Das in der „Welt“ veröffentlichte Schreiben von Matthias Döpfner an EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen gegen die Daten-Allmacht amerikanischer und chinesischer Tech-Giganten ist „wohlfeil“ und „durchschaubar“. Es sei vor allem der Versuch, einen Teil vom Kuchen der Konkurrenz auf dem Teller des eigenen Medienunternehmens landen zu lassen, heißt es in einem Offenen Brief des stellvertretenden dju-Vorsitzenden Peter Freitag an den Vorstandschef von Axel Springer.
Sehr geehrter Herr Döpfner,
so viel fundamentale Kapitalismuskritik hätten wir Gewerkschafter von Ihnen, dem Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer SE und Präsidenten des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger, ehrlich gesagt, nicht erwartet. In einem mit „Totale Transparenz endet immer totalitär“ überschriebenen offenen Brief an die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen prangern Sie an, dass Facebook, Amazon, Apple & Co. Menschen zu „Marionetten kapitalistischer Monopole“ machen. Sie begründen das mit den „zweifelhaften Praktiken“ der großen werbefinanzierten Internetplattformen, die ihre Kunden mit fast schon geheimdienstlichen Methoden ausspähen, um ihren Profit zu maximieren. Sie prangern mit Verweis auf eine Formulierung der Harvard-Professorin Shoshana Zuboff einen „Überwachungskapitalismus“ an, der die Bürger immer transparenter und die Plattformen immer reicher macht.
Dieser Einschätzung können wir uns als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter durchaus anschließen. Auch wir lehnen intransparentes und menschenrechtlich bedenkliches Datamining ab. Auch wir sind der Meinung, dass die Übermacht von Facebook, Amazon, Apple & Co. dringend gesetzlich beschränkt und die informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger gestärkt werden muss. Sie beenden Ihren offenen Brief an Kommissionspräsidentin mit dem Appell, „die Übermacht monopolistischer Plattformen aus Amerika und China“ zu beschränken, damit Milliardenbeträge von den Werbemärkten dieser Welt unter anderem wieder an „Tausende von Verlagen“ sowie Künstlerinnen und Künstler zurückfließen.
Sie hätten uns als Gewerkschaft sogar als natürlichen Bündnispartner und unsere Mitglieder als Medienschaffende sogar als Mitstreiter*innen – wenn wir Sie nicht genauer kennen würden.
Als gewerkschaftliche Interessenvertretung von festangestellten und freiberuflichen Medienschaffenden setzen wir uns als Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di dafür ein, unsere Kolleginnen und Kollegen an den finanziellen Erlösen der Medienunternehmen zu beteiligen – durch eine faire tarifliche Entlohnung und durch angemessene Honorare. Leider scheitert dies nur zu oft an den Funktionären und Mitgliedsunternehmen des Verbandes, den Sie repräsentieren. Seit Jahren koppeln diese die Beschäftigten unserer Branche von der Einkommensentwicklung der Gesamtwirtschaft ab, fördern Tarifflucht, indem sie Verlagen eine sogenannte OT-Mitgliedschaft ermöglichen, und torpedieren die von den Tarifparteien vereinbarten Allgemeinen Vergütungsregeln für hauptberufliche freie Journalistinnen und Journalisten.
Wir fordern Sie auf, auf ihre Mitgliedsverlage, die als journalistische Arbeit- und Auftraggeber inzwischen in vielen Regionen Deutschlands eine quasi-monopolistische Stellung besitzen, einzuwirken, damit sie dieses Monopol nicht immer weiter zum Lohn- und Honorardumping missbrauchen. Ganz aktuell scheitern sogar viele daran, als Freie und Angestellte Corona-Prämien von ihren Verlagen zu bekommen.
Nutzen Sie ihr Amt als Präsident des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger, um auf die Verlage und die immer zahlreicheren outgesourcten Redaktionsbetriebe einzuwirken, damit diese sich zu den Flächentarifverträgen unserer Branche bekennen. Wirken Sie auf die Funktionäre Ihres Verbandes ein, damit diese sich nicht länger mit fadenscheinigen kartellrechtlichen Ausflüchten vor ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur angemessenen Vergütung von Urheberinnen und Urhebern drücken. Stehen Sie einer Reform des Urhebervertragsrechts im Sinne der zahlreichen Urheberinnen und Urheber, von deren Arbeit ihre Mitgliedsunternehmen tagtäglich profitieren, nicht länger im Weg. Machen Sie Journalistinnen und Journalisten nicht zu „Marionetten kapitalistischer Monopole“.
Stichwort Intransparenz: Wieso stellen Sie sich nach wie vor gegen die Bildung von Wirtschaftsausschüssen in Ihren Unternehmen? Wieso schieben Sie einen immer fadenscheinigeren sogenannten Tendenzschutz vor, der in komplexen Medienkonzernen anders als in alle anderen Branchen die Einsichtnahme in die wirtschaftlichen Kennzahlen verhindert?
Für uns erscheint Ihr offener Brief aus Sicht der Medienschaffenden wohlfeil. Sie beanspruchen eine Meinungsführerschaft in der Regulierung von global agierenden Plattform-Unternehmen und wollen den Eindruck vermitteln, dadurch auch den Interessen von Kreativen in Kunst und Medien zu dienen. Tatsächlich wird der Kampf zur Stärkung der Rechte von Urheber*innen und der wirtschaftlichen Teilhabe von Medienschaffenden aber getrennt geführt, weil Sie als Verbandsspitze und Vorstand eines Medien- und Tech-Konzerns nicht ansatzweise Kooperationsbereitschaft gezeigt haben. Nicht als Verhandlungspartner und auch nicht als politischer Bündnispartner. So erscheint Ihr offener Brief durchschaubar als Versuch, einen Teil vom Kuchen der Konkurrenz auf dem Teller ihres Medienunternehmens landen zu lassen.
Peter Freitag, stellvertretender Vorsitzender
der Deutschen Journalistinnnen und Journalisten-Union (dju) in der ver.di