Der Spiegel: Klare Strategie vermisst

Das Verlagsgebäude in der Hamburger Hafencity – in sonnigen Zeiten von Highfligher, einem Heißluftballon, aus aufgenommen. Foto: Wikimedia.org/ Alchemist-hp

Krise beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“: Erstmals in seiner Geschichte sprach der Verlag Mitte November betriebsbedingte Kündigungen aus. 35 Mitarbeiter sind betroffen. Insgesamt fallen im Rahmen des Sparprogramms „Agenda 2018“ bis Ende nächsten Jahres rund 150 Arbeitsplätze weg. Auch der seit langem schwelende Konflikt zwischen Print und Online brachte zuletzt wieder negative Schlagzeilen. Spekulationen über eine Ablösung von „Spiegel Online“-Chef Florian Harms schienen auf der letzten Gesellschafter-Versammlung am 1. Dezember einstweilen beendet. Nur wenige Tage später wurde nun der Wechsel an der Spitze des Newsportals bekannt gegeben. 

Florian Harms muss gehen und gibt die Verantwortung an die bisherige stellvertretende Chefredakteurin Barbara Hans ab. Letztlich kam diese Entscheidung überraschend und setzt nun hoffentlich den Schlusspunkt unter eine lang andauernde Personaldebatte, geprägt durch die sukzessiven Abgänge von Georg Mascolo, Mathias Müller von Blumencron und Wolfgang Büchner. (Aktualisierung, M-Redaktion, 6.12. 2016). Dass jetzt dauerhaft Ruhe einkehrt, ist dennoch fraglich. Die Onliner beklagen seit Jahren die Zwei-Klassen-Gesellschaft beim Spiegel. Sie wollen selbst stille Gesellschafter und damit Teil der Mitarbeiter KG werden.

Mehr als 110 Beschäftigte sind seit Verkündung der „Agenda 2018“ bereits freiwillig ausgeschieden –gegen eine vergleichsweise großzügige Abfindung. Im Rahmen eines zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat ausgehandelten Sozialplans. Zu den wesentlichen Eckdaten zählen Abfindungen in Höhe von 1,3 Bruttomonatsgehältern pro Jahr der Betriebszugehörigkeit, Kinderzuschläge sowie eine Reihe von Qualifizierungsmaßnahmen. Zugleich wurde ein Sonderfonds für soziale Härtefälle in Höhe von 100.000 Euro aufgelegt.

Die ökonomische Krise geht indes weiter: Seit einiger Zeit verliert „Der Spiegel“ alljährlich konstant an die fünf Prozent seiner Auflage. Im dritten Quartal 2016 verkauften sich noch knapp 790.000 Exemplare, die harte Auflage liegt bei Abzug von Bordexemplaren nur noch bei 700.000 Ex. Der beschleunigte Rückgang bei den Abos belegt: Die Leser-Blatt-Bindung lässt nach. Auch im Einzelverkauf werden immer wieder neue Allzeit-Tiefs gemeldet – der Titel über den Terroristen Jaber Albakr (Nr. 42/16) schaffte nicht einmal die 200.000er Marke. Der Schwund beim Flaggschiff des Verlags hat einigermaßen dramatische Konsequenzen. Zuletzt erwirtschaftete der Spiegel-Verlag einen Umsatz von 182 Millionen Euro, das bedeutet ein Minus von über acht Millionen im Vergleich zum Vorjahr. Seit 2011 sank der Umsatz damit um 40 Mio. Euro. Neben der Auflage schwächelt auch das Anzeigengeschäft mit einem Minus von über zehn Prozent.

Mitte des Jahres schlug die neue Sprecherin der Mitarbeiter KG Susanne Amann in einer Rede vor den stillen Gesellschaftern Alarm. Zwar hob sie die gute Kooperation mit der Geschäftsführung bei der Umsetzung des Sparkurses hervor. Zugleich aber kritisierte sie die schleppende Entwicklung neuer Produkte. „Zentrale Projekte dauern zu lange, die Verantwortlichen drücken sich um schnelle Entscheidungen und wir haben schon wieder ein Jahr verloren“, monierte Amann. Seitdem hat sich nicht allzu viel getan. Der im Februar gestartete Versuch mit einem eigenen Regionalteil für Nordrhein-Westfalen kam über eine dreimonatige Testphase nicht hinaus. Nachdem die acht Sonderseiten in NRW floppten, sind auch die ehrgeizigen Pläne für weitere Regionalteile vom Tisch. Wenig klar erscheint auch die Perspektive zweier weiterer Projekte: Der Ausbau des englischsprachigen „Spiegel International“ stottert, obwohl gerade jetzt vor dem Hintergrund von Brexit und US-Wahlen der Zeitpunkt ideal wäre, „sich neben der New York Times und dem britischen Guardian als weitere Stimme von medialem Rang zu profilieren“, wie der Branchendienst „Meedia“ konstatierte.

Ideen und eine klare Strategie vermisst Mitarbeiter-KG-Sprecherin Amann auch beim Paid-Content-Experiment „Spiegel Plus“. Das Mitte des Jahres an den Start gegangene digitale Angebot vermarktet über den Dienstleister LaterPay ausgewählte Artikel aus der Print-Ausgabe und von „Spiegel Online“. Bislang offenbar ohne durchschlagenden Erfolg. Brancheninsider Jens Rehländer wunderte sich in seinem Blog, „dass eine Nachrichten-Website glaubt, verkäufliche Inhalte zu produzieren“. Wobei beim Modell „Spiegel Plus“ hinzukomme, „dass die meisten Inhalte aus dem Heft stammen und zumindest für Printleser schon tagelang auf dem Markt waren, bevor Spiegel Online auch seine Community dafür abkassieren will“.

Unter keinem guten Stern steht auch das Projekt „Spiegel Daily“, eine digitale Abendzeitung mit den wichtigsten News des Tages. Die Erfolgsaussichten erscheinen düster, gemessen an den bisherigen mageren Kommerzialisierungserfolgen von Nachrichtenjournalismus im Netz. Zwar stieg der Umsatz von „Spiegel Online“ 2015 immerhin um rund sechs Prozent. Aber auch nach Auffassung der Mitarbeiter KG stößt „das werbefinanzierte Reichweitenmodell an seine Grenzen“ – früher oder später. Eine ähnlich unsichere Perspektive wird dem digitalen Jugendportal „Bento“ attestiert.

Daneben hat der Verlag weitere neue Printprodukte in die Welt gesetzt. Darunter das Supplement „Literatur Spiegel“, das den „Kultur Spiegel“ ersetzt hat; außerdem den monothematischen Ableger „Spiegel Biografie“. Als nächstes soll „Spiegel Classic“ auf dem Markt lanciert werden, ein Magazin für „Best Ager“ zum Copypreis von 4,90 Euro. Als Erscheinungstermin wird der 21. März 2017 angepeilt, die Startauflage soll bei 165.000 Exemplaren liegen. Ventiliert wird auch das Projekt einer Programmzeitschrift. Details sind aber bislang nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Dass solches Klein-Klein die dramatischen Umsatzverluste des Flaggschiffs auch nur annähernd kompensiert, erscheint mehr als zweifelhaft. Branchenexperten sind der Auffassung, nötig seien eher wachstumsstarke Zukäufe. Nochmal Kritiker Jens Rehländer: „Für mich hat die Marke Spiegel als Qualitätsversprechen erheblich an Ansehen verloren, das Profil ist verwässert – zumindest Online.“

 

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