Das Festival Series Mania bietet alljährlich einen internationalen Überblick der kommenden TV-Serienhighlights, wenn rund 5000 Branchenprofis aus 75 Ländern zusammenkommen. Auch in diesem Jahr feierten zahlreiche Produktionen mit ungewöhnliche Themen Premiere. US-Amerikanische Serien waren diesmal kaum vertreten. Das hat politische Gründe.
Eine Frau verlässt nach 30 Jahren ihren Ehemann und erhebt schwerwiegende Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn. Der Beschuldigte aber hat eine ganz andere Sicht auf die Geschehnisse. Wem sollen die beiden erwachsenen Söhne jetzt glauben? Das spanische Familiendrama „Querer“ war nur eine von zahlreichen Serien, die auf Europas größtem Serienfestival „Séries Mania“ in Lille gesellschaftliche und andere wichtige Fragen ins Zentrum der Handlung stellten. Der Vierteiler wurde in Nordfrankreich als beste Serie im internationalen Wettbewerb ausgezeichnet.
Genauso wie die dänische Produktion „One of Us is Trembling“ in der Kategorie „Short Form“ über das Auf und Ab eines jungen Paares, in der auch die seelischen Verwerfungen der beiden sichtbar werden.
„Weltoffene Auswahl“
„Wir haben eine sehr weltoffene Auswahl getroffen, und wir freuen uns, dass die Preise diese Auswahl widerspiegeln“, kommentierte die Gründerin und Geschäftsführerin von Séries Mania Laurence Herszberg die Ergebnisse und verwies dabei unter anderem auch noch auf die israelische Serie „The German“ mit Oliver Masucci als Nazi-Jäger in den 70er Jahren, den iranischen Neunteiler „At the End of the Night“ sowie die US-Dramedy „Hal & Harper“. Hier beschwört Indie-Filmer Cooper Raiff die Geister der Vergangenheit seiner Figuren herauf und liefert ein bittersüßes Familien-Coming-of-Age – Szenario mit Mark Ruffalo als ein von Schuldgefühlen geplagter Vater.
„Hal & Harper“ konnte allerdings nicht überdecken, dass US-Amerikaner in diesem Jahr ungewöhnlich spärlich den Weg nach Lille gefunden hatten, auch wenn Stars wie Amanda Seyfried oder Christina Hendricks dort ihre neuesten Serien vorstellten.
Die meisten der neuen Mehrteiler, die in Nordfrankreich Premiere feierten, kamen jedenfalls aus Europa oder Kanada, und: Sie wurden vor allem von oder für öffentlich-rechtliche Sender produziert. 55 Prozent dieses Genres in Europa stammt von ihnen. Damit sind sie zu einer wichtigen Stütze für ein Genre geworden, das kräftig ins Schlingern geraten ist. Das machte Guy Bisson vom Londoner Marktforschungsunternehmen Ampere Analysis auf der parallel zum Festival laufenden Konferenz klar: „Verglichen mit dem Boomjahr 2022, in dem weltweit pro Quartal 777 neue Serien beauftragt wurden, gab es einen Rückgang von etwa 25 Prozent 2024 mit nur noch 557 Produktionen.“
US-Politik nimmt Einfluss auf Serien
Dazu kommt, dass in der Branche auch die Angst vor Donald Trump umgeht, was ebenfalls auf dem Festival hinter den Kulissen immer wieder diskutiert wurde: Welchen Einfluss hat der neue US-Präsident auf das Medienbusiness? Etwa mit seiner zehn Milliardendollarklage gegen Paramount, einem der weltweit größten Stramingunternehmen, mit der Missbilligung von Gender- sowie Umweltthemen oder mit der Beschneidung des amerikanischen Auslandssenders „Voice of America“?
Es ist die Schlagzahl an neuen Verordnungen des autoritären Staatenlenkers, der selbst erst durch die Castingshow „The Apprentice“ Berühmtheit erlangte, die viele in der Branche beunruhigt. Offiziell gibt es keine offiziellen Statements zum politischen Wechsel von Unternehmen mit Sitz in den Vereinigten Staaten wie beispielsweise Netflix. Eine Sprecherin betonte allerdings, dass der „Entertainment-Dienst mit über 300 Millionen zahlenden Mitgliedern in über 190 Ländern Serien, Filme, Dokumentationen, Reality- und Comedy-Formate in zahlreichen Sprachen und für ganz verschiedene Zielgruppen, Kulturen und Geschmäcker bietet. Und so soll auch so bleiben wie der Streamingdienst in seinen Statuten nach wie vor betont: „Unsere Abonnenten haben viele verschiedene Hintergründe und Kulturen, und sie wollen eine große Vielfalt an Geschichten und Menschen auf dem Bildschirm sehen.“ Diese Vielfalt sei „wunderbar“ heißt es, und: „Wir unterstützen die künstlerische Ausdrucksfähigkeit der Autoren, mit denen wir zusammenarbeiten; wir programmieren für eine Vielzahl von Zuschauern, Kulturen und Geschmäckern.“ Tatsächlich, und das berichtete Ampere Analysis, sind die Themen Gender und Diversity merklich in den Angeboten der Streamer zurückgegangen, was wohl vor allem finanzielle Gründe hatte – bisher.
Chancen für Europa
Für europäische Akteure könnte das aber auch Chancen bieten. Die Leiterin der Hauptabteilung Spielfilm und Fernsehfilm bei Arte, Claudia Tronnier, etwa hofft auf ein größeres Interesse amerikanischer Player: „Als deutsch-französischer Sender und europäische Plattform ist es unsere Priorität, Serien mit europäischen Partnern zu entwickeln und zu fördern. Ein größeres Interesse von US-Talenten deutet sich an, und bietet dann auch Chancen für neue kreative Konstellationen, die interessante Inhalte hervorbringen können.“ Der deutsch-französische Sender war übrigens auch an der Produktion von „Querer“ beteiligt.