Digitale Chancen

Ambitionierte Filmemacher nehmen Verwertung selbst in die Hand

Die neuen digitalen Verwertungsformen des Dokumentarfilms der Zukunft werden sehr unterschiedlich eingeschätzt. Skeptiker sprechen von der „Diktatur des Digitalen und der neuen Technologien“ und einer unüberschaubaren Bilderflut. Optimisten wittern hingegen neue Chancen und eine zunehmende Selbstbestimmung der Zuschauer.

Vermarkter des Dokumentarfilms im Internet kennen keine Illusionen: Einen Film als Kunst oder Dokumentarfilm zu bezeichnen, sei das schlechteste Verkaufsargument, so Nils Zehnpfennig vom DVD-Vertrieb Alive AG. Dokumentarfilme sind auf der Verkaufs-Hitliste von Alive unter „Special Interest“ geführt. Als populäres Beispiel benannte Zehnpfennig Michael Moores Film „Fahrenheit 9/11“. Der Dokumentarfilm nimmt Kriegs- und Profitinteressen der amerikanischen Wirtschaft ins Visier – sowie die zweifelhafte Rolle des US-Präsidenten George Bush im Zusammenhang mit den Terroranschlägen am 11. September 2001. Verkaufsschlager sind nach dieser Hitliste jedoch in der Regel nicht politische Dokumentationen, sondern Musikfilme wie der US-Film „The secret“ von Drew Heriot aus der Sparte „Spiritualität und Weisheit“: mit einer eher platten Motivationsgeschichte, nach dem Motto „Du musst nur reich und glücklich werden wollen, dann klappt es schon.“

Eigenen Marktplatz schaffen

Wie aber findet der anspruchsvolle Dokumentarfilm zu seinem Publikum? Cay Wesnigk, Autor und Regisseur und im Vorstand der Onlinefilm AG, hat 2001 eine genossenschaftliche Initiative gegründet. 122 Filmemacher und Produzenten wollen die digitale Verwertung selbst in die Hand nehmen. „Damit die Dokumentarfilmer nicht am Ende der Verwertungskette stehen und mit wenigen Euro abgespeist würden, müssen die Filme fair gehandelt werden“, so Wesnigk. Dazu gebe es keine Alternative. Ähnlich den Fair-Trade-Initiativen mit Produkten aus der so genannten Dritten Welt sollten nicht mehr die Zwischenhändler profitieren, sondern die Produzenten. „Wir wollen uns von dieser Kette unabhängig machen und unseren eigenen Marktplatz schaffen.“ Die rasante technische Entwicklung der letzten Jahre kommt dieser Idee entgegen: Zur DOK Leipzig präsentierte Wesnigk zusammen mit der Stiftung Kulturserver.de gGmbH die erste Version ihrer Distributionssoftware. Auf der Internetplattform Onlinefilm.org können Filmemacher als Video-on-Demand ihre Filme selbst einstellen und verkaufen. Der offizielle Marktstart soll auf der nächsten Berlinale Anfang 2008 sein. Die EU hat den Aufbau der Plattform in diesem Jahr mit 300.000 Euro gefördert. Weiterhin steht die Option offen, in den kommenden zwei Jahren nochmals je 300.000 Euro zu beantragen. Vorraussetzung sei allerdings, dass weitere 200 Genossenschafter ins Boot kommen und in Aktien zum Preis für 500 Euro investieren. Erst dann könne der Internetvertrieb mit den bereits bewilligten Geldern der EU starten. Denn ohne Eigenbeteiligung sind die EU-Gelder nicht abrufbar. Griechenland, Litauen und Lettland sind beim Projekt bereits beteiligt. Beim Antrag für die EU-Förderung des kommenden Jahres seien Italien, Zypern und Slowenien mit von der Partie, so Wesnigk. Weiterhin sei die Onlinefilm AG mit Dokumentarfilm-Initiativen aus Holland, Österreich, Ungarn, Bulgarien und Portugal im Gespräch.

Licht am Ende des Tunnels

In der Schweiz ist man weiter. Dort gibt es bereits unter der Regie von Matthias Bürcher, der ein Privatunternehmen führt, einen Handel von Schweizer Autorenfilmen. Artfilm.ch bietet rund 1000 Filme und rund 700 DVDs über die Webseite www.artfilm.ch an. Auf gut strukturierten Seiten wird informatives Material zu den Filmen geboten: Synopsis, Absicht des Regisseurs, Filmographie, Interviews, Kritiken, Photos, Trailer sowie Filmausschnitte als Streaming. Mit den Schweizern beabsichtige die Onlinefilm AG zu kooperieren, sagt Wesnigk.

Der Medienjournalist Frank Patalong (Spiegel-Online) prognostizierte kürzlich bei einer Veranstaltung der Dokumentarfilminitiative im Filmbüro Nordrhein-Westfalen (dfi) in Köln Licht am Ende des Tunnels: Video-on-Demand und das Abruf-Fernsehen (Vodcast, kostenlos im Internet zu beziehen) sei für die Filmer als Chance zu begreifen. Zuschauer könnten die Filme zur besten Sendezeit wahrnehmen, der Nutzer mache das Programm, nicht mehr der Sender.

Eine andere Möglichkeit ist das digitale Bezahlfernsehen – inzwischen gibt es ein halbes Dutzend Sender allein in Deutschland. Discovery oder History und Biography Channel wollen eben nicht nur Ware ihrer US-Mutterfirmen synchronisiert oder untertitelt abspielen, sondern durchaus auch mit ambitionierten deutschen Dokfilmern kooperieren. Millionär kann man dabei allerdings nicht werden – und muss sich an internationalen Standards messen.
Weniger optimistisch sehen es die Praktiker. Der Filmemacher Lutz Dammbeck, der in Hamburg und Dresden lebt, spricht von der „Diktatur des Digitalen und der neuen Technologien“. Menschen würden mit einer Bilder- und Informationsflut dazu gebracht, nichts mehr verstehen zu können. Das Publikum für ambitionierte Dokumentarfilme werde abgeschmolzen. Seinen Film „Das Netz“ hat er 1999 begonnen und 2003 beendet. „Schon an der Zeitspanne können Sie sehen, dass mir der Film nicht viel eingebracht hat“. Die DVD hat Dammbeck 1200 Mal über seine Internetseite „www.t-h-e-n-e-t.com verkauft, an Universitäten seien sie „rauf und runter raubkopiert worden“.
Auch der renommierte Fernsehautor Martin Kessler hat mit seiner Trilogie „Neue Wut“ (www.neuewut.de) als einer der Vorreiter Erfahrungen mit der Verwertung im Internet. Mit den beiden bereits fertig gestellten Filmen der Trilogie „Neue Wut“ über den Sozialprotest gegen die Agenda 2010 und „Kick it like Frankreich“ über den Widerstand gegen die Studiengebühren tourte er durch die Republik. Er bietet Subskriptionen, betreibt einen Eigenverleih, wirbt für Spenden von Stiftungen und für die Einbindung seiner Filme in die Bildungsarbeit. Beide Filme wurden jeweils weit über 1.000 Mal als DVD verkauft. Jetzt steht der dritte Film der Reihe „Neue Wut“ über den G8 Gipfel auf dem Plan. Doch derartige Produktions- und Arbeitsbedingungen gingen an die Substanz, konstatiert Keßler.

Zu wenig TV-Sendeplätze

Politische Filmemacher sind auf Förderung und einen „öffentlichen Resonanzboden“ für ihre Filme angewiesen. Gerade in den letzten Jahren gibt es dafür weniger Geld und weniger Sendeplätze im herkömmlichen Fernsehen. Keßler fordert deshalb, dass solche Filme stärker in die politische Bildungsarbeit einbezogen werden, von Gewerkschaften, Universitäten, Schulen etc. Was an kritischer Öffentlichkeit im TV verloren gehe, müsse anderswo hergestellt werden. Außerdem müssten Stiftungen mehr gesellschaftskritische Filmer fördern, um ihnen den Rücken freizuhalten. Und für diesen Zweck könnten Mittel aus den öffentlich-rechtlichen Rundfunkgebühren zur Verfügung gestellt werden. Denn die kritische Betrachtung politischer Vorgänge gehöre eindeutig zur Grundversorgung, und entspreche dem verfassungsgemäßen Auftrag zu Information und Bildung, so Keßler.

Neue Kooperation von DOK Leipzig und 3sat

Der deutschsprachige Sender 3sat und DOK Leipzig starten eine neue Kooperation zur Unterstützung des künstlerischen Dokumentarfilms in Form eines thematischen Projektwettbewerbs: Filmemacher aus dem deutschsprachigen Raum sind bis zum 15. Januar 2008 dazu aufgerufen, ihre Ideen einzureichen – drei davon werden von 3sat produziert und im Rahmen von DOK Leipzig 2008 (27.10.–02.11.2008) vorgestellt. Gesucht sind Produktionen, die sich mit dem Motto „Mein Leben in Sicherheit“ auseinander setzen – gefragt sind hierbei eigenwillige Konzepte und vielfältige Handschriften jenseits formatierter Fernsehdokumentationen. Längen zwischen 30 und 90 Minuten sind möglich.

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