Ernüchterung über Instant Articles

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In den vergangenen Monaten haben einige namhafte Redaktionen aufgehört, Instant Articles zu veröffentlichen. Darunter waren mit der New York Times und dem Guardian auch zwei Gründungspartner der Facebook-Initiative. Als erste große deutsche Redaktion bestätigte WeltN24 Ende Juni, das Format nicht weiter zu nutzen. Ist das eine gute Nachricht für den Journalismus? Sind Medienunternehmen weniger abhängig von Facebook als gedacht?

Rückblende: Vor zwei Jahren, im Mai 2015, startet Instant Articles im Testbetrieb. Erste Redaktionen liefern dafür ausgewählte Inhalte zu: Bild.de und Spiegel Online, Guardian, New York Times, Buzzfeed, National Geographic, The Atlantic, NBC und BBC. Weitere Testpartner kommen in den Monaten danach hinzu, unter anderem ARD-aktuell. Im April 2016 wird Instant Articles für Medienunternehmen weltweit geöffnet. In der mobilen Facebook-App können sie bestimmte Links mit einem Blitzsymbol als Instant Article ausflaggen. Diese Artikel werden direkt in die App geladen, sind aber keine eigens für Facebook produzierten Inhalte: Wer die Links im Browser öffnet statt in der App, gelangt wie gehabt auf die Seiten der Verlage.

Facebooks scheinbar großzügige Botschaft an die Medienunternehmen: Ihr behaltet die Kontrolle über die Inhalte – und wenn ihr wollt, sogar das ganze Geld. Wer Anzeigen in Instant Articles selbst vermarktet, behält alle Einnahmen. Wer dafür mit Facebooks eigenem Vermarkter Audience Network kooperiert, gibt 30 Prozent an den Konzern ab. Befürworter der Facebook-Initiative versprechen sich zum Start dringend benötigte Einnahmen und eine bessere Präsenz im mobilen Web. Schnellere Ladezeiten, so das Kalkül, werden mehr Nutzer anlocken und die Reichweiten steigern. Dagegen steht die Befürchtung: Durch Instant Articles machen sich Medien zum Handlanger von Facebook – auf lange Sicht kommt dann kein Unternehmen mehr an Instant Articles vorbei.

Verlage enttäuscht über Monetarisierung

Zwei Jahre nach dem Start stellt sich die Lage etwas nüchterner dar. Einige Redaktionen sind enttäuscht, andere zumindest nicht allzu begeistert von den Möglichkeiten, die Instant Articles bietet. Manche veröffentlichen jeden einzelnen Beitrag als Instant Article, andere nur wenige. Fast überall spricht man mit Blick auf das Facebook-Programm noch von Tests: Wie viele Artikel soll man dem sozialen Netzwerk überlassen? Und wie lockt man die Nutzer trotz Instant Articles noch auf die eigenen Seiten?

An den versprochenen schnellen Ladezeiten kann die Enttäuschung mancher Verlage allerdings kaum liegen: Ein Instant Article öffnet sich im Bruchteil einer Sekunde – auch, weil der Nutzer das Facebook-Universum nicht verlässt. In weniger als 0,001 Sekunden lädt der durchschnittliche Instant Article, so eine Untersuchung der Analysefirma Chartbeat vom Juni 2017. Fast 90 Prozent der untersuchten Artikel luden so schnell, dass die Analysten die Ladezeit gar nicht erst registrieren konnten. Eine durchschnittliche mobile Nachrichtenseite brauchte dagegen 5,6 Sekunden – Zeit, in der ungeduldige Nutzer schon weitergesurft sind. Und glaubt man Facebook, locken die schnelleren Ladezeiten tatsächlich bedeutend mehr Nutzer auf die Seiten: Nach Unternehmensangaben verzeichnen Instant Articles zwischen 20 und 50 Prozent mehr Traffic als herkömmliche mobile Seiten.

Doch offenbar können viele Medienhäuser mit Instant Articles weniger Geld verdienen als erhofft. „Wir sehen insbesondere hinsichtlich der Monetarisierung noch Entwicklungsbedarf“, teilt der Springer-Verlag zum Ausstieg von WeltN24 mit. Und schiebt eine Forderung an das soziale Netzwerk hinterher: „Langfristig wird Facebook als Vertriebskanal nur dann interessant bleiben, wenn die Plattform hier eine überzeugende Lösung bietet.“ Mit Bild.de will Springer jedoch zunächst bei Instant Articles an Bord bleiben – weiter als „Test“, wie eine Sprecherin betont. Die Redaktion von stern.de veröffentlicht derzeit ebenfalls keine Instant Articles mehr, will aber ausdrücklich nicht von einem Ausstieg sprechen: Die Technologie werde grundsätzlich weiter getestet, teilt der Verlag mit. Während die Washington Post zeitweise jeden einzelnen Link als Instant Article ausflaggte, hält man sich auch dort derzeit eher zurück.

Die ausgestiegenen New York Times und Guardian verweisen wie Springer auf mangelnde Möglichkeiten, mit den schnellen Artikeln Geld zu verdienen und die Nutzer zu zahlenden Abonnenten zu machen. In Facebook einfache Links zu setzen, zahlt sich demnach mehr aus, als Instant Articles zu veröffentlichen. Integrierte Paywalls gibt es bei Instant Articles nämlich bislang nicht. Dabei wäre es gerade für Seiten mit Bezahlmodellen wichtig, die Laufkundschaft auf Facebook zu Stammkunden zu machen. Doch nicht nur die Monetarisierung, auch die Kontrolle über Nutzerdaten und der effektive Einsatz von Werbeformen bleibt bei Instant Articles im Vergleich zur eigenen Website überschaubar.

Spiegle Online mit der Vermarktung zufrieden

Weiter dabei ist der Gründungspartner Spiegel Online. Die Redaktion liefert nahezu alle Beiträge auch als Instant Article aus – ausgenommen sind nur komplexe Multimediabeiträge und die kostenpflichtigen Spiegel Plus-Artikel, wie ein Sprecher erklärt. Mit der Vermarktung von Instant Articles sei man zufrieden. Zur Reichweite heißt es: „Wir gehen davon aus, dass die Instant Articles uns helfen, unsere Reichweite via Facebook zu halten beziehungsweise zu steigern.“ Begeisterung klingt anders.

Auch beim Berliner Tagesspiegel werden derzeit fast alle Beiträge als Instant Article ausgespielt. Hier zeigt man sich vor allem mit den Werbeformaten unzufrieden: „Von Umsätzen über Webside-Werbeformen, darunter auch nutzerfreundliche jenseits von klassischer Display-Werbung sind Instant Articles sehr weit entfernt“, sagt Sprecherin Sandra Friedrich. Grundsätzlich sei es aber positiv, dass mit Instant Articles Erlöse über Facebook erzielt werden können: „Das war vor der Einführung kaum der Fall“. Auf Dauer dürften Instant Articles für Publisher aber kein Verlustgeschäft sein, weshalb Facebook beim Vermarktungsansatz nachbessern solle, betont Friedrich.

„Unser Reichweitenmodell funktioniert, mit oder ohne Instant Articles“, sagt der stellvertretende Chefredakteur von Zeit Online, Martin Kotynek. Seine Redaktion bietet nur ausgewählte Beiträge als Instant Article an – an manchen Tagen sind es 20, an anderen nur einer. „Das Format hat kaum spürbare Auswirkungen auf unser Wachstum auf Facebook, soweit sich das mit unseren Messmethoden sagen lässt“, sagt Kotynek.

Trotz der Aussteiger steigende Zahl von Mitstreitern

Wie viele deutsche Medienhäuser derzeit bei Instant Articles mitmachen, kann eine Facebook-Sprecherin auf Anfrage nicht sagen. Weltweit sind es nach Angaben des Unternehmens rund 10.000 – und trotz prominenter Aussteiger sei die Zahl allein im ersten Halbjahr 2017 um 25 Prozent gestiegen, jubelte Facebook-Manager Harshit Agarwal Anfang Juni im Unternehmensblog. Jeder dritte Klick auf einen verlinkten Medienbeitrag führe mittlerweile auf einen Instant Article.

Dennoch: Der Ausstieg von Flaggschiffen wie New York Times und Guardian ist für Facebook ein Misserfolg. Das Unternehmen solle nun aufhören, sich auf die weltweiten Top-Verlage zu konzentrieren, schrieb Tony Haile, CEO des unter anderem von Springer finanzierten Start-Ups Scroll, das sich für einen werbefreien Journalismus einsetzt, Ende Juni auf der US-Digitalplattform „Recode“. Stattdessen solle Facebook kleinere Medienunternehmen stärker in den Fokus nehmen. „Das zerstört die Story von der Premium-Marke, die Facebook gerne an Werbetreibende verkaufen würde, treibt aber immerhin die Expansion voran“, betont Haile.

Auch Stephan Weichert, Professor für digitalen Journalismus an der Hamburg Media School, glaubt, dass sich die großen Häuser Instant Articles eher entziehen können. „Solange Facebook diese große Macht hat, werden Instant Articles jedoch an Attraktivität nicht verlieren, zumindest für kleinere, mittelständische Verlagshäuser wird das ein Ausspielweg bleiben“, sagt er: „Aber die Großen setzen neue Trends und entscheiden auch mit, wo es hingehen wird.“

„Friss oder stirb“-Ansatz in Frage gestellt – Bezahlschranken vorbereitet

Wohl auch als Reaktion auf die Wünsche der Großen hat Facebook Instant Articles in diesem Jahr immer wieder angepasst. Der „Friss oder stirb“-Ansatz, der Facebook lange nachgesagt wurde, scheint nicht mehr zu funktionieren. Im Januar kündigte das Unternehmen an, gemeinsam mit Bild.de auszuloten, inwiefern via Instant Articles Probeabos für Bezahlangebote angeboten werden können. Doch die Ausgestaltung war offenbar schwierig – zu viele Zwischenschritte beim Abo-Abschluss schreckten potentielle Nutzer eher ab.

Im April wurden „Call-to-action“-Buttons dann allen Redaktionen zugänglich gemacht. Damit können Medienhäuser via Instant Articles nun besser für eigene Angebote wie etwa E-Mail-Newsletter und Abos werben oder die Nutzer einladen, ihre App herunterzuladen. Seit Juni können alle Partner im „Ähnliche Artikel“-Bereich unter einem Beitrag Werbung schalten – auch damit reagierte Facebook auf Wünsche der Unternehmen.

Nun kommt Facebook den Redaktionen noch weiter entgegen: Im Juli bestätigte das soziale Netzwerk, Paywalls bei Instant Articles testen zu wollen – schon seit Juni waberten entsprechende Gerüchte durch die Branche. Sollte der Test erfolgreich verlaufen, könnten Instant Articles für manche Redaktion wieder attraktiver werden und vielleicht sogar einige Aussteiger zurückkehren. Angedacht ist ein Metered Model. Damit wären zehn Artikel pro Medium und Monat frei verfügbar, bevor die Bezahlschranke herunterfällt – ähnlich wie bei Süddeutscher Zeitung oder New York Times. Im Oktober soll die Testphase starten, kündigte Facebook-Manager Campbell Brown bei einem Branchenkongress in New York an.

Erfolgsversprechender als Instant Articles scheint für viele Medienhäuser Googles Konkurrenzprodukt AMP zu sein – auch und gerade für die großen Unternehmen. AMP ist im Herbst 2015 gestartet und steht für Accelerated Mobile Pages. Dabei werden schnell ladende Seiten in der Google-Suche mit einem Blitzsymbol gekennzeichnet und vom Algorithmus bevorzugt angezeigt. In Deutschland veröffentlichen unter anderem Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung via AMP, beide Häuser halten sich bei Instant Articles bislang zurück. Der Spiegel-Verlag setzt für sein neues Bezahlprodukt Spiegel Daily ebenfalls auf AMP. Und beim Guardian kommen 60 Prozent der Besucher, die mobil über Google auf die Seite gelangen, über die schnelle Technologie. Für technisch aufwändige Beiträge wie Multimedia-Specials eignen sich freilich bislang weder Instant Articles noch AMP – das ist der Preis des reduzierten Datengewichts.

Anders als Instant Articles ist AMP ein Open Source-Projekt, der Quellcode ist öffentlich. Die Medienhäuser müssen sich nicht formal bei Google anmelden. AMP funktioniert nicht nur in einer App, sondern in mobilen Browsern generell. Das Google-Angebot richtet sich außerdem nicht nur an Medienunternehmen, sondern wird zum Beispiel auch von E-Commerce-Portalen wie Ebay oder Zalando genutzt. „Während Instant Articles eine publizistische Idee verfolgt, unterstützt Google die Verlage mit AMP lediglich bei der technischen Umsetzung“, sagt Medienforscher Weichert. „Deswegen wird AMP von Verlagen anders angenommen.“ Zudem konnten von Anfang an Paywalls auf AMP-Seiten integriert werden. Und laut der Chartbeat-Studie sorgen AMP-Seiten für deutlich mehr Traffic als Instant Articles. Ist AMP also die ethisch korrektere Alternative zu Instant Articles, mit der sich nebenbei auch noch mehr Geld verdienen lässt?

Nutzer bleibt bei Faceboock – Daten an Google durchgereicht

Datenschützer und Netzaktivisten kritisieren jedenfalls, dass die Nutzer auch bei AMP nicht direkt auf den Webseiten der Anbieter, sondern auf deren Cache-Kopie von Google landen. Verbindungsdaten würden so letztlich doch wieder an Google durchgereicht, der Nutzer bleibe ebenso im Google-Universum wie der Instant-Article-Leser im Facebook-Reich. Und der offizielle AMP-Blog vermeidet jeden expliziten Verweis auf Google, ganz so als sei das Angebot von unabhängigen Geeks in Garagen entwickelt worden anstatt von den Programmierern des Unternehmens.

Bisher teilen sich Google und Facebook die Macht auf dem Markt für schnell ladende Mobilseiten weitgehend. Doch die Medienunternehmen ziehen mit eigenen Innovationen nach: WeltN24 begründet den Ausstieg aus Instant Articles auch damit, dass man nach einem Relaunch die am schnellsten ladende Nachrichtenseite in Deutschland sei.

Setzen Redaktionen also wieder verstärkt auf die eigene Website? „Viele Verlage haben mittlerweile die Sorge, dass die Strategie der letzten Jahre, Inhalte im großen Stil in sozialen Netzwerken zu verteilen, ein Fehler war und sie an dem Ast gesägt haben, auf dem sie sitzen“, sagt Medienwissenschaftler Stephan Weichert. Das gelte nicht nur für Facebook, sondern auch für Inhalte, die etwa über Snapchat, Youtube oder Instagram vertrieben werden. „Das steigert zwar die Reichweite, aber schwächt die Marke“, sagt Weichert. Und Martin Kotynek, Vize-Chefredakteur von Zeit Online, erklärt: „Insgesamt lohnt sich unser Engagement aber, allein schon, weil wir uns bei der Entwicklung unserer Instant Articles – ähnlich wie bei Googles AMPs – zu ein paar Mechanismen für schnellere Ladezeiten von Zeit.de inspirieren haben lassen.“ Das Experiment geht weiter.

(Der Beitrag wurde zuerst in epd medien Nr.28 abgedruckt)

 

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