Fusionsfieber

Merger-Mania im Medien-Business

AOL schluckt Time Warner. Der größte Unternehmenszusammenschluss der Wirtschaftsgeschichte rüttelt die Medienwirtschaft kräftig durcheinander. Bedeutet der Deal tatsächlich den Triumph der neuen Medien über die alten, wie vielfach behauptet – oder ist die Verbindung doch nur alter Wein in neuen Schläuchen? Versuche, Inhalte und Verbreitungswege gewinnbringend zu verbinden, gab es auch schon früher. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Ziemlich unstrittig ist, dass das Internet die Marktmechanismen der Medienbranche umgestalten wird. Aber der Beweis, dass eins und eins vier ergibt, wie die Betreiber von Megafusionen immer wieder vorrechnen, steht noch aus.

Der Termin stand schon fest. Auf das Gespräch mit AOL-Chef Steve Case hatte sich der „Fortune“-Reporter Marc Gunther gut vorbereitet. Einen Arbeitstitel hatte er auch schon formuliert: „Steve Case will die Welt erobern.“ Wie goldrichtig er mit dieser Hypothese lag, musste Gunther am Morgen des geplanten Interviewtermins erfahren: Eine Mitarbeiterin von AOL rief ihn an, um das Interview abzusagen. Der Grund: „Wir kaufen Ihre Firma.“

Diese Nachricht hat nicht nur den „Fortune“-Reporter überrascht. Die im Januar bekanntgegebene Fusion von AOL, dem weltgrößten Internet-Provider und Time Warner, dem weltgrößten Medienkonzern, hat im weltweiten Blätterwald ein ziemlich lautes Rauschen verursacht. Die „International Herald Tribune“ verkündete den „Triumph des Internet“, der „Spiegel“ konstatierte eine „Online-Revolution“ und die „Business Week“ titelte „Willkommen im 21. Jahrhundert.“

Schon allein die schiere Größe des Deals sprengt den Rahmen des Dagewesenen: Mit umgerechnet 165 Milliarden Dollar Transaktionswert ist dies der größte Firmenzusammenschluss der Welt, größer noch als die angekündigte Mega-Übernahme von Mannesmann durch Vodafone Airtouch. Entsprechend großspurig verkündet AOL-Chef Steve Case: „Wir werden die Art und Weise, wie sich Menschen informieren, unterhalten und einkaufen, fundamental verändern.“

Analysten beeindruckt

Die Analystengemeinde jedenfalls gab sich zunächst beeindruckt. „Der Zusammenschluss von alten und neuen Medienunternehmen kreiert zusätzliches Potenzial“, sagt Michael Parekh vom US-Investmenthaus Goldman Sachs, „die gesamte Medienbranche steht vor einer Neubewertung.“ Ähnlich euphorisch sieht es Scott Ehrens, Medienanalyst bei Bear Stearns: „Zusammen haben die beiden Unternehmen nie dagewesene Macht. Wenn es um Inhalte für Internet und klassische Medien geht, ist die Allianz unschlagbar.“

In der Tat sieht es so aus, als seien Konkurrenten wie Disney, Viacom, Bertelsmann oder die News Corporation des Rupert Murdoch auf einmal vom Abstieg in die zweite Liga bedroht. Selbst Giganten wie Microsoft und AT & T scheinen jetzt unter Zugzwang zu geraten. „Ich müsste mich sehr täuschen, wenn nicht noch andere große Deals nachkommen“, sagt Paul Noglows, Medienexperte der US-Investmentbank Hambrecht & Quist. An der Wall Street werden bereits Szenarien durchgespielt: Hat die Suchmaschine Yahoo das nötige Kapital, einen klassischen Medienplayer wie Disney oder Viacom zu schlucken? Kommt Disney womöglich auf die Idee, Kabelnetze aufzukaufen, um die Verbreitung der eigenen Inhalte zu sichern. Mit welchen Inhalten will der Kabel- und Telefonriese AT & T seine Netze beschicken? Und was macht Microsoft im Mediensektor, wenn erst einmal die anhängige Wettbewerbsklage ausgestanden ist?

Vision vom voll integrier ten Medienkonzern

Die Vision hinter den Mega Deals der 80er und 90er Jahre ist im Grunde immer die gleiche. Es ist der alte Traum vom voll integrierten Medienkonzern, der seine Inhalte durch alle denkbaren Verwertungskanäle nudelt: den verlagseigenen Buch-Bestseller in den eigenen Studios zum Kinoknüller gemacht, flankiert von publizistischem Begleitfeuer – im Fachjargon: cross promotion – der konzerneigenen Zeitschriften und Fernsehkanäle. Den Soundtrack dazu liefert idealerweise ein hiterprobter Künstler, den das konzerneigene Plattenlabel unter Vertrag hat. Dann kommt die Videoversion heraus, zuerst als Leih- und dann als Kaufkassette, bevor der Film dann mit Umweg über das Pay TV in die unendlichen Wiederholungsschleifen des werbefinanzierten Free-TV wandert und auf jeder Stufe der Verwertungskette nochmal Geld einspielt.

Doch das anbrechende Internet-Zeitalter stellt diese feuchten Synergieträume der Medienbarone zunehmend in Frage. Sind die angestammten Vertriebswege für die eigenen Inhalte nicht bald obsolet, wenn sich jeder Nutzer Filme, Spiele und Musiktitel selber aus dem weltweiten Netz zapfen kann? Die Internet-Phantasie der Börsianer hat Newcomer wie AOL, Yahoo, eBay und Amazon innerhalb weniger Jahre so mit Fremdkapital aufgepumpt, dass sie die alten Riesen des Unterhaltungsgewerbes schlucken können. Rupert Murdoch, Inhaber der weltumspannenden News Corporation und eher selten von Bescheidenheit geplagt, sieht jetzt durchaus das Risiko, „ein Frühstückshappen“ für einen dieser Internet-Riesen zu werden: „Viele von uns waren große Fische in einem kleinen Teich, jetzt sind wir alle sehr kleine Fische neben den großen Haien AOL und Microsoft.“

Sieg der neuen Medien…

Freilich wäre es verfrüht, die faktische Übernahme von Time Warner durch AOL bereits als Sieg der neuen Medien über die alten zu feiern. Denn der Beweis, dass Online-Business und E-Commerce die bestehenden Vertriebswege und Wertschöpfungsketten obsolet machen, steht nach wie vor aus. Schon einige sogenannte Revolutionen – von WebTV über Push-Dienste bis hin zu sogenannten Netz-Rechnern – wurden als das kommende große Ding gehandelt und dann stillschweigend beerdigt, als die nächste Sau durchs Dorf getrieben wurde. So gesehen darf man gespannt sein, wie lange Netz-Communities, Portale und drahtlose WAP-Dienste Talk of the Town bleiben.

… oder des Spediteurs?

Kann man von einem Sieg des Spediteurs sprechen, wenn der sich für teures Geld Tonnen von Ladung dazukaufen muss, damit sein aufgeblähter Fuhrpark ordentlich ausgelastet bleibt? Lässt man mal den ganzen Hype um E-Commerce und digitale Revolutionen beiseite, dann erinnert die strategische Synergie-Rhetorik doch stark an die Parolen, die in den achtziger Jahren die Runde machten, als sich die großen Elektronik-Konzerne Sony, Matsushita (Panasonic) und Philips in Hollywood-Studios und Plattenlabels einkauften. Damals wurde es von Analysten als richtungsweisend gefeiert, dass sich Hardware-Produzenten auch ins Geschäft mit den Inhalten einmischen, um ihre strategische Position zu sichern.

Attraktive Inhalte müssen dazukommen

Schließlich muss noch jede technische Innovation bei den Massenmedien das alte Henne-Ei-Problem lösen, das da lautet: Nennenswerte Stückzahlen neuer Geräte lassen sich erst an den Mann bringen, wenn auch attraktive Inhalte da sind. Solange aber die verkauften Stückzahlen niedrig sind, halten die Lieferanten ihre attraktiven Inhalte lieber zurück. Aus heutiger Sicht lässt sich klar bilanzieren, dass die Rechnung der Elektronik-Konzerne so nicht aufgegangen ist. Bis auf Sony haben sich die Unterhaltungselektronik-Hersteller aus dem Inhalte-Geschäft weitgehend zurückgezogen.

Kein Wunder also, dass sich die Konzernlenker der großen Unterhaltungsdampfer durch den AOL-Time-Warner-Deal in ihren jeweiligen strategischen Entscheidungen bestätigt sehen. Thomas Middelhoff freut sich, es schon lange gewusst zu haben, was da was auf die Bertelsmänner zukommt. Früher hätten viele Mitarbeiter gelacht, wenn ihr Chef sagte, er wolle nicht irgendwann als Abteilungsleiter bei AOL-Chef Steve Case landen. „Jetzt lacht keiner mehr“, so Middelhoff.

Sumner Redstone, Chairman und Hauptaktionär bei Viacom (Paramount, MTV), sieht die Ehe von AOL mit dem Erzkonkurrenten Time Warner eher skeptisch: „Rein rational kann ich den Deal nicht nachvollziehen.“ Für sein Unternehmen, den drittgrößten Medienkonzern der Welt, komme eine solche Unternehmensfusion nicht in Frage. „Wir wollen uns nicht mit Internet-Firmen zusammentun, deren Börsenwert aufgebläht ist und deren Aktienkurs sofort nach einer Fusion verfällt.“ Ohnehin ist Viacom derzeit noch damit beschäftigt, die Übernahme des US-Networks CBS unter Dach und Fach zu kriegen. Da CBS auch eine Radiokette und einen führenden Anbieter von Plakatwerbung mit einbringt, sieht sich Viacom als größter Anbieter von Werbemedien in der Lage, Verbraucher von der Wiege bis zur Bahre zu begleiten. Sorgen, von der Zukunft abgekoppelt zu werden, plagen Redstone daher nicht: „Wo wollen diese Online-Leute werben, wenn nicht bei uns?“

Die Erfahrung bei großen Übernahmen und Fusionen zeigt immer wieder: Die eigentliche Arbeit beginnt, wenn die Tinte unter den Verträgen trocken ist. Und Größe allein garantiert noch gar nichts. So brauchte Time Warner nach dem Zusammenschluss von Time Inc. und Warner Bros. im Jahre 1989 etliche Jahre, die unterschiedlichen Unternehmenskulturen zu vereinen und den hochverschuldeten Medienmoloch wieder profitabel zu machen. Die Integration von ABC in den Disney-Konzern ist selbst nach fünf Jahren noch nicht völlig abgeschlossen. Und Manager und Analysten müssen sich eingestehen, dass sich nicht alle Blütenträume materialisiert haben, die sie seinerzeit bei der Übernahme des Fernsehnetworks durch den Unterhaltungskonzern erwartet hatten.

Folgen für die journalis tische Unabhängigkeit?

Neben den wirtschaftlichen Aspekten werfen Großfusionen wie die von AOL und Time Warner aber auch inhaltliche Fragen auf: Wie steht es etwa um die journalistische Unabhängigkeit der einzelnen Medien in einem solchen Mega-Konglomerat? „Können Fortune und CNN Financial News noch aggressiv über das Auf und Ab der AOL-Aktien berichten? Kann Time noch fair über AOL-Konkurrenten wie Yahoo oder Amazon.com schreiben?“, fragt Howard Kuntz, Medienkritiker der „Washington Post“. Im Prinzip ja. Schließlich haben „Time“-Kinokritiker vor Jahren den Film „Batman“ verrissen, obwohl der aus den konzerneignen Warner-Studios stammte. So beeilt sich AOL-Vizepräsident Steve Vradenburg mit dem Hinweis, die Journalisten innerhalb der Firmenfamilie hätten künftig „das gleiche Maß an Unabhängigkeit wie bisher“.

Marc Crispin Miller, Journalistik-Dozent an der University of New York, sieht die eigentliche Gefahr für die innere Pressefreiheit nicht in tatsächlichem Druck aus der Konzernspitze, sondern in der Selbstzensur der Mitarbeiter. Als idealtypisches Beispiel hierfür kann gelten, dass ABC vor einiger Zeit einen TV-Beitrag aus dem Programm gekippt hat, der sich mit Mängeln in den Disney-Themenparks befasst hatte. Offiziell begründete das Sender-Mangement die Ablehnung des Beitrags mit dem Hinweis, die Vorwürfe seien nicht substanziell genug gewesen. Das kann man glauben, muss man aber nicht. Der US-Kommunikationswissenschaftler Robert McChesney zieht jedenfalls ein düsteres Fazit aus den Fusions- und Übernahmegeschichten der letzten Jahre: Guter Journalismus ist oft ein schlechtes Geschäft und schlechter Journalismus ein gutes Geschäft.“


  • Rolf Karepin
    arbeitet als freier Journalist im Heidelberger Journalistenbüro PBM mit dem Spezialgebiet internationale Medien- und Telekommunikationsmärkte. Er schreibt u.a. für „Horizont“, „Wirtschaftswoche“, „kress report“ und „Computer-Zeitung“.

 

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