Zeitenwende beim Springerkonzern – erstmals seit 27 Jahren drohen Entlassungen
Hiobsbotschaft bei Springer:Redaktionen und Verlage von „Berliner Morgenpost“ und „Die Welt“ werden zusammengelegt. Eine gemeinsame Redaktion produziert künftig die Inhalte beider – formal vorläufig weiterhin selbständigen Zeitungen, dju und ver.di sprechen von „Kahlschlag und „Mogelpackung“.
Selten wohl wurde ein publizistisches Abbruchunternehmen auf zynischere Weise publik gemacht: „Die Welt schlägt Wurzeln. Und der âBerliner Morgenpost‘ wachsen Flügel.“ Doch bei der „Zeitenwende“ auf dem Berliner Zeitungsmarkt, die unter Redaktionskürzel den Lesern der „Welt“ angekündigt wurde, handelt es sich schlicht um einen massiven Fall von Pressekonzentration, deren reale Auswirkungen erst ansatzweise sichtbar sind. Wie „Welt“-Chefredakteur Wolfgang Weimer auf getrennt abgehaltenen Betriebsversammlungen erklärte, sind von der Maßnahme alle Ressorts betroffen. Die Verfechter der „Zeitenwende“ geben sich konstruktiv: Die „Welt“ solle von der Regionalkompetenz der „Morgenpost“ ebenso profitieren wie diese umgekehrt von der überregionalen Kompetenz der „Welt“. Bei der dju in ver.di hält man den Vorgang dagegen für „Kahlschlag und Mogelpackung“. Die „Zusammenlegung von Redaktionen hinter der Fassade angeblich eigenständiger Titel ist angesichts des Personalabbaus in dreistelliger Höhe nicht nur unsozial, sondern auch eine Täuschung der Leser“, erklärte der stellvertretende dju-Bundesvorsitzende Manfred Protze.
Der drohende „Content-Einheitsbrei âMopo-Welt'“ sei „kein Beitrag zu journalistisch-publizistischer Vielfalt“, sondern werde eher „den Abonnenten- und Käuferschwund der âMorgenpost‘ am hart umkämpften Berliner Markt verstärken“. Bei genauerem Hinsehen erweist sich die „Morgenpost“ als klare Verliererin dieses Manövers. Sie wird künftig die Inhalte der „harten“ Ressorts Politik und Wirtschaft weitgehend von der „Welt“ übernehmen. Die „Welt“ wiederum bedient sich noch ausführlicher als bisher aus dem regionalen und lokalen Angebot der „Morgenpost“, aus dem sie zuletzt bereits 40 Prozent der Inhalte bezog.
Im Zuge der Fusion werde die „größte Zeitungsredaktion Deutschlands“ entstehen, schwärmt Doppel-Chef Weimer. Ein Euphemismus, der nicht verschleiern kann, dass unter dem Strich durch die Nutzung der berühmten „Synergieeffekte“ Arbeitsplätze wegfallen werden. „Wir wollen betriebsbedingte Kündungen unbedingt verhindern“, gibt sich „Welt“-Betriebsratsvorsitzende Petra Pulver kämpferisch. Ehe verhandelt werde, müsse die Chefredaktion erst mal ein Konzept vorlegen. Dass für „Welt“ (Springer) und „Morgenpost“ (Ullstein) zwei verschiedene Betriebsräte zuständig sind, macht die Sache nicht einfacher.
Misere zum Teil hausgemacht
Betriebsbedingte Kündigungen hat es bei Springer seit 1975 nicht mehr gegeben als es im Gefolge drastischer Ölpreiserhöhungen durch die OPEC vorübergehend zu einer tiefgreifenden Energie- und Weltwirtschaftskrise kam. Bei den „Morgenpost“- Kollegen drängt sich der Eindruck auf, vor allem sie müssten nun den Kopf hinhalten für die wirtschaftlichen Folgen der sich anbahnenden Rezession. Zugleich trägt die gegenwärtige Misere bei Springer deutlich hausgemachte Züge.
Zwar leiden fast alle Berliner Tageszeitungen unter Auflagenschwund und wachsendem Kostendruck. Nur der „Tagesspiegel“ verbucht nach einer Kur behutsamer Verjüngung und Modernisierung eine bescheidene Zunahme der Verkäufe. Doch während „Tagesspiegel“ und „Berliner Zeitung“ seit Jahren in den roten Zahlen stecken, erzielte die „Morgenpost“ bislang immerhin bescheidene Gewinne. Umso unverständlicher, dass gerade sie jetzt einem schwer nachvollziehbaren verlegerischem Kalkül geopfert wird. Die soeben handstreichartig verkündeten Sparmassnahmen sind Bestandteil des rigorosen Sparkurses, den der scheidende Springer-Vorstandschef August Fischer Anfang November bekannt gab. Das Streichkonzert sieht vor, bis zum Jahr 2003 jede zehnte Stelle in Europas größtem Zeitungshaus abzubauen, das sind rund 1.400 Jobs. Die Blütenträume vom Aufstieg zum internationalen Multimediahaus sind geplatzt (s. MMM 12 / 01). Nun geht es auch dem Kerngeschäft des Konzerns, den Printmedien an den Kragen. Die Verantwortung für eine Fülle strategischer Fehlentscheidungen trägt der am 1. Januar inthronisierte neue Vorstandschef Mathias Döpfner, bis Ende 2001 zuständig für Zeitungen und Multimedia.
Intern ist die Rede von bis zu 260 Stellen, die insgesamt am Springer-Standort Berlin eingespart werden sollen. Insider halten es für ausgemacht, dass die jetzt beschlossene Fusion der Redaktionen von „Welt“ und „Morgenpost“ über kurz oder lang zu einer völligen Verschmelzung beider Titel führen wird. Und damit zum Exitus der „Morgenpost“, die noch vor drei Jahren stolz ihren 100. Geburtstag feierte. Das könnte das Ende des traditionsreichen Ullstein Verlages einläuten, in dem neben der „Morgenpost“ auch das kriselnde Boulevardblatt „BZ“ erscheint. Schon wird über eine mögliche Fusion der BZ mit der „BILD“-Ausgabe Berlin-Brandenburg spekuliert. Verlagssprecherin Carola Schmidt dementiert: „Solche Pläne gibt es nicht. Den Ullstein Verlag wird es auch weiterhin geben.“ Nach Angaben des Betriebsrates sollen allerdings auf Ullstein laufende Arbeitsverträge der „Morgenpost“-Kollegen demnächst in Springer-Verträge umgewandelt werden.
Erstaunen löst zudem die Ankündigung aus, wonach der scheidende ZDF-Intendant Dieter Stolte vom 1. April kommenden Jahres an die Herausgeberschaft von „Welt“ und „Morgenpost“ übernimmt. Was den TV-Mann für diese Aufgabe qualifiziert, erscheint unklar. Der Ruf eines fähigen Zeitungsmanagers eilte Professor Stolte jedenfalls bis zur Stunde nicht voraus.