Digitaler Wandel „gewinnt an Tempo“

Zeitungsdruck Foto: Adobe Stock

Wenn die Printbranche sich mit Forderungen an die Politik wendet, zeichnet sie meist ein düsteres Bild von der ökonomischen Entwicklung. Eine teilweise andere Sprache spricht der soeben veröffentlichte „BDZV-Branchenbeitrag 2022“: In dieser Publikation „Zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Tageszeitungen“ stellt der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger der Branche ein eher positives Zeugnis aus. Tendenz: Vor allem der digitale Wandel „gewinnt an Tempo“.

2021 sei es den Zeitungsverlegern gelungen, „den coronabedingten Umsatzrückgang im Vorjahr wieder aufzuholen“, heißt es in der Analyse. Er stieg demnach leicht um 0.6 Prozent auf 7,2 Milliarden Euro. Zu verdanken ist dies vor allem dem verbesserten Anzeigengeschäft: Mit einem siebenprozentigen Plus auf 1,95 Mrd. Euro liegen die entsprechenden Einnahmen aber nach wie vor „gut ein Zehntel“ niedriger als im Vor-Corona-Jahr 2019. Dagegen stiegen die Vertriebsumsätze gerade mal um 1,5 Prozent auf 5,25 Mrd. Euro, ein Plus von sechs Prozent gegenüber 2019.

Daran ist zweierlei bemerkenswert. Erstens: Der Verlust eines großen Teils des Anzeigengeschäfts an die US-Techno-Riesen Google, Facebook und Co. ist trotz der temporären Rückgewinne wohl irreversibel. Vorbei die goldenen Jahre der vordigitalen Ära, als die Printerzeugnisse sich noch zu zwei Drittel aus Anzeigen und zu einem Drittel aus dem Vertrieb finanzierten. Inzwischen hat sich dieses Verhältnis mehr als umgekehrt.

Zweitens ist der marginale Anstieg der Vertriebsumsätze nicht etwa einer Steigerung der Printauflagen zu verdanken. Er resultiert vielmehr aus teilweise deftigen Preiserhöhungen, die die meisten Verlage ihren Abonnent*innen und Einzelkäufer*innen inzwischen fast schon gewohnheitsmäßig aufdrücken. Dieser Trend dürfte sich auch im laufenden Jahr fortsetzen. Ein krasses Beispiel liefert der Berliner „Tagesspiegel“ mit einer aggressiven, geradezu inflationsfördernden Vertriebspreispolitik: Anfang 2022 stieg der Copypreis für die Werktagsausgabe um zehn Prozent auf 2,20 Euro, der Preis für die Sonntagausgabe gar um 40 Cent auf glatte drei Euro – eine Erhöhung um mehr als 15 Prozent.

Nach dem ersten Corona-Jahr normalisierten sich die Zeitungsverkäufe 2021 wieder. Abb. BDZV

Unter dem Strich ist die Gesamtauflage der Tageszeitungen einschließlich der Sonntagsausgaben und Sonntagszeitungen weiterhin rückläufig. Laut IVW-Statistik wurden im 2. Quartal 2022 pro Erscheinungstag durchschnittlich 13,02 Exemplare verkauft, knapp 5,8 Prozent weniger als im Vorjahr (2/2021:13.82 Mio. Ex.). Dabei gewinnt die E-Paper-Auflage laut Branchenanalyse „weiter erheblich an Bedeutung“. 2021 lag sie bei 2,21 Mio. Exemplaren, was einem Zuwachs um zehn Prozent entspricht.

Tatsächlich nimmt die Digitalisierung in der Branche Fahrt auf. Erstmals, so die stolze Bilanz des Reports, setzten die Zeitungsverlage 2021 mit ihren digitalen Angeboten „mehr als eine Milliarde Euro um“.  Davon stammte gut ein Drittel aus dem Vertrieb von E-Paper-Exemplaren. Trotz solcher Erfolgsmeldungen ist für die Gesamtbranche noch reichlich Luft nach oben. Zum Vergleich: Der Axel Springer Verlag erwirtschaftete bereits im Jahr 2019 rund 73,3 Prozent des Umsatzes im digitalen Bereich.

Jedoch machten die Erfolge bei der Digitalisierung mit den in diesem Bereich erzielten Einnahmen die Einbußen im Printgeschäft „bei weitem nicht wett“, so die Autoren der Studie. Es werde immer schwieriger, die Kosten für Druck und Zustellung einzuspielen. Die Verlage steckten in einer „Kostenschere, die durch steigende Energie- und Papierpreise noch vergrößert wird“. Allein 2021 seien die Kosten für Papier „förmlich explodiert“, um 37,8 Prozent.  Auch Strom habe sich für Großhandelskunden im Jahresdurchschnitt um 30 Prozent verteuert.

„Gewaltige Probleme“, so wird auguiert, drohten den Verlagen durch die Einführung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde ab 1. Oktober. Dies laufe auf eine Erhöhung gegenüber dem Ist-Zustand um 22 Prozent hinaus. Nach BDZV-Rechnung ergibt das Zusatzkosten von 220 Mio. Euro. Zustellungskosten, die seit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 bereits um 400 Mio. Euro gestiegen seien.

Immerhin verweist die Studie darauf, dass die Personalkosten weitgehend unverändert geblieben seien. Denn die Journalistengewerkschaften hätten den Corona-Tarifvertrag mit dem BDZV um ein Jahr bis Ende 2021 ohne Tariferhöhung verlängert (Ausnahme: drei zusätzliche freie Tage für Redakteure). Der nun geltende Tarifvertrag halte auch „für die tarifgebundenen Verlage die Zusatzbelastungen bei den Personalkosten in Grenzen“: Mit dem März-Gehalt erhielten die Redakteure an Tageszeitungen eine Corona-Sonderprämie von 500 Euro, hinzu kommen 1,5 Prozent mehr Gehalt ab 1. September. Bei Volontären steigt die Ausbildungsvergütung gleichzeitig um 100 Euro pro Monat. Die Entgelte der Arbeitnehmer in der Druckindustrie wurden ab 1. Mai um zwei Prozent erhöht.

Speziell zum Ausgleich der „Deckungslücke“ durch gestiegene Vertriebskosten erwartet der BDZV von der Ampel- Regierung finanzielle Unterstützung, schon im Interesse der Bevölkerung an einer Versorgung mit seriösen Informationen. „Wir sprechen hier nicht von einer Förderung bis in alle Ewigkeit“, zitiert die Studie die seit April amtierende neue BDZV-Hauptgeschäftsführerin Sigrun Albert, „sondern für eine Übergangsphase, bis alle Kundengruppen digitale Medienprodukte akzeptiert haben“.

 

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