Fatale Nebenwirkungen

Redaktion und Werbung unzulässig vermengt

Sparzwänge, Personalabbau und Anzeigenausfälle haben in den Medienbranche zunehmend fatale Nebenwirkungen. Unter dem Druck von Konjunkturflaute und neuerdings auch terrorbedingten Umsatzrückgängen wächst die Bereitschaft von Verlagen und Sendern zur Durchlöcherung der Grenzen zwischen Redaktion und Werbung.

Unter der Headline „So wird der Herbst richtig stürmisch“ präsentierte „BILD Berlin“ im Oktober ein Model in verschiedenen „neuen Dessouskollektionen“. Die in der Modestrecke beschriebenen Artikel für „heiße Tage und Nächte“ stammten – anders als bei solchen Reportagen üblich – alle von ein und demselben Textilhersteller: „Gesehen bei Palmers“. Auf eine Nachfrage des „Spiegel“ räumte ein „BILD“-Sprecher zwar einen gewissen „werblichen Effekt“ ein. Das Thema sei, so die treuherzige Ausrede, „organisatorisch eben am einfachsten mit einem Hersteller zu realisieren“ gewesen.

Zwei krasse Beispiele

In der SAT-1-„Quiz-Show“ quält sich Ende Oktober eine Kandidatin minutenlang mit der spannenden Frage, wer 1876 eine Firma für in Essig eingelegte Spezialitäten gegründet habe. Gerry Weber? Georg Rodenstock? Oder doch eher Richard Hengstenberg? Am Ende tippt sie zur Freude aller Beteiligten richtig. Folgt der Werbeblock, in dem – welch wundersamer Zufall – auch ein Spot der Firma Hengstenberg auftaucht.

Zwei krasse Beispiele für ein altes Phänomen, das gemeinhin Schleichwerbung genannt wird. Die sich ankündigende wirtschaftliche Rezession erzeugt verstärkt einen hässlichen publizistischen Nebeneffekt. Im Zeichen von Krise und Terror, so urteilte unlängst auf den „Berliner Redaktionstagen“ Annette Milz, Chefredakteurin des „Medium-Magazin“, wachse offenbar in Verlagen und Sendern die „Bereitschaft zur Konzession“. Und der Chef der „Süddeutschen Zeitung“ Hans-Werner Kilz klagte an gleicher Stelle, dass die „redaktionelle Gegenleistung für Anzeigen schon fast zur Selbstverständlichkeit geworden“ sei.

„Selbstverständlichkeit“

Es häufen sich die Fälle, in denen redaktionelle Angebote und Werbebotschaften in unzulässiger Weise vermengt werden. Nach dem Pressekodex sind Verleger und Journalisten zwar aufgefordert, „derartige Versuche“ abzuwehren und „auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken“ zu achten. Die Praxis sieht vielfach anders aus.

Eine Agentur schickte dem Verlag einer Zeitschrift für Zahnheilkunde Info-Material. Der Verlag antwortete, man habe in der Vergangenheit mehrfach PR-Artikel über das Unternehmen veröffentlicht, habe aber im Gegenzug nie einen Anzeigenauftrag erhalten. Der Beschwerdeausschuss des Presserates sprach dem Verlag eine Missbilligung aus. „Problemfälle dieser Art gibt es vor allem bei Special-Interest-Zeitschriften“, sagt Ausschussvorsitzende Ursula Ernst-Flaskamp. Nach dem Motto „Schreibst Du mir einen Text, schalte ich eine Anzeige“. Immer häufiger geht die Initiative zu solchen Koppelgeschäften von den Verlagen selbst aus. Dann verspricht die Anzeigenabteilung einer Zeitung oder einer Zeitschrift einem potenziellen, aber noch unentschlossenen Inserenten als Zugabe zur Anzeige einen redaktionellen Text. Kurios auch, was neuerdings unter dem Label „Sonderwerbeformen“ ausgeheckt wird. „Wenn man mir mitteilen würde, dass die Seite eins meiner Zeitung im Magentarot eines bekannten Konzerns zu erscheinen hat, würde ich darüber nachdenken, meinen Job zur Verfügung zu stellen“, sagte „Bild am Sonntag“-Chef Claus Strunz auf den „Berliner Redaktionstagen“. Sein Konzernkollege von der „Welt“, wo eben dies – allerdings in einer anderen Farbe – passierte, hat damit offenbar kein Problem.

Kein Problem

In den elektronischen Medien heißt das Zauberwort zur phantasievollen Umgehung der Werberichtlinien „Product Placement“. Ganze Heerscharen von PR-Agenten sind bemüht, immer neue Varianten von Kompensationsgeschäften, Gewinnspielen und Sponsoring auszutüfteln. Die für den Privatfunk zuständige Medienaufsicht in Gestalt der Landesmedienanstalten steht diesen Techniken meist ratlos gegenüber. Und dass es sich bei der Online-Kooperation des ZDF mit der Telekom unter der Marke „www.heute.t-online.de“ eigentlich um eine recht freche Form von cross promotion handelt, regt schon niemand mehr sonderlich auf.
In den USA ist man schon einen Schritt weiter. Einzelne Verlage sind dem Vernehmen nach dazu übergegangen, die Gehälter der Journalisten an die Entwicklung des Anzeigengeschäfts zu koppeln. Wann wohl der Ruf deutscher Verleger nach „uneingeschränkter Solidarität“ mit den amerikanischen Kollegen erschallt?

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