Der Fernseh-Boom in NRW schafft Arbeitsplätze
Als Wolfgang Clement, der nordrhein-westfälische Minister für Wirtschaft, Mittelstand, Technologie und Verkehr, im Oktober von einer zehntägigen Asienreise zurückkehrte, konnten er und die Medienunternehmer seiner Delegation zwar kaum Geschäftsabschlüsse vorweisen. Aber einmal mehr konnte der Super-Minister auf der Werbetour für die Medienindustrie Nordrhein-Westfalens unter Beweis stellen, daß er für die wachstumsstarke Zukunftsindustrie zu trommeln versteht.
Und das mit sichtbarem Erfolg. Denn rauchende Schlote, düstere Kohlehalden und andere Symbole der Schwerindustrie verschwinden aus dem propagierten Erscheinungsbild des bevölkerungsstärksten Bundeslandes. An ihre Stelle treten sterile Fernsehstudios und hochmoderne Software-Schmieden. An Rhein und Ruhr hat man den überfälligen Strukturwandel früher als anderswo eingeleitet, so daß „die Weichen für den Aufstieg des Landes zum Medien- und Telekommunikationsmarkt Nummer eins gestellt“ sind, wie Clement betont. Ministerpräsident Johannes Rau umreißt die Strategie so: „Die Medien- und Kommunikationswirtschaft ist neben der Umwelt- und Energiewirtschaft die zweite Säule der industriell-technischen Erneuerung unseres Landes.“
Medien
In der nordrhein-westfälischen Medienwirtschaft arbeiten inzwischen 230000 Menschen, das entspricht dem 3. Platz hinter der Chemie- und Textilbranche. Um mehr als zwanzig Prozent ist die Zahl der Beschäftigten in der Medien- und Kulturlandschaft zwischen 1980 und 1993 gewachsen, das ist das Dreifache des Landesdurchschnitts.Zentraler Katalysator des Strukturwandels ist der Boom auf dem Rundfunkmarkt, der dazu geführt hat, daß Nordrhein-Westfalen heute laut Clement „der mit Abstand leistungsfähigste Produktionsstandort für die Rundfunkwirtschaft in Deutschland und eines der wichtigsten Rundfunkzentren in Europa ist.“ Den größten Anteil am Kuchen hat sich Köln gesichert, das mit dem WDR die größte öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt in Mitteleuropa und mit RTL den umsatzstärksten privaten Fernsehsender Europas beherbergt. Rechnet man die Kleinsender Vox, Viva, Super RTL und Kanal 4 hinzu, so darf man Köln getrost als die Fernsehhauptstadt Deutschlands bezeichnen. Hinzu kommen noch weitere Privatstationen wie Nickelodeon und der Wetter- und Reisekanal in Düsseldorf sowie Onyx TV in Dortmund.Im Umfeld dieser Veranstalter hat sich spätestens seit der Ansiedlung von RTL in Köln im Jahr 1988 eine vielfältige Szene von Zulieferern und Dienstleistern entwickelt. In Köln-Ossendorf und dem nahegelegenen Hürth zum Beispiel sind TV-Produktionsfirmen nur so aus dem Boden geschossen. Mit dem Effekt, daß sich die Studiokapazität in wenigen Jahren vervierfacht hat. Betrug die Studiogrundfläche zu Beginn der neunziger Jahre noch rund 15000 Quadratmeter, so wird sie zum Jahresende bei 60000 liegen. Allein die Magic Media Company in Hürth bietet elf Studios mit 8000 Quadratmetern Fläche und zählt somit zu den größten deutschen TV-Studiokomplexen.Vom Produktionsboom profitiert vor allem Köln und sein Umland. Zwischen 1988 und 1994 ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in der Medienbranche um fast 30 Prozent auf 51600 gestiegen. Damit sind fast 12 Prozent aller Kölner Beschäftigten in der Medienbranche tätig, wie das Kölner Zentrum für interaktive Medien zusammen mit dem Institut Arbeit und Technik Gelsenkirchen ermittelt hat. Allein in Köln setzt die Medien- und Kommunikationswirtschaft jährlich rund 20 Milliarden Mark um. Das sind 13 Prozent des Gesamtumsatzes Kölner Unternehmen. Insgesamt haben 45 Prozent der nordrhein-westfälischen Medienbetriebe ihren Sitz in der Domstadt oder in deren Nähe. Und rund 90 Prozent der Umsätze der Rundfunkhäuser im Lande werden – so das Amt für Stadtentwicklungsplanung – in der viertgrößten Stadt Deutschlands erwirtschaftet.Neben den Fernsehveranstaltern trägt auch die vielfältige Radiolandschaft zur Attraktivität des Medienstandortes NRW bei. Zu den drei öffentlich-rechtlichen Anstalten WDR, Deutschlandradio und Deutsche Welle in Köln kommen 44 private Lokalradios und deren Mantelprogrammlieferant Radio NRW in Dortmund.
Telekommunikation
Den zweiten großen Leistungsträger stellt die Telekommunikationswirtschaft dar. Bis auf die Viag in München haben mit Telekom, Veba, RWE, VEW, Mannesmann und Thyssen alle Branchenriesen sowie die drei Betreiber von Mobilfunknetzen ihren Sitz in NRW. Zum Umfeld zählen rund 350 mittelständische Unternehmen sowie rund 1300 Software-Hersteller. Nicht zu vergessen Bertelsmann in Gütersloh, der drittgrößte Medienkonzern der Welt.Auf dem steinigen Weg zum Medienspitzenstandort mußten die Nordrhein-Westfalen allerdings auch einige Rückschläge hinnehmen. Der Versuch, in Köln ein großes Filmfestival zu etablieren, endete nach drei Ausgaben 1992 mit einem millionenschweren Fiasko. Als weitere peinliche Pleite erwies sich der Bavaria-Filmpark in Bottrop, den die WDR-Tochterfirma 1992 eröffnet hatte, aber wegen ausbleibender Besucher schon im Herbst darauf wieder schließen mußte.An der Pleite gerade noch vorbeigeschrammt ist der Kölner TV-Sender Vox, der nach großem Tamtam zum Sendestart im Januar 1993 schon kurz darauf ins Trudeln geriet. Erst der Einstieg des australischen Medienmoguls Rupert Murdoch 1994 brachte das ehemalige Hätschelkind der Landesregierung wieder in ruhigeres Fahrwasser. Auch das einstige Prestigeprojekt Media Park erfüllte bei weitem nicht die Erwartungen. Obwohl die Fertigstellung ursprünglich für 1992 angepeilt war, gleicht das Kölner Areal noch immer einer Baustelle.Vor dem Hintergrund solcher Fehlschläge der regionalen Medienpolitik warnen denn auch Skeptiker schon seit einiger Zeit, daß die Goldgräberstimmung im TV-Geschäft bald zu Ende geht. Bestärkt werden sie darin von der Konkurrenz in den Metropolen Berlin, Hamburg und München, die die Erfolge an Rhein und Ruhr argwöhnisch beobachtet. Als schlagkräftiges Gegenargument bringen die Medienpolitiker aus NRW gern das wachsende Engagement amerikanischer Konzerne wie Turner/Time Warner, Disney, Sony oder News Corporation ins Spiel. So hat vor wenigen Monaten Warner Bros. auf dem Gelände des ehemaligen Bavaria Filmparks den neuen Freizeitpark Movie World eröffnet, an den sogar mehrere TV-Studios angegliedert wurden. Rund 400 Millionen Mark hat das Projekt gekostet, das damit als die größte filmwirtschaftlich Investition in der Geschichte der Bundesrepublik gilt.Über die herkömmlichen Medien hinaus fördert die Landesregierung mit Blick auf den internationalen Wettbewerb seit einiger Zeit verstärkt den Bereich Multimedia. Im Vorjahr startete sie dazu die breit angelegte Landesinitiative Media NRW, die helfen soll, die Chancen des vielversprechenden Marktes auszulosten. In vier Pilotprojekten sollen neue technische Verfahren und das Verhalten der Nutzer getestet werden. Als wichtigstes Projekt gilt die „Infocity NRW“, bei der eine Firmengruppe unter Führung der Vebacom Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie 10000 Haushalte an einen Glasfaserring von Duisburg bis Köln anschließen will.