Eine Milliarde beim Youtuben

re:publica: Auf der Suche nach viralen Effekten im TV- und Videosektor

Video-Plattformen wie YouTube erzielen ständig neue Rekorde und setzen damit auch die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten unter Druck. Wie reagieren sie darauf? Während der re:publica in Berlin stellten zwei Sender neue Crossmedia-Projekte vor. Gleichzeitig intensiviert YouTube seine TV-Aktivitäten und lernt vom Fernsehen.

Foto: re:publica 2013 / Gregor Fischer
Foto: re:publica 2013 /
Gregor Fischer

Die Zappeltänze „Harlem Shake“ oder „Gangnam Style“ verbreiteten sich im Netz ähnlich rasant wie Viren bei einer Epidemie. Solche YouTube-Phänomene erreichen schnell Zugriffe im mehrstelligen Millionenbereich. Davon träumen Videoproduzenten und Fernsehmacher, und vor allem die Werbewirtschaft. Virale Effekte nennen sie das. Erfolgreich sind neben Musik-Clips aber eher Make-up- und Katzen-Videos, weniger die mitgefilmten Vorlesungen der Harvard Universität. YouTube sei ein eigenes Ökosystem mit einer eigenen Community und habe eigene Regeln, sagte der Video- und TV-Experte Bertram Gugel in seinem Vortrag während der re:publica im Mai in Berlin.
YouTube kann mit beeindruckenden Zahlen aufwarten. Mit weltweit mehr als einer Milliarde Nutzer ist die Plattform vergleichbar mit Facebook. Viele Menschen suchten zuerst bei YouTube, dann erst bei Google. Das mache YouTube zur Nummer zwei unter den Suchmaschinen, so Gugel. Auf weltweit 30 Prozent aller Webseiten seien YouTube-Videos eingebaut oder verlinkt. „Wir googlen, unsere Söhne youtuben“, denn für die Jüngeren „findet alles auf YouTube statt“, sagte Johnny Haeusler, Mitveranstalter der re:publica in einer anderen Session. In Deutschland belegt die Videoplattform bei Jugendlichen den ersten Platz unter den Social-Media-Angeboten: YouTube werde häufiger genutzt als Facebook, so Gugel. 93 Prozent der 13–18 Jährigen gingen wöchentlich auf YouTube, aber nur 65 Prozent auf Facebook.

Eigene Stars

Nicht nur beim Mohamed-Video entfaltet YouTube Wirkung. Einzelne Videos würden von der Bundesprüfstelle indiziert, Sätze aus Videos werden kopiert und auf Facebook gepostet und generierten 100.000de Likes. YouTube bringt eigene Stars hervor, wie Charlie McDonnell, Benjamin Cook und Thomas Ridgewell, oder in Deutschland Torge Oelrich, Nilam Farooq und Y-Titty. Sie sind zumeist Anfang zwanzig, geben Autogrammstunden und verdienen ihr Geld mit Video-Clips. Inzwischen haben sie sich zu Netzwerken zusammengeschlossen, hinter ihnen stehen Produktionsfirmen wie Mediakraft Networks, bei der die genannten deutschen Stars unter Vertrag stehen. Die New York Times hat berechnet, dass Stars wie Jenna Marbles, die ihren Erfolg mit Schminkanleitungen begründete, ein Jahreseinkommen um die 350.000 USD erzielen. „Einzelne Netzwerke haben über 10.000 Kanäle und ein rasantes Wachstum“, sagte Gugel.

Aber wer Erfolg haben will, muss wissen, wie die Plattform funktioniert. „Es braucht Zeit“, sagte Gugel, YouTube-Stars seien nicht über Nacht erfolgreich geworden. „Die haben jahrelang daran gearbeitet und Videos produziert, die keiner wahrgenommen hat.“ Gugel warnte: „Es ist nicht damit getan, ein Video zu drehen und hochzuladen“. Daraus ergeben sich höchst selten hohe Zugriffszahlen. Es brauche schon Millionen von Aufrufen, um profitabel zu sein. Man müsse erkennen, dass YouTube eigene Formate habe, die nach eigenen Regeln funktionierten. „Hier werden ganz neue Bedürfnisse bedient“, das erfordere eigene Inhalte, wie etwa das Unterrichtsmaterial der sehr erfolgreichen Khan Academy zeige. Die YouTube-Kanäle generierten dann nicht mehr nur durch neue Videos Zugriffe, sondern über 50 Prozent der Abrufe seien Archivmaterial.

Günstige Produktionen

Auch die klassischen Medienproduzenten wie Bertelsmann, Comcast und Time Warner seien inzwischen aufmerksam geworden und investierten Millionen, berichtete Gugel. Aber viele dächten, YouTube funktioniere wie Fernsehen. Während die Einschaltquote beim Fernsehen die Zuschauerzahl in jeder Minute ausweist, baut sich die „Einschaltquote“ bei YouTube langsam auf, über eine Woche, einen Monat oder sogar ein Jahr. „In der Spitze ist man aber auf Augenhöhe mit dem Fernsehen.“ Ein Beispiel: „Die Web-Reichweite von Mediakraft ist mit 6,1 Millionen Unique Video Usern höher, als von RTL mit 6 Millionen“.
Zudem verstünden es YouTuber, Videos günstig zu produzieren: Während die Produktionskosten im Schnitt bei 150 € pro Minute lägen, seien es beim TV 64.000 € pro Minute. Allerdings dürften dabei die zahllosen mit Handy-Kameras gefilmten Amateur-Videos und die geringen Lebenshaltungskosten der im Haushalt der Eltern lebenden und produzierenden Teens und Twens eine große Rolle spielen. Da verwundert es auch nicht, dass es bisher kaum Kanäle gibt, die Menschen jenseits der 30 ansprechen, so Gugel.
Der Mutterkonzern Google investierte 2012 zum Start der Original Channels 300 Millionen USD. Damit sollen TV-Produktionsfirmen und Fernsehstars gewonnen werden, um exklusiv für YouTube Material zu produzieren. „Sie wissen, sie brauchen Inhalte, um bestimmte Produkte zu verkaufen“, sagte Gugel, das hätten sie vom Fernsehen gelernt. Inzwischen sei in den Original Channels viel Fernsehmaterial, unter anderem Filme und Serien zu finden.

Die Antwort der Sendeanstalten

längst haben die öffentlich-rechtlichen Sender nicht mehr die Zuschauerhoheit; erst kamen die Privaten und dann das Internet – und alle drücken auf die Einschaltquote. Zudem kämpft das gebührenfinanzierte Fernsehen im Internet mit der vom Rundfunkstaatsvertrag auferlegten 7-Tagefrist. Logisch, dass man nach neuen Wegen sucht, um an den Erfolgen im Netz zu partizipieren.
„Tatort+“ lautet die Antwort des SWR. „Tatort+ ist ein Crossmedia-Projekt, bei dem die User bzw. Zuschauer den Täter ermitteln können“, sagte Jürgen Ebenau im Gespräch mit M. Der Leiter der Hauptabteilung SWR.Online möchte damit vor allem junge Menschen ansprechen: „Die Zielgruppe im Netz ist jünger, laut Facebook unter 40. Die wollen mehr machen, als nur vorm Fernseher sitzen.“ Also wolle man das Publikum stärker beteiligen. Dafür seien eigene Szenen gedreht worden, die nur im Web verfügbar sein werden. Die User können in Ermittler-Teams aufgenommen werden, die eigene Aufgaben gestellt bekommen. Um in ein Team aufgenommen zu werden, müssten sie eine kleine Prüfung ablegen. Danach stehen den Online-Ermittlern drei Teilnahmewege zur Verfügung: Facebook, Twitter und die Tatort-Webseite. „Wir wollen auch Menschen erreichen, die ihre Online-Netze kaum noch verlassen“, sagte Ebenau. Die Online-Ermittlungen beginnen schon vor Ausstrahlung des Tatorts, zehn Tage nach der re:publica am 18. Mai, während als Sendetermin der 26.5. festgelegt wurde. Anschließend könne weiter ermittelt werden, es gäbe dann noch offene Fragen, die geklärt werden könnten.
Man hoffe auf virale Effekte und wolle neue Zuschauer gewinnen. „Menschen, die eher im Netz aktiv sind, sich dort bei Tatort+ einbringen und dann zu Zuschauern werden“, beschrieb der Online-Chef die Zielsetzung des Projekts. „Außerdem kann man im Web mehr riskieren.“ Erste Erfahrungen hatte man schon vor einem Jahr gesammelt. Damals stellte der SWR auf der re:publica den ersten Tatort vor, der im Netz crossmedial begleitet wurde. Das Projekt sei aber zu dem Zeitpunkt noch einfacher gestaltet gewesen. Zudem seien Probleme aufgetreten, da die Server ganz schnell überlastet gewesen wären. Trotzdem zählte der Sender 110.000 Beteiligte im Netz. Man habe daraus gelernt.
„Tatort+“ stelle ein Ausnahme-Event dar und solle vorerst nur einmal pro Jahr produziert werden, berichtete Ebenau. Die TV-Produktion geschieht am Standort Mainz, die Online-Produktion in Baden-Baden. Beim SWR sind drei Mitarbeiter des Online-Bereichs in dem Projekt beschäftigt. Alles Freie, die das zusätzlich stemmen, aber mit viel Begeisterung, so der Online-Chef. Hinzu käme der Tatort-Autor, der die Story für die Web-Only-Szenen und für die Online-Ermittlungen schreibt. Natürlich entsteht zusätzlicher finanzieller Aufwand: Allein für die Web-Only-Szenen seien Kosten im oberen fünfstelligen Bereich angefallen. Vieles habe man daher automatisiert, etwa die Prüfungen im Web.
Man wolle Crossmediales vorantreiben, so Ebenau. Das habe man auch bei „Zeit der Helden“ praktiziert, einer Koproduktion des SWR mit Arte. Im Netz konnten Zuschauer „die Protagonisten näher kennenlernen“. Und mit „Verstehen Sie Spaß“ hat der Sender 57 Millionen YouTube-Abrufe und während der Sendung mehrere Tausend Kommentare erreicht.

Factchecking-Plattform

Auch das ZDF stellt sich den neuen Herausforderungen. Es präsentierte auf der re:publica das crossmediale Crowdsourcing-Projekt ZDFcheck, das kurz nach dem Kongress gestartet wurde. Im Nachrichtenbereich angesiedelt, soll die Factchecking-Plattform mithilfe der „Crowd“ im Netz Politikeraussagen überprüfen. Zusätzlich sind Kooperationen mit Phönix und mit den Betreibern der Wikipedia, Wikimedia, vereinbart. Ziel sei es, dass Zuschauer den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen besser einordnen können, sagte Eckart Gaddum im Gespräch mit M. „Auch wollen wir zeigen, was dahinter steckt“, so der ZDF-Online-Chef weiter.
In dieser Legislaturperiode habe sich durch Netzbewegungen eine neue Qualität gezeigt, die man aufgreifen wolle: „Menschen wollen stärker mitreden und fordern mehr Transparenz und Einfluss.“ Das ZDF habe für das Projekt ein Querschnittsteam von zehn Mitarbeitern aus den Redaktionen gebildet. Die Ergebnisse der Recherchen sollen in Nachrichtensendungen wie „heute“ einfließen. Zusätzlich stehen sie unter einer Creative-Commons-Lizenz und können beispielsweise in Wikipedia verwendet werden. Geplant sei zunächst eine Testphase bis Ende Juni, sagte Gaddum. Dann würden Verbesserungen und Überarbeitungen vorgenommen, um für die heiße Wahlkampfphase gerüstet zu sein. Inzwischen lassen allerdings erste Ergebnisse auf eher mäßige Beteiligung schließen – Katzen sind eben doch attraktiver als Politiker, also Katzen an die Macht.

 

Bedeutendster Kongress der Internetszene

Laut Geschäftsführer Andreas Gebhard kamen etwa 5.000 Teilnehmende aus rund 50 Nationen zur re.publica. Über 400 Redner, darunter 160 Frauen, beleuchteten alle Themen der Netzwelt.
Seit 2007 findet der Kongress jährlich in Berlin statt, 2013 vom 6. bis zum 8. Mai. Einen Schwerpunkt bildete dieses Jahr Afrika, „weil es dort dynamische Innovationsorte gibt, an denen gerade viel passiert“, so Gebhard.
Im Rahmen der Veranstaltung fand erstmals ein Diplomatentreffen statt, an dem sich 25 Botschaften beteiligten.
Veranstaltet wird die re:publica von Newthinking und den Spreeblick-Blogbetreibern, mit Kooperationspartnern, wie Microsoft, Daimler und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Medienboard Berlin-Brandenburg.

 

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