Thomas Rogalla, Sprecher des Redaktionsausschusses zu den Turbulenzen bei der Berliner Zeitung
M | Herr Rogalla, seit Tagen lesen wir in anderen Blättern viel über die Berliner Zeitung. Die Redaktion fordert den Rücktritt von Chefredakteur Josef Depenbrock und möchte vom Verleger, dem Chef der Mecom-Gruppe, David Montgomery, wieder verkauft werden. Das sind ungewöhnliche Schritte – was ist der Kern des Konfliktes?
THOMAS ROGALLA | Es wird immer deutlicher, dass es völlig unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, was eine Qualitätszeitung im umkämpften Berliner Markt leisten muss. David Montgomery und sein hiesiger Platzhalter, Josef Depenbrock, sind erkennbar darauf aus, möglichst hohe Rendite in möglichst kurzer Zeit zu erzielen. Wir verdienen zwar bereits bestens, aber es reicht Mecom nicht. Es reicht Finanzinvestoren nie. Fatal ist zudem, dass seit Mitte Januar an der Londoner Börse der Kurs von Mecom zerbröselt – inzwischen auf etwa ein Viertel seines Höchstwertes. Das Vertrauen der Anleger in Montgomerys Konzept ist beschädigt. Gleichzeitig müssen hohe Abschreibungen und Zinsen abbezahlt werden, denn Mecom hat europaweit über einhundert Zeitungstitel gekauft – viele auf Pump. Um die Banken und die misstrauisch gewordenen Anleger zu bedienen, muss jetzt aus allen Titeln rausgeholt werden, was nur rauszuholen ist. Aus dieser Logik heraus kann nicht in die Zeitungen investiert werden.
M | Stehen sich hier zwei Marktlogiken – die der Finanzinvestoren und die des Zeitungsmarktes – unversöhnlich gegenüber?
ROGALLA | Wenn es darum geht, Gewinn zu machen, sehe ich zunächst keinen so großen Widerspruch. Zeitungen sind einerseits Kulturgüter und wichtige Institutionen der Demokratie. Aber seit es Zeitungen gibt, sind sie auch kommerzielle Güter. Ein Verlag kann und muss mit Zeitungen Geld verdienen, dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, weil finanzielle Unabhängigkeit auch publizistische Unabhängigkeit sichert. Das Problem mit Mecom ist die völlig absurde Renditevorstellung von 18 bis 20 Prozent und darüber. Das geschieht ohne Rücksicht auf die Marktgegebenheiten. Übrigens hören wir beinahe wortgleiche Schilderungen aus den zur Mecom-Gruppe gehörenden Zeitungen in Dänemark, Norwegen und den Niederlanden. Wo Mecom hinkommt, steigt die Rendite und sinkt der Anspruch.
M | Da kommt aber dann doch die Logik der Finanzinvestoren der Logik des Zeitungsmarktes in die Quere?
ROGALLA | Offenkundig ist das so. Uns gegenüber behauptet Herr Montgomery, er sei keine Heuschrecke, die schnell alles wegfrisst und dann weiterfliegt. Er wolle auf lange Sicht bleiben. Das mag sogar stimmen, denn er kann die Kredite, die er zum Kauf des Berliner Verlages aufgenommen hat, nicht sofort zurückzahlen. Man weiß nicht, was schlimmer ist: kurzfristiges Heuschreckenverhalten oder ein langfristiges Mecom-Engagement, bei dem unser bisheriges journalistisches Modell, das auf Qualität und Unabhängigkeit setzt, durch einen verkaufsfreundlichen Anzeigenumfeldjournalismus ersetzt wird. Wenn Montgomery sich damit durchsetzt, müssten auch die hiesigen Zeitungshäuser folgen – was manche sicher ohnehin gern tun würden. Deshalb hat der Casus Mecom für unsere Presselandschaft große Bedeutung und verdient kritische Beachtung.
M | Der Redaktionsausschuss hat mit Montgomery gesprochen. Haben Sie den Eindruck, dass er etwas von Zeitungen versteht?
ROGALLA | Er war Journalist. Ob er die Zeitungen bei uns versteht oder verstehen will, steht jedoch dahin. Schauen Sie sich die Berliner Zeitungs- und Onlinelandschaft an: Mit der Berliner Zeitung, dem Kurier, dem Tip und der Netzteitung hat der Berliner Verlag vier gut eingeführte Marken, die sich auf diesem umkämpften Markt sehr gut behaupten. Da ist jeder Verleger in der Pflicht, diese Marken nicht zu beschädigen. Noch machen wir eine gute Zeitung. Wir fühlen uns den Lesern verpflichtet. Wir arbeiten aber zunehmend am Limit. Redakteure, leitende Redakteure und anderes Führungspersonal haben das Haus schon verlassen. Nur durch heftigen Protest der Redaktion ist der Chefredakteur/Geschäftsführer jetzt bereit, einige Stellen auszuschreiben. Wir hoffen, verhindern zu können, dass die Marke Berliner Zeitung ausgelaugt und zerstört wird.
M | Die Redaktion führt diese engagierte Auseinandersetzung auch für ihre Leser. Da dürfte eigentlich zwischen Redaktion und Chefredakteur kein Blatt Papier passen – oder?
ROGALLA | Viele Leser unterstützen uns mit Mails und Briefen. Das ermutigt uns. Für den Geschäftsführeranteil in Josef Depenbrock ist unser Engagement bares Geld wert. Er weiß, dass die Redaktion ächzend die Lücken füllt, die der Weggang etlicher guter Leute gerissen hat. Sein Chefredakteurs-Anteil müsste sich aber dafür einsetzen, dass in Technik und Personal investiert wird.
M | Gerichtlich wollen Sie nun klären lassen, ob die Doppelfunktion von Depenbrock – Chefredakteur und Geschäftsführer – rechtens ist. Was versprechen Sie sich von dieser Klage?
ROGALLA | Wir möchten erreichen, dass sich Herr Depenbrock an das mit ihm ausgehandelte und von ihm mit unterschriebene Redaktionsstatut hält. In diesem Statut ist die „Gewaltenteilung“ festgeschrieben: Der Chefredakteur vertritt die Interessen der Redaktion gegenüber dem Verlag. Das findet sich in vielen Formulierungen des Statuts. Diese duale Konstruktion ist durch Depenbrocks Doppelfunktion eingestürzt. Es geht aber nicht, engagiert die Interessen der Redaktion gegenüber den kommerziellen Interessen des Verlags zu vertreten, und gleichzeitig mit derselben Verve die Interessen des Verlegers gegenüber der Redaktion wahrzunehmen. Aus gutem Grund ist das in Zeitungshäusern bisher getrennt. Und unsere Erfahrung mit Mecom zeigt, dass das auch so bleiben muss.