Geschmäckle bei essen & trinken

Über tausend Beschwerden gehen jährlich beim Deutschen Presserat ein, der viermal im Jahr tagt. Meist sind es Leser, die sich über die Medien beschweren. Erstmalig aber in der langen Geschichte des Presserates: Ein Betriebsrat beschwert sich über seinen eigenen Verlag.


Frischer Wind weht an der Elbe beim Verlagshaus Gruner + Jahr am Baumwall in Hamburg. Vorstandschef Bernd Buchholz hat das Sonnendeck verlassen müssen, neue Verlagschefin ist Julia Jäkel. Und kaum an Bord gibt es die erste steife Brise – ausgerechnet beim eher gemütlichen essen & trinken: Als Beilage zu der Juni-Ausgabe erschien mit e&t-Logo ein Extraheft zur Gastronomie der „Autostadt“ in Wolfsburg. Hinweis auf der Titelseite: „In Kooperation mit Autostadt“ und daneben das Logo der VW Erlebnis- und Abholstätte.
Nun wäre es nicht Besonderes, wenn sich ein Essmagazin mit biologisch geführten Gaststätten unter den Gesichtpunkten „Biologisch – Nachhaltig – Fair“, so die Unterzeile, beschäftigt. Mehr als ein Geschmäckle bekommt die Sache aber, wenn dem Kooperationspartner auf gut zwölf von insgesamt 26 Seiten des Extraheftes überschwängliches Lob entgegenwabert, wenn in den „redaktionellen“ Texten zwei Biobetriebe positiv namentlich genannt werden, die sich dafür jeweils mit einer ganzseitigen Anzeige bedanken dürfen, wenn durch einen kurzen Blick auf die Internetseite der Autostadt ersichtlich wird, dass ein großer Teil der Fotos von der Autostadt stammen, dies aber in den Foto-Credits nicht gekennzeichnet ist. Und wenn schließlich mit neun namentlichen Erwähnungen in den unterschiedlichen „Artikeln“ auf die Kreativdirektorin der Autostadt, auf Dr. Maria Schneider das hohe Lied der Wichtigkeit und Kreativität gesungen wird, wenn sich auf der letzten Seite noch einmal eine lobende Zusammenfassung aller neun Restaurants findet mit Formulierungen, wie sie auch auf der hauseigenen Internetseite des Autohauses stehen, so kann das alles kein Zufall sein und ist weit mehr als ein Geschmäckle.
Bei Gruner + Jahr gilt der Bertelsmann Verhaltenskodex, der „Code of Conduct“. Im Punkt 4.5 zur „Unabhängigen und verantwortungsvollen Berichterstattung“ heißt es im dritten Spiegelstrich: „Wir halten uns an bestehende Regeln zur Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten.“ Genau dies aber sah der g+j-Betriebsrat im Fall des e&t-Extraheftes als nicht gegeben und wandte sich an den Compiance-Ausschuss, einer Art hausinterner Schlichtungsstelle. Der Ausschuss reagierte mit einem lapidaren Schreiben: „Die Beratungen und das Ergebnis derselben sind zum Schutz der Beteiligten vertraulich.“
Zu vertraulich für den BR, der diese „Taktik des Herumlavierens nicht hinnehmen“ will. Er reichte Ende September eine Beschwerde beim Presserat ein. Sollte dieser die Beschwerde zulassen, wird er sie auf seiner nächsten Sitzung im Dezember behandeln.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Filmtipp: Die Mutigen 56

Hin und wieder ist es gar nicht verkehrt, sich bewusst zu machen, wie gut es uns in vielerlei Hinsicht geht. Jedenfalls gemessen an anderen Zeiten. Vieles von dem, was uns heute selbstverständlich erscheint, musste erst erkämpft werden, zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; davon erzählt das sehenswerte Dokudrama „Die Mutigen 56 – Deutschlands längster Streik“.
mehr »

Spanien: Als Terrorist beschuldigt

Der katalanische Investigativjournalist Jesús Rodríguez hat Spanien verlassen, um ins Exil in die Schweiz zu gehen. Ihm wird von Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón die Unterstützung terroristischer Akte vorgeworfen. Die Schweiz sieht im Vorgehen der spanischen Justiz gegen den Katalanen einen „politischen Charakter“.
mehr »

Quartalsbericht zur Branche liegt vor

Einen detaillierten Blick auf das Geschehen in der Medienbranche wirft der jetzt wieder vorliegende Quartalsbericht. Er speist sich aus den Auswertung von Internetseiten, Zeitungen, Fachzeitschriften, Informationsdiensten, Verbands- und Unternehmenspublikationen. Ein Merkmal des ersten Monate dieses Jahres: Viele Übernahmen und eine Werbekonjunktur. 
mehr »

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »