Bewegte Geschichte(n)

Linke Medien in Deutschland zwischen Erfolg und Überlebenskampf

Was, die gibt’s noch? Mit diesem selbstironischen Claim feierte Mitte Februar die Junge Welt ihren 70. Geburtstag. Wie das Neue Deutschland, wie Jungle World, Freitag und taz zählt das Blatt zu jener Handvoll Publikationen, die sich hierzulande als linke Gegenöffentlichkeit begreifen. Ein Nischendasein, das meist täglichen Überlebenskampf bedeutet.

Noch im vergangenen Herbst sah es düster aus um das einstige Zentralorgan der Freien Deutschen Jugend. Es drückte ein Schuldenberg von fast einer Million Euro, das Eigenkapital tendierte gegen Null. Die Rettung gelang mit einem Kraftakt: Die angesammelten Schulden wurden durch einen Verzicht der Genossenschaft von Mitarbeiter_innen und Leser_innen beträchtlich reduziert, bisherige Genossenschaftskredite in Höhe von einer halben Million Euro in eine stille Einlage beim Verlag 8. Mai GmbH umgewandelt.

Zum Jubiläum erschien das Blatt mit einem Spezial unter der Schlagzeile „Seit 70 Jahren: Die Zeitung von morgen”. Das Cover zierte eine Collage aus historischen Faksimiles einer bewegten Geschichte. Dass die Redaktion sich zu dieser Geschichte bekennt, belegt der Abdruck eines Geleitworts des damaligen FDJ-Vorsitzenden Erich Honecker in der ersten Ausgabe vom 12. Februar 1947. Die einstige Millionenauflage ist indes längst auf unter 20.000 Exemplare zusammengeschnurrt. Heute begreift sich das Blatt als unabhängige „linke Zeitung für alle Altersgruppen, die marxis­tische Analyse mit engagierter, hintergründiger Berichterstattung aus aller Welt verbindet”. Thematisch konzentriert man sich auf Themen wie Antimilitarismus, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und die Kritik neoliberaler Wirtschaftspolitik. Der werktägliche Umfang liegt bei 16 Seiten, das Normalabo kostet derzeit knapp 38 Euro, das Online-Abo knapp 17 Euro. Ein Abo liefert auch Zugang zum Archiv (bis 1997). Chefredakteur ist seit 2016 Stefan Huth.

In der Vergangenheit sorgten immer mal wieder Berichte über die Beschäftigung von ehemaligen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi in der Redaktion für Unruhe. Dass man sich zur historischen Legitimität der DDR bekennt, demonstrierte das Blatt am 13. August 2011, als es zum 50. Jahrestag des Mauerbaus mit Schlagzeilen wie „Danke für 28 Jahre Club Cola und FKK” provozierte. Ein Humor, der selbst in Teilen der linken Szene nicht sonderlich gut ankam. Zum runden Geburtstag warb der Verlag soeben im Rahmen einer crossmedialen Werbekampagne mit Radiospots, in denen nach der Melodie des DDR-Kinderlieds „Kleine weiße Friedenstaube” oder dem Sprechchor „Nazis raus” um Abonnent_innen gebuhlt wurde. Anders als Radio Eins des RBB lehnte Jump, die Jugendwelle des MDR, die Ausstrahlung dieser Spots ab. Seltsame Begründung: Es handle sich nicht um Werbung für ein Produkt, sondern für eine Ideologie.

Auch die Tageszeitung Neues Deutschland hat schon wesentlich bessere Zeiten gesehen. Im 4. Quartal 2016 konnten werktäglich gerade mal 26.000 verkaufte Exemplare (einschließlich rund 2.000 e-Paper) des früheren SED-Parteiblatts ausgewiesen werden. Das entspricht einem Rückgang um rund 60 Prozent allein in den letzten zehn Jahren. Das Monatsabo kostet derzeit 38,50 Euro, das Digital­abo 22 Euro. Seit 2007 gehört die Zeitung jeweils zu 50 Prozent der Föderativen Verlags-, Consulting- und Handelsgesellschaft mbH – FEVAC, treuhänderisch für die Partei Die Linke und der Communio Beteiligungsgenossenschaft eG. Chefredakteur der Zeitung ist seit 2013 Tom Strohschneider.

Die Problemlage ist schnell beschrieben: Ein vergleichsweise hohes Durchschnittsalter der Leserschaft, eine starke Ost-Lastigkeit der Verbreitung, eine knappe Kapitaldecke. Als „sozialistische Tageszeitung” steht das Blatt der „Linken” nahe, ohne sich als Sprachrohr der Partei zu begreifen. Was nicht ausschließt, dass mit Sahra Wagenknecht eine prominente Linke-Funktionärin als Kolumnistin in Erscheinung tritt. Gelegentliche Autor_innen sind auch die Politologin Sabine Nuss von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Publizistin Kathrin Gerlof und der Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik beim ver.di-Bundesvorstand, Dierk Hirschel. Das ND beansprucht, die wichtigsten Meinungsströmungen innerhalb der demokratischen Linken zu spiegeln, zugleich „dem Osten eine Stimme” zu geben. Ein Relaunch vor gut drei Jahren konnte den Auflagensinkflug nicht stoppen.

Im Mai 2016 unterstützte der ND-Verlag per Anschubfinanzierung die Gründung von Oxi, einer neuen Monatszeitung für Wirtschaft und Gesellschaft. Spiritus Rector von Blatt und ergänzendem oxiblog ist der Pub­lizist und Ex-Chefredakteur der Frankfurter Rundschau Wolfgang Storz. Auch ND-Chefredakteur Strohschneider ist Mitglied der Redaktion ebenso wie Kathrin Gerlof. Oxi – griechisch: Nein – liefert Analysen und Debatten aus kapitalismuskritischer Perspektive. Sie ist eine eigenständige Monatszeitung, die abonniert und am Kiosk erworben werden kann. (M 2/2016 berichtete.)

Die linksalternative taz macht seit ihrer Gründung 1978 aus der Not eine Tugend. Im Zuge einer ihrer periodisch wiederkehrenden Finanzkrisen gab sie sich 1992 als wirtschaftliches Fundament den Status einer Verlagsgenossenschaft. Knapp 17.000 Genossen und ein Kapital von rund 13 Millionen sorgen für Liquidität und publizistische Unabhängigkeit. Von der Branchenkrise ist das Blatt weniger intensiv betroffen als andere Tageszeitungen. Anzeigenerlöse spielten mit einem Anteil von derzeit zirka zehn Prozent an den Gesamteinnahmen von jeher eine untergeordnete Rolle.

Gleichwohl plagt auch die taz der schleichende Leserschwund: Im 4. Quartal wies das Blatt eine verkaufte Auflage von knapp 52.000 Exemplaren aus – davon immerhin 80 Prozent Abos – das bedeutet einen Rückgang um 11,7 Prozent in den letzten 20 Jahren. Branchenweit aufhorchen ließ das vor fünf Jahren eingeführte originelle Bezahlmodell für den Online-Auftritt der taz. Bei der Variante „taz zahl ich” haben die Leser die freie Wahl, einen finanziellen Beitrag zu leisten oder weiter kostenlos zu konsumieren. Auf diese Weise wurden mittlerweile Zusatzeinnahmen in Höhe von mehr als einer Million Euro erzielt. Allein im vergangenen Jahr wurden über 3.500 Neuabschlüsse registriert. Die Gesamteinnahmen für 2016 verdoppelten sich nach Angaben von Projektmitarbeiter Nicolai Kühling gegenüber dem Vorjahr auf rund 613.000 Euro.

Wie in anderen linken Nischenpublikationen werden auch bei der taz die Mitarbeiter nicht branchenüblich bezahlt. An die Stelle des einstigen kargen Einheitslohns ist inzwischen ein Haustarifvertrag getreten, der den meisten der rund 250 Angestellten ein Einkommen von etwa 2.000 Euro monatlich beschert. Vorbildlich gelöst erscheint dagegen die Gender-Frage. Zwar folgte im Herbst 2015 mit Georg Löwisch ein Mann als Chefredakteur auf die beiden weiblichen Vorgängerinnen Bascha Mika und Ines Pohl. Löwisch berief aber umgehend zwei Frauen, Barbara ­Junge und Katrin Gottschalk, zu stellvertretenden Chefredakteurinnen. Bei der Besetzung der Ressortleitungen wird ebenfalls auf Geschlechterquotierung geachtet.

Auch im vierzigsten Jahr ihrer Existenz wartet die taz mit originellen Aktionen auf, etwa 2012 mit einer Quoten-taz zugunsten einer Gleichberechtigung der Geschlechter in den Medien. Zuletzt rief sie im Januar die taz.gazete ins Leben – ein türkisch-deutsches Webportal für Artikel, Kolumnen und Reportagen, die sich mit der aktuellen Entwicklung in der Türkei beschäftigen.

Im Herbst vergangenen Jahres wurde der Grundstein für den Neubau des Verlagsgebäudes in der südlichen Friedrichstraße gelegt. Die veranschlagten Baukosten in Höhe von 20 Millionen Euro werden teilweise über Einlagen stiller Gesellschafter aufgebracht. Bereits Ende 2017 wollen Verlag und Redaktion ihr neues Domizil beziehen.

„Der Markt der Wochenzeitungen ist ein Schrumpfkamerad.” Arnd Brummer, der Autor dieser kategorischen Aussage, muss es wissen, ging er doch als letzter Chefredakteur des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts in die Mediengeschichte dieses Landes ein. Sein Blatt mutierte 2000 zur Monatsbeilage Chrismon, zu einem publizistischen Beiwerk von FAZ, SZ und Zeit. Zwei Jahre später verschied auch die linksliberale Woche.

Im Segment der Wochenpresse verblieb außer dem Dickschiff Zeit nur noch der Freitag, hervorgegangen aus einer Fusion des DDR-Sonntag mit der BRD-Deutschen Volkszeitung. Seit der Übernahme des Freitag durch den Spiegel-Erben Jakob Augstein 2009 firmiert die Wochenzeitung als linkes Debattenorgan (Untertitel: „Das Meinungsmedium”). Nach manchen Höhen und Tiefen hat das Blatt in jüngster Zeit Fahrt aufgenommen. So stieg in den letzten beiden Jahren die Auflage um ca. 3.000 auf jetzt knapp 21.600 Exemplare, davon 17.000 Abos. Unlängst sagte Augstein im Interview mit der SZ, „nach den buchstäblich sieben mageren Jahren sind jetzt noch nicht die fetten angebrochen – aber immerhin gibt es uns noch”. Nach Augsteins Angaben macht der Freitag inzwischen keine Verluste mehr.

Großen Wert legt die Chefredaktion auf eine möglichst enge Verzahnung von Print und Online. Redaktionelle Beiträge stehen gleichberechtigt neben solchen der Community. Diese ist gedacht als Plattform für „kritische Debatten und kontroverse Sichtweisen”. In den Online-Auftritt werden täglich im Rahmen eines Syndikationsmodells übersetzte Texte aus dem britischen Guardian integriert. Ein digitales Abo kostet derzeit 2,49 Euro, das Printprodukt 3,60 pro Ausgabe.

Anfang des Jahres übernahm der streitbare Publizist Jürgen Todenhöfer den Posten des Herausgebers. Todenhöfer, ehemaliges CDU-MdB und Ex-Vorstandsmitglied von Burda-Media, erregte zuletzt mit seinem Bestseller „Inside IS”, einer Politreportage über eine Reise zum „Islamischen Staat” große Aufmerksamkeit. Beim journalistischen Establishment umstritten, lobte ihn Augstein als „eine Art Ein-Mann-Außenpolitik-Taskforce”. Mit seinem neuen Herausgeber teilt Augstein die Kritik am journalistischen Mainstream.

Nicht unerwähnt bleiben soll die Jungle World, die im Juni ihr 20jähriges Bestehen feiern kann. Entstanden ist sie als Abspaltung von der Jungen Welt infolge eines Konflikts zwischen Redaktion und Verlag, bei dem es um die politische Ausrichtung des Blattes ging. Die Jungle World, nach einem Relaunch Anfang 2016 mit einem großen J als Logo auf dem Titel, begreift sich als undogmatisch links. Ihre Verkaufsauflage wird mit knapp 12.000 Exemplaren angegeben, die hauptwirtschaftliche Stütze dürften die rund 6.000 Abonnenten sein. Inhaltliche Schwerpunkte sind die klassischen linken Themen: Kapitalismuskritik, Antirassismus, Antifaschismus, in jüngerer Zeit außerdem Islamismus und Antisemitismus. Das Standardabo schlägt mit 14,70 monatlich zu Buche, der Online-Auftritt ist kostenlos nutzbar. Ein Rezensent zeigte sich nach dem Relaunch unzufrieden, bezeichnete das Blatt als eine „Wochenausgabe der taz mit etwas prononcierterer antideutscher Ausrichtung”. Und resümierte enttäuscht: „Die Stelle einer undogmatisch linken Zeitung – jenseits des Hardcore-Antiimperialismus der jungen welt, der etwas behäbigen Pluralität des ND sowie dem zwischen SPD und Linkspartei changierenden Freitag – ist so wieder einmal vakant.”

 

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