Ethik und Geschäft

Gute Nachrichten aus dem „Wirtschaftswunderland Aserbeidschan“: Die „Modernisierung am Kaspischen Meer“ macht Fortschritte. Die Bewohner sind „stolz auf die im Alltag gelebte Religionsfreiheit, Offenheit und Toleranz“. Gute Nachrichten? Leider nicht. Der Text stand auf einer Doppelseite, die das Nachrichtenmagazin Der Spiegel Ende August veröffentlichte – genauer: auf einer doppelseitigen Anzeige, geschaltet von einer „Deutsch-Aserbeidschanischen Gesellschaft“ mit Sitz in Baku. „Plumpe Regierungs-PR“, kritisierte das NDR-Medienmagazin ZAPP. Propaganda, gegen die Der Spiegel in seinem redaktionellen Teil sicher immun ist. Gerade in diesem Jahr berichtete das Magazin mehrfach über die mafiösen Verhältnisse in der Diktatur und über Menschenrechtsverletzungen. Nicht zuletzt auch über die Versuche des Regimes, den Eurovision Song Contest als Kulisse für eine perfekt inszenierte Propaganda-Show zu missbrauchen.

Warum gibt sich Der Spiegel dann für eine solche Kampagne her? Die ebenso simple wie deprimierende Antwort: Weil der Verlag dafür einen sechsstelligen Euro-Betrag einstreicht. Die „kritische Betrachtung und Wertung der politischen Verhältnisse in Aserbeidschan durch die Redaktion“ sei dadurch „in keiner Weise tangiert“, lässt der Verlag versichern. Nicht tangiert, aber vielleicht doch erheblich kompromittiert. Dass private Medien sich zu großen Teilen aus Werbung finanzieren, ist eine Binse. Aber auch in schwierigen Zeiten sollte die Schere zwischen Verlagsinteressen und ethischen Standards nicht so weit auseinander gehen. Sonst lässt womöglich auch ein Putin demnächst sein autokratisch regiertes Russland in bezahlten Anzeigen als Hort der Pressefreiheit und Experimentierwiese für unangepasste Jugendkultur feiern. Behaupte niemand, gute geschäftliche Beziehungen und redaktioneller Kurs hätten absolut nichts miteinander zu tun. Zumindest so manchem Lokal- und Regionalblatt soll gegenüber Großinserenten auf entsprechenden verlegerischen Wink bereits der kritische Blick abhanden gekommen sein.

Dem Spiegel sollte im 60. Jahr seines Bestehens daran gelegen sein, seine Marke – zu Augsteins Zeit nannte man ihn „Sturmgeschütz der Demokratie“ – nicht zu beschädigen. Vorschlag zur Schadensbegrenzung: Reicht den Anzeigenerlös weiter – an Amnesty International oder Human Rights Watch!

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