -Kündigungen konnten zwar nicht vollständig ausgeschlossen, aber weitgehende Informations- und Beratungsrechte auch in wirtschaftlichen Angelegen-heiten gesichert werden. Vier Betriebsräte und der Konzernbetriebsrat engagierten sich. „Ohne die Kritik am Berliner Investment relativieren zu wollen“ machte der damalige ver.di-Verhandlungsführer Martin Dieckmann die Hauptgefahren für Qualitätsjournalismus eher bei „ganz gewöhnlichen“ Verlegern und „die -Publizistik substanziell gefährdenden Unternehmensstrategien“ aus.

Proteste 2008 unter Mecom
Foto: transitfoto/Christian von Polentz

Tatsächlich endete die Mecom-Ära mit schwarzen Zahlen. Und Anfang 2009 bekam man es am Alexanderplatz wieder mit „echten“ Verlegern zu tun. Das Kölner Traditionshaus M. DuMont Schauberg, das bereits 2004 Interesse bekundet hatte, kaufte den Berliner Verlag für 152 Millionen Euro. „Wir gehen nie wieder fort. Wir sind keine Spekulanten“, wird Alfred Neven DuMont zitiert. Bis Jahresende 2015 überließ man dem Heinen-Verlag 35 Prozent des Geschäfts, danach übernahm DuMont alles, Digitalisierung und Umstrukturierung galten als Geschäftsstrategie.

Während die „digitale Transformation“ und entsprechende Investitionen eher schleppend vorangingen, wurde eine Zergliederung des Berliner Verlags in kleinste selbständige Einheiten zügig vorangetrieben. Der Boulevardtitel wurde Anfang 2015 im Zuge einer „Perspektive Wachstum“ selbst als GmbH ausgegründet. 2016 gruppierten sich 13 Tochterunternehmen rund um Berliner Zeitung und Berliner Kurier. Die Töchter waren in der Regel tariflos, Betriebsräte mussten neu gewählt werden, eine unternehmenseinheitliche Interessenvertretung lehnte DuMont ab. Kooperation wurde anders geprobt: 2010 gründete man mit Frankfurter Rundschau, Kölner Stadt-Anzeiger und Mitteldeutscher Zeitung die DuMont Redaktionsgemeinschaft, die überregionale Inhalte für alle liefern sollte. Dass die Journalist*innen der Berliner Zeitung versuchten, gegen die „Auslagerung von Kernressorts“ ihr Redak-tionsstatut ins Feld zu führen, half letztlich nichts.

Etwas Besseres als den Tod finden wir überall. Nach einer großen Entlassungswelle 2012/13 hatte der Berliner Verlag im Oktober 2016 noch 470 Beschäftigte, in den Redaktionen von Berliner Zeitung und Kurier zusammen rund 160. Ein brachialer „Neustart in der Hauptstadt“ sollte aus den roten Zahlen führen. „Projekt Kahlschlag“ nannte das Betriebsratsvorsitzende Renate Gensch. Ein solches Szenario habe es nicht einmal unter der Mecom gegeben. Tatsächlich wurden das Verlagshaus am Alex aufgegeben, Service- und Verlagsabteilungen abgewickelt oder im Konzern zentralisiert, die Redaktionen von Berliner Zeitung und Berliner Kurier geschlossen und aus dem Berliner Verlag entfernt. Stattdessen sollten die der DuMont-Holding direkt unterstellte Berlin24 Digital GmbH und eine neugegründete Berliner Newsroom GmbH die Inhalte für die mit weniger Stellen bestückten Blätter produzieren.

Acht Betriebsräte am Berliner DuMont-Standort bestanden in einer gemeinsamen Erklärung auf „Unternehmensgrundsätzen, die der Konzern missachtet“ und verurteilten „juristische Winkelzüge“, den „offensichtlichen Betriebsübergang“ zu umschiffen. Auf-halten konnten sie nichts. Es endeten auch 25 Jahre Absicherung durch Haustarifverträge. Für 90 gekündigte Redaktions- und Verlagsbeschäftigte hatten die Gewerkschaften zumindest Sozialvereinbarungen mit guten Bedingungen ausgehandelt. Nur ausgewählte Redakteur*innen durften gemäß dem Personalsparkonzept am neuen Standort antreten. Sie und etliche neu Eingestellte produzieren seit November 2016 die Inhalte für Kurier (aktuelle Druckauflage reichlich 90.000 Exemplare) und Berliner Zeitung (rd. 115.000) sowie das Online-angebot. Überregionale Berichterstattung kommt seit Oktober 2018 aus dem von Madsack gegründeten RedaktionsNetzwerk Deutschland, an dem sich DuMont zu einem Viertel beteiligt.

Abschiedsparty Berliner Verlag 2017
Foto: camcop media/Andreas Klug

Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt? Diese Devise zu folgen, wird Berliner DuMont-Redakteur*innen im erneuten Verkaufsprozess nicht leicht gemacht. Eine Stimmung „zwischen Ohnmacht und Wut, Aufbegehren und Resignation“, beobachtet Jörg Reichel, der für ver.di die 2017 unterbrochenen Haustarifverhandlungen für die Beschäftigten der Newsroom und der Berlin24 digital GmbH führt. Doch haben die Gewerkschaftsmitglieder gerade jetzt ihrer Forderungen konkretisiert: Sie wollen das Tarifergebnis übernommen sehen, das für die Rheinische Redaktionsgemeinschaft, gemeinsame Tochter von DuMont und Heinen-Verlag, im Sommer 2018 in Köln erstritten wurde. Bei einer aktiven Mittagspause im April wurden auch Entgeltangleichungen, Schutz vor Auslagerungen und Kündigung und ein Ende des Stellenabbaus verlangt. „Wir sind runtergespart, weiter geht‘s nicht. Wir brauchen ordentliche Bezahlung und gleiches Geld für gleiche Arbeit. Vor allem brauchen wir Gewissheiten“, sprach Frederik Bombosch, Vorsitzender des gemeinsamen Betriebsrats von Berliner Newsroom und Berlin 24 digital, den Protestierenden aus dem Herzen. Geschäftsführer Brell bekundete Gesprächsbereitschaft, ab Mitte Juni soll mit den Gewerkschaften verhandelt werden. Zugleich hofft man in den Redak-tionsräumen auf einen tatkräftigen (neuen) Eigentümer. Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten scheint ungebrochen.

Noch beschäftigt


Am Berliner Standort der DuMont-Verlagsgruppe sind gegenwärtig noch 245 Beschäftigte in lokalen oder konzernweiten Gesellschaften tätig, darunter 50 bei der BerlinOnline Stadtportal GmbH & Co. KG und 18 beim Berliner Abendblatt (inkl. Redaktion).
Noch 105 Beschäftigte zählt die Druckerei BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH.
Klar ist bereits, dass 2019 durch Kooperation mit dem Guttenberg-Rechenzentrum (Madsack) zwei Verlagsgesellschaften in Berlin wegfallen, betroffen sind 21 Beschäftigte.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

KI-Lösungen: Heise macht es selbst

Das Medienhaus „Heise Medien“ hat kürzlich das auf generative Künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Medienhaus „Deep Content“ (digitale Magazine „Mixed“ und „The Decoder“) aus Leipzig gekauft. Damit will Heise die Zukunft generativer KI mitgestalten. „Deep Content“ entwickelte mit „DC I/O“ ein professionelles KI-gestütztes Workflow-Framework für Content-Teams und Redaktionen. Bereits seit Juni dieses Jahres kooperiert Heise mit „Deep Content“ bei der Produktion des Podcasts „KI-Update“. Hinter der Übernahme steckt die Idee, den neuen Markt weiter zu erschließen und hohe Gewinne einzufahren.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »