Unzulängliche Medienpolitik offenbart –
Medienvielfalt und Rundfunkfreiheit auch auf europäischer Ebene sichern
„Murdoch und Berlusconi vor Kirch-Übernahme“ titelte die „Süddeutsche Zeitung“ am 26. März den Leitartikel auf der ersten Seite. Die Medienexperten der Zeitung brachten damit auf den Punkt, was Politiker, Banken, und die Öffentlichkeit an der Kirch-Krise am meisten bewegte. Die Beschäftigten und ihre Sorgen um den Arbeitsplatz rangierten erst auf Platz drei nach dem Schicksal der Fußballvereine, die jahrelang im Wechselspiel mit Kirch die Preise für die Übertragungsrechte in astronomische Höhen getrieben hatten. Letzteres wird ein Ende haben – und das ist gut so. Dies gilt hoffentlich auch für den Populismus von Ministerpräsidenten und anderen Politikern, die ihre Sportbegeisterung besonders dann zeigen, wenn es Wählerstimmen bringt. Geht es allerdings um Gebührenerhöhungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den sie zum teueren Einkauf von Übertragungsrechten genötigt haben, schlägt das Pendel populistisch wieder zur anderen Seite aus.
Schon bevor die Kirch Media AG am 8. April Insolvenz anmeldete hat ver.di die Ursachen der Kirch-Krise benannt und die Sicherung der Arbeitsplätze im Interesse der Beschäftigten eingefordert. Eine verfehlte Firmenpolitik von Kirch und seinen Managern, die falsche Absicherung dieser Politik durch überhöhte Bankkredite und eine zur Standortpolitik heruntergekommene Medienpolitik sind die bestimmenden Faktoren des Niedergangs von Kirch.
Neben Gesprächen mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter über eine Beteiligung von ver.di im Gläubigerausschuss haben wir uns mit einer persönlichen Mail- und Flugblattaktion an alle Beschäftigten der Kirchgruppe gewandt. In den Betrieben sind unsere Mitarbeiter von connexx.av aktive und kompetente Berater. Derzeit unterstützen wir die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft aller Kirch-Betriebsräte. Darüber hinaus fordern wir einen einheitlichen Tarifvertrag für die gesamte Kirchgruppe. Nach unserer Auffassung ist das die beste Lösung angesichts der Verunsicherung bei den Beschäftigten zur Absicherung ihrer Arbeitsverhältnisse und ihrer ökonomischen Situation.
Über den ökonomischen Stellenwert der Kirchpleite hinaus, von der die einzelnen Betriebe unterschiedlich betroffen sind, reicht die medienpolitische Bedeutung diese Falles. Er hat die Unzulänglichkeit einer Medienpolitik offenbart, die sich primär von standortpolitischen Gesichtspunkten leiten lässt und bezüglich Medienvielfalt und Rundfunkfreiheit keine ausreichenden gesetzlichen Regelungen verankert hat. Mit dem im Rundfunkstaatsvertrag von 1996 verankerten Modell, das die Marktanteile nach Zuschauern misst (Zuschaueranteilsmodell) wurde ein Deregulierungsprozess eingeleitet, der statt Vielfalt weitere Konzentration befördert hat. Die Dimension der Kirch-Krise zeigt auch, dass die adäquate Regulierung allein des Fernsehmarktes nicht ausreichend ist. Die Bedeutung des Rechtehandels beim Film und Sport muss ebenso neu bewertet werden wie cross-owner-ship im Hinblick auf den Printmedienbereich. Der Einstieg von Springer oder der WAZ mag manchem Medienpolitiker als nationale Lösung gerade recht sein, wirft aber neue Probleme hinsichtlich vorherrschender Meinungsmacht auf. Wir fordern eine Rückkehr zum materiellen Konzentrationsrecht, das alle für Medienvielfalt und -freiheit relevanten Märkte mit einbezieht.
Wir brauchen eine Debatte über weitere medienspezifische Regelungen. In dieser Hinsicht fordern wir, analog zum öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem politikferne Rundfunkräte auch für den privat-kommerziellen Rundfunk. Die Unabhängigkeit der Redaktionen muss durch Redaktionsstatute gesichert werden. Die Diskussionen über den Eintritt von Liberty-Media auf dem Kabelnetzmarkt haben die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Neuordnung der Medienregulierung auf Länder- und Bundesebene sowie auf der Europaebene deutlich gemacht. Wir fordern die Debatte über einen Medien- und Kommunikationsrat sowie dessen Einrichtung.
In Zeiten der Globalisierung ist eine Lösung nach dem Modell der Deutschland-AG unzureichend. Ganz abgesehen von der Janusköpfigkeit, die einerseits z.B. Bertelsmann als internationalen Medienkonzern fördert andererseits aber gegenüber Murdoch und Liberty aus einer Wagenburgmentalität heraus agiert. Wer nicht nur in nationalen, sondern mindestens europäischen Maßstäben denkt und handelt, muss bereit sein, wirksame gesetzliche Regelungen für Zulassung und Kontrolle auf nationaler und europäischer Ebene zu verankern. Das Ziel ist die Sicherung von Medienvielfalt sowie Rundfunk-, Informations- und Meinungsfreiheit. Staatsferne und politische Einflussnahme ist ein medienpolitisches Gebot. Medienmogule und -politiker wie Murdoch oder Berlusconi, die ihre Macht missbrauchen, dürfen keinen beherrschenden Einfluß auf die Medien haben.