Zeitungsmarkt im Ruhrgebiet: Verdacht auf Kungelei drängt sich auf
Auf dem Zeitungsmarkt des Ruhrgebiets ist nichts mehr wie es einmal war. Aus den ehemals konkurrierenden Verlagshäusern sind still und heimlich Geschäftspartner geworden – mit Folgen für den publizistischen Wettbewerb und die Pressevielfalt im bevölkerungsreichen Ruhrgebiet.
Der Dortmunder Verleger Lambert Lensing-Wolff (Ruhrnachrichten / Münstersche Zeitung) hat sich mit dem Marktführer WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Neue Ruhr / Neue Rhein Zeitung, Westfälische Rundschau, Westfalenpost) zusammengetan, um mit ihm – vom Kartellamt genehmigt – im Druckbereich zu kooperieren. Der Deal hat sich für ihn gelohnt. Eine von acht neuen Druckmaschinen, die für die WAZ-Druckereien in Hagen und Essen gedacht waren, wird zukünftig in Dortmund / Dorstfeld die Lensing-Blätter drucken. Zum Verleger Kurt Bauer (Recklinghäuser Zeitung / Buersche Zeitung) pflegt Lensing-Wolff ebenfalls Kontakte. An dessen Verlag soll er – bislang jedenfalls wurde dies nicht dementiert – mit 40 Prozent beteiligt sein. Und da man sich ja besser kennt und gemeinsame Geschäfte macht, war es vermutlich an der Zeit einmal über eine einvernehmliche Neuordnung der Zeitungslandschaft im Ruhrgebiet nachzudenken.
Den Anfang machte Lensing-Wolff. Der kündigte im Januar 2006 die Schließung seiner Redaktionen zum 31. März in Bottrop, Gladbeck, und Gelsenkirchen und den Verkauf der Bochumer Redaktion zum Ende des Jahres 2006 an. Wenig später zog Kurt Bauer nach, der für Ende September das Aus der traditionsreichen Buerschen Zeitung bekannt gab, die in einer Auflage von zuletzt 8.000 Exemplaren in Gelsenkirchen-Buer und Umgebung erschien. Damit wird die WAZ nun endgültig in Gelsenkirchen zum Monopolisten.
Da beim Zeitungsmonopoly alle einmal am Zug sind, war Mitte des Jahres die WAZ an der Reihe. In einem Schreiben an die Leser kündigt der WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz „Innovationen“ und eine „Bündelung der Kräfte bei der WAZ“ an. Was der offenbar gut in Eigen-PR geschulte Chefredakteur eigentlich sagen wollte: Die WAZ wird sich zum 1. Januar 2007 mit ihren Redaktionen aus Haltern am See, Datteln, Herten, Marl, Oer-Erkenschwick, Recklinghausen und Waltrop zurückziehen. Übrig bleiben wird nur noch eine neue Regionalredaktion mit Standort in Recklinghausen und ein neues „innovatives Internetkonzept“, so der Sprecher der WAZ-Mediengruppe, Peter Klossek. Dieser bestreitet zwar, dass sich die WAZ im Kreis Recklinghausen „aus der Fläche“ zurückzieht, für das Geschehen vor Ort in der Region wird zukünftig gleichwohl nur noch eine „Mobile Redaktion“ im Kleintransporter zuständig sein.
Dass nun die WAZ im Kreis Recklinghausen auf kleinerer redaktioneller Flamme kocht, wird wiederum Kurt Bauer und insbesondere Lensing-Wolff sehr gelegen kommen. Der hat sich zwar aus einigen Teilen des Ruhrgebiets weitgehend zurückgezogen. Im Norden steht er dafür gut da und hat beispielsweise schon in Dorsten und Haltern Marktanteile von, so der dortige Verlagsleiter Christoph Winck, 70 und 75 Prozent.
Gesamte Belegschaft gekündigt
Das Nachsehen haben neben den Lesern die Belegschaften: Die Mitarbeiter der geschlossenen Ruhrnachrichten-Redaktionen (oft ehemalige Betriebsräte oder andere unruhige Geister) wurden für ein Jahr in einer Beschäftigungsgesellschaft untergebracht. Bei der Buerschen Zeitung wurde gleich die komplette achtzigköpfige Belegschaft gekündigt. Immerhin: Bei der WAZ werden die Redaktionsschließungen nicht von Arbeitsplatzverlusten und Stellenabbau begleitet sein. Von den 50 Redakteuren, die zuletzt im Kreis Recklinghausen eine, so die Verlagsangabe, WAZ-Gesamtauflage von 16.000 Exemplaren betreuten, werden etwa 25 in der neuen Regionalredaktion arbeiten, der Rest wird zu Onlinern oder in anderen Redaktionen untergebracht.
„Während der öffentlich-rechtliche Rundfunk seit Jahren auf Bürgernähe setzt und die regionale Berichterstattung verstärkt, verabschieden sich die Verleger aus den Regionen“, kritisiert Jutta Klebon vom ver.di Fachbereich 8 diese „Ausdünnung der Zeitungslandschaft NRW“. Das Handeln der Verleger sei nur noch von einem „kaufmännischen Denken“ und keineswegs mehr von einem „publizistischen Denken“ geprägt. Für Klebon steht es zudem „in den Sternen“, ob die Lokalausgaben, die nicht mehr vor Ort produziert würden, die nötige Leser-Blatt-Bindung entwickeln können, um sich am Markt zu behaupten.
Nach Ansicht des Dortmunder Medienexperten Horst Röper (Formatt-Institut) praktiziert die WAZ deshalb einen „Abschied auf Raten“ aus dem Kreis Recklinghausen. „Das riecht nach einem Kompensationsgeschäft. Denn wenn man sich die Verbreitungsgebiete und die zeitliche Abfolge dieser Maßnahmen anguckt, drängt sich der Verdacht der Kungelei auf“, so Röper. Wobei er diesen „geharnischten“ Vorwurf gleich wieder einschränken muss, „da dieser Vorwurf ein Kartell unterstellt, was abzustrafen wäre“. Was wohl nie passieren wird, da man den Verlegern Gebietsabsprachen selten nachweisen kann. Nach Ansicht von Röper ist jetzt die Medienpolitik gefordert, die sich aus der „passiven Beobachterrolle“ heraus begeben solle. „Die Politik fordert zwar immer Zeitungsvielfalt, passieren tut nichts. Das Ergebnis sieht dann so aus, dass im Ruhrgebiet in den meisten Regionen allenfalls noch zwei Titel aus dem WAZ-Konzern miteinander konkurrieren.“EU-weit gäbe es inzwischen eine Förderpolitik für die Pressevielfalt, nur in Deutschland würden dafür keine Instrumente entwickelt. „Mit einem entsprechenden Fond hätte zum Beispiel die Buersche Zeitung gerettet werden können“, glaubt Röper. Die Sünden der Vergangenheit könnten damit nicht mehr kuriert werden. „Für eine Zeitung die heute stirbt, wird keine neue mehr gegründet.“