Entlassungen bei G+J werfen ihre Schatten voraus

Berliner Zeitungsverlag auf Sparkurs – CAP heißt das vermeintliche Zauberwort

Entlassungen sind offenbar das neue Markenzeichen von Gruner +Jahr auf dem selbstverordneten Sparkurs. Bei BerlinOnline – gleichermaßen Tochter von G+J und der Berliner Bankgesellschaft – erhielten Ende August 13 Mitarbeiter die betriebsbedingte Kündigung. Im Berliner Verlag wird von Stellenstreichungen im zweistelligen Bereich gesprochen.

Mitte September wurde im „Berliner Kurier“ der Wegfall von über einem Dutzend Arbeitsplätze durch das neue Redaktionssystem in Produktion und Layout verkündet. Darüber hinaus sollen eine „Vielzahl von Redakteursstellen gestrichen werden“, informierte der Betriebsrat.

Die Gespräche mit allen 35 Beschäftigten von BerlinOnline, die für ein Drittel mit dem Ausspruch der Kündigung endeten, fanden einen Tag nach der Einladung zur Versammlung für die Einleitung der Betriebsratswahl statt. – Ein Schelm, der Böses dabei denkt! Und so befanden sich dann auch unter den Empfängern der „blauen Briefe“ zwei Mitarbeiter, die die Wahlen mit vorbereiteten. Nichts desto trotz nahm am 4. September der Wahlvorstand seine Arbeit auf. Am 11. September wurde ein dreiköpfiger Betriebsrat gewählt. Dabei fand das seit 1. August geltende neue Betriebsverfassungsgesetz Anwendung. Es sieht in Kleinbetrieben bis zu 50 Mitarbeitern ein vereinfachtes Wahlverfahren vor.

Für den Betriebsrat des Berliner Zeitungsverlages liefert die Vorgehensweise bei BerlinOnline „einen Vorgeschmack“ auf das, was sich künftig im G+J-Haus von Bertelsmann abspielen wird, „wenn die Geschäftsleitung dazu übergeht, ihre Personalpläne zum Abbau von 51,5 + x Planstellen in die Tat umzusetzen“, so Betriebsratsvorsitzende Renate Gensch. BerlinOnline sei noch auf der letzten Betriebsversammlung des Berliner Verlages von Geschäftsführer Dr. Torsten-Jörn Klein als Hoffnungsträger des Hauses präsentiert worden. Eigentlich hätte er es besser wissen müssen, schließlich gehört Klein dem Beirat von BerlinOnline an.

Hinter 51,5 + x sollen sich dem Branchenblatt „Kontakter“ zufolge 70 Stellen verbergen.

„Kosten- und Effizienzprogramm“, vulgo: Personalabbau

Nach den letzten offiziell angekündigten Stellenstreichungen im „Berliner Kurier“ schätzt der Betriebsrat diese Zahl als realistisch ein. Für die „Berliner Zeitung“ war die Geschäftsführung nicht bereit, Zahlen zu nennen, da man auf den neuen Chefredakteur Dr. Uwe Vorkötter („Stuttgarter Zeitung“) warte. Auf jeden Fall aber sollen Redakteure eingespart werden, ließ man verlauten. Gleichzeitig wurde der Betriebsrat aufgefordert, doch schon mal blanko Sozialplanverhandlungen aufzunehmen.

Auf der Bilanzpressekonferenz Ende August in Hamburg war davon natürlich nicht die Rede. Hier wurde bekannt gegeben, dass der Jahresüberschuss bei Gruner + Jahr im laufenden Geschäftsjahr einen Tiefststand von 42 Millionen Euro – im Vorjahr waren es noch 284 Mio Euro – erreicht habe. Dennoch bestritt der Vorstandsvorsitzende des Verlages G+J Bernd Kundrun, dass sich der größte europäische Zeitschriftenverlag in einer Krise befinde. Als Ursachen für die ausgewiesene Negativentwicklung wurden die 94 Millionen Euro Kosten im Multimedia-Bereich, gestiegene Papierpreise, der Rückgang des Anzeigengeschäfts und die hohen Investitionen genannt. Das Unternehmen hatte beispielsweise mehr als eine Mrd. Mark für den Kauf von Zeitschriften in den USA ausgegeben.

Mit einem Kosten- und Effizienzprogramm CAP (Costs and Processes) soll dem Negativtrend nun entgegengewirkt werden. Mittelfristig sollen damit Einsparungen in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrages pro Jahr erreicht werden. „Im Klartext heißt das hauptsächlich Personalabbau“, so Renate Gensch. Das hätten bereits 80 Mitarbeiter der G+J-Multimedia-Firma KontorVisions erfahren, als sie im Juli von einem Tag auf den anderen gekündigt wurden und die Firma dichtgemacht wurde. Der Betriebsrat verkenne nicht, dass eine sparsame Haushaltsführung notwendig sei, wenn Papierpreise und sinkende Anzeigenerlöse keine schwarzen Zahlen befördern. „Aber das geht auch ohne betriebsbedingte Kündigungen“, ist sich die Betriebsrätin sicher. Seit dem 19. Juli dieses Jahres führt der Betriebsrat Informationsgespräche, in denen die Geschäftsführung ihre Vorstellungen zum Personalabbau in den einzelnen Bereichen erläutert. Dabei werden Zukunftspläne der Verlagsleitung lediglich sondiert. „Verhandlungen wird es erst nach der Bestandsaufnahme und ausschließlich über ein Gesamtpaket geben“, so Renate Gensch.

Vorruhestand bedeutet für viele Renteneinbußen

Außerdem würden derzeit die Betriebsräte aus Berlin und Dresden – Sitz der G+J gehörenden „Sächsischen Zeitung“ – mit Konzernleitung und Geschäftsführungen über eine Vorruhestandsregelung sprechen. Damit soll älteren Beschäftigten ermöglicht werden, freiwillig ohne größere finanzielle Abstriche aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Das Unternehmen sieht hier „mittelfristig gigantische Einsparpotenziale für das Unternehmen“. Keinesfalls sei eine solche Regelung zum Nulltarif zu haben. Vor allem mit Blick auf die eher niedrigen Renten der aus der ehemaligen DDR kommenden Beschäftigten im Berliner Verlag. „Wenn diese Kollegen mit beispielsweise mit 57 Jahren ausscheiden und das nicht entsprechend kompensiert wird, haben sie im Alter große Einbußen bei der Rente. Das bisherige Angebot der Konzernleitung dazu ist unakzeptabel.“ Danach würden Kollegen reale Rentenverluste von 30 Prozent bis zum Lebensende erleiden. Das könne sich keiner erlauben. „Deshalb werden wir diese Vereinbarung nicht unterschreiben“, sagte Renate Gensch.

Einsparmöglichkeiten gebe es dem Betriebsrat zufolge auch durch die Ausweitung von Teilzeit- und anderen Arbeitszeitmodellen sowie zur Fort- und Weiterbildung. „Sparmodelle, die ausschließlich zu Lasten der Mitarbeiter gehen, aber die Vergünstigungen der ,Leitenden‘ unangetastet lassen, wird es mit diesem Betriebsrat nicht geben“, versicherte die Betriebsratsvorsitzende des Berliner Verlages.

 

 

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