Olaf Hofmann, connexx.av-Beauftragter in Berlin-Brandenburg, über die Bewusstseinsschärfung in den kleinen start ups.
Die „new economy“ sieht derzeit mächtig alt aus. Wie macht sich die Schwäche der Branche in Berlin-Brandenburg bemerkbar?
Hofmann: Seit Beginn des zweiten Quartals hat eine Entlassungswelle stattgefunden. Allein in Berlin sind bereits zwischen 700 und 1000 Arbeitsplätze weggefallen. Im Multimediabereich ist es realistisch, von einer Art Konsolidierung zu sprechen. Der Markt war stark überhitzt, was sich auch in der Anzahl der geschaffenen Arbeitsplätze niedergeschlagen hat. Viele Projekte konnten dann – auch auf Grund von Management-Problemen in den Unternehmen – nicht realisiert werden. Das hat zu Verärgerung und Ernüchterung auf Kundenseite geführt, was die Multimedia-Agenturen auch prompt zu spüren bekommen haben. Betriebsbedingte Kündigungen mussten ausgesprochen werden. Wo rechtzeitig Betriebsräte gegründet werden konnten, war es möglich, diese sozial abzufedern.
Gibt es überhaupt Interessenvertretungen in kleinen start ups? Pixelpark als größter deutscher Multimedia-Dienstleister ist ja nicht unbedingt repräsentativ.
Klar können kleinere Firmen Kundenabgänge nicht so gut abfedern wie Unternehmen von der Größenordnung Pixelparks oder ID Media. Dafür haben sie den Vorteil, dass sie wesentlich schneller reagieren können. Dennoch sind die kleineren Betriebe mit bis zu 50 Mitarbeitern sehr offen für den Aufbau einer Interessenvertretung. Zum Beispiel Berlin Online, die mit Berlin.de zusammengegangen sind. Dort hat es erheblichen Personalabbau gegeben. Aber umgehend wurde ein Betriebsrat installiert. Bei Berlin.de gab es bereits einen. Das gilt auch für Plenum New Media, eine kleinere Berliner Niederlassung der Plenum AG.
Die Krise fördert also gewerkschaftliches Bewusstsein?
Das ist nicht von der Hand zu weisen. Die Ernüchterung in der Branche erfasst auch die Beschäftigten. Wir haben nicht damit gerechnet, dass dies in so starkem Umfang stattfindet. Einerseits ist es traurig, dass die Leute sich von Utopien verabschieden müssen. Aber sie realisieren sehr schnell, dass es um ihre eigene Haut geht. Börsenspiele sind eben ein Stück Lotto. Die realen Werte werden mit entsprechenden Geschäftsergebnissen erzielt und nicht mit Spekulationen. Insofern tritt hier gerade eine Bewusstseinsschärfung ein, die auch eine größere Offenheit gegenüber den Gewerkschaften erzeugt.
Wirkt sich das auch in Form einer Erhöhung des Organisationsgrads aus, sprich in Gewerkschaftsbeitritten?
Durchaus. Wir haben bis Ende September an die 700 Mitglieder bundesweit im Bereich connex.av innerhalb des Projekts gewinnen können. Manche sagen, das stehe in keinem Verhältnis zu den Anstrengungen. Wir kennen diese Einwände. Aber connex.av ist in erster Linie ein Lern- und Imageprojekt für ver.di. Als solches wurde es seinerzeit von der IG Medien und der DAG in Angriff genommen. Natürlich mit dem langfristigen Ziel, den Organisationsgrad zu stärken. Aber die Hauptsache ist doch, das Vertrauen in gewerkschaftliche Arbeit in den Betrieben wiederherzustellen. Gerade im privaten Rundfunk und in der Filmwirtschaft ist über Jahre nicht so viel geleistet worden wie in anderen Bereichen. Die Landesbezirke waren auf diesen Arbeitsfeldern total überlastet. Die unter diesen Umständen erfolgte Konzentration gewerkschaftlicher Arbeit auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk führte zu Vorbehalten bei den Privatfunkbeschäftigten.
Bei den Privaten heißt in Berlin-Brandenburg derzeit das größte Sorgenkind wohl SAT1. Warum begreifen sich die SAT1-Kollegen als Verlierer der Fusion mit ProSieben?
Es wird ja konzernintern kaum noch ein Hehl daraus gemacht, dass es sich im Grunde um eine Übernahme von SAT1 durch ProSieben handelt. Der überwiegende Teil der früher rund 800 SAT1-Beschäftigten ist zwar noch in Berlin tätig, allerdings mit Verträgen der ProSieben/SAT1 Media AG: in der Verwaltung, im Marketing, in den Stabsfunktionen. SAT1-Verträge haben nur noch 250 Beschäftigte, überwiegend im redaktionellen Bereich. Der Sport ist bis auf eine Rumpfredaktion nach München gegangen. Ebenso die Dienstleister. Die Vermarktungsgesellschaft Media 1 ist in Seven One Media aufgegangen. Andererseits hat Berlin als Standort durch den Zuzug von N24 gewonnen.
Das Hauptproblem ist die widersprüchliche tarifliche Situation …
Genau. Die Berliner Kollegen haben eine abgesicherte Tarifstruktur, wohingegen in München der Tarifvertrag von Anfang an nicht umgesetzt wurde. Daraus resultieren die Probleme bei den Anschlusstarifverhandlungen. Der AG-Vorstand lehnt die 38-Stunden-Woche für die Münchner kategorisch ab. Die Tarifkommission wird sich damit beschäftigen.
Nach SAT1 ist jetzt auch RTL aus dem Tarifverband privater Rundfunk ausgestiegen. Ist überhaupt noch ein relevanter TV-Sender im TPR?
Nein. Es gibt keine tariflichen Regelungen in diesem Bereich. Auch nicht bei den kleinen Sendern TV Berlin oder FAB. Das wäre eines der Projektziele, auch hier im Raum Berlin-Brandenburg, für den regionalen TV-Bereich tarifliche Regelungen hinzubekommen. Denkbar wäre auch, einen Lokalhörfunk-Tarifvertrag anzustoßen. Das bietet sich bei der Fülle der in der Region vertretenen Sender geradezu an.
Dann spielt also der Nachrichtensender n-tv eine Vorreiterrolle?
N-tv hat einen Haustarifvertrag, einen leicht abgewandelten Übernahmetarifvertrag vom TPR. Der Sender hält trotz aktueller Schwierigkeiten an den tariflichen Regelungen fest. Die Geschäftsführung sieht durchaus den Vorteil, mit dieser Planungssicherheit zu arbeiten. RTL hat bereits wenige Tage nach seinem Austritt aus dem TPR einen Haustarifvertrag abgeschlossen, der die bisherigen tariflichen Regelungen übernimmt (siehe Seite 14).
Wie steht es um den Berliner Newcomer XXP und die Mutter Spiegel-TV?
XXP verfügt über eine Interessensvertretung im Hamburger Betriebsrat. Derzeit wird abgestimmt, ob bei den Wahlen im kommenden Jahr für beide Standorte des Unternehmens ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt wird. Bei Spiegel TV wurden viele Regelungen aus dem Zeitschriften-TV übernommen. Es wäre zu überlegen, ob aus diesem TV speziell für Spiegel-TV und XXP AV-bezogene Regelungen denkbar sind. Daraus könnte sich ein Mix aus Zeitschriften-TV und dem TV Privater Rundfunk entwickeln. Standard bei Spiegel-TV ist bislang allerdings die 40-Stunden-Woche.
- Das Interview führte Günter Herkel