Gespräch mit dem „Stern“-Betriebsratsvorsitzenden Wolfgang Barthel über Betriebsratsarbeit von und für Journalisten
Warum übernimmt ein Journalist mit einem „Traumjob“ die Interessenvertretung seiner Kolleginnen und Kollegen, fragte Rüdiger Lühr für M Wolfgang Barthel.
Wie lange bis Du schon im Betriebsrat? Und warum hast Du überhaupt das erste Mal kandidiert?
BARTHEL: Ich bin jetzt wieder acht Jahre im Betriebsrat, nachdem ich in den 70er Jahren schon einmal im Betriebsrat von Gruner+Jahr gewesen war. Dazwischen war ich ganz ausgestiegen: Zweieinhalb Jahre Segeln im Mittelmeer und dann dreieinhalb Jahre beim „Spiegel“. Betriebsrat bin ich geworden, weil ich ein Relikt der 68er Generation bin und schon immer politisch etwas gemacht habe. Und wenn man im Betrieb ist und politisch wirken will, geht das eigentlich nur mit dem Betriebsrat.
Nun sind Journalisten als Betriebsräte auch heute noch eher die Ausnahme. Wie läßt sich das überhaupt mit dem Berufsbild vereinbaren? Es heißt ja, Journalisten sollen unabhängig und objektiv berichten, nicht nur für eine Seite Positionen beziehen.
BARTHEL: Erstens kann man Betriebsratstätigkeit und berufliche Arbeit durchaus trennen. Und zweitens habe ich festgestellt, daß man auch im Betriebsrat regelmäßig sorgfältig recherchieren muß. Man kann Äußerungen von Beschäftigten nicht ungeprüft übernehmen. Auch Mitarbeiter können sich irren. Und dann halten wir plötzlich die falsche Fahne hoch. Wir überprüfen jeden Fall. Das ist fast wie journalistische Tätigkeit. Wir beschäftigen uns mit Menschen und mit den Dingen, die geschehen und dann versuchen wir allerdings – da gehen wir über die journalistische Arbeit hinaus – eine Lösung zu finden und nicht nur darüber zu schreiben.
Aber journalistische Arbeit bedeutet doch oft auch unregelmäßige Arbeitszeit und Auswärtstermine.
BARTHEL: Beruflich bin ich Reporter für Politik beim „Stern“. Das ist ja fast der tollste Job, den man als Journalist in Deutschland haben kann, weil man viel Freiheit hat, viel reisen und sich seine Themen selbst suchen kann. Das bedeutet natürlich, daß man Betriebsratsarbeit eher unregelmäßig machen kann. Jetzt bin ich freigestellt. Vorher gab es manchmal Probleme. Wenn die Anwesenheit im Betriebsrat dringend erforderlich war, bin ich eben einen Tag später auf Reisen gegangen als geplant. Oder manchmal mußte ich eben am Tag Betriebsratsarbeit machen und abends oder am Wochenende schreiben.
Aber das hat Dich nicht so behindert, daß Du nicht mehr journalistisch arbeiten konntest?
BARTHEL: Irgendwie hat das immer geklappt. Auch die Journalisten, die jetzt in unserem Betriebsrat sind, können nicht immer zu den Sitzungen kommen, weil sie dann gerade auf Kuba sind oder in Tschechien, Bonn oder wo auch immer. Das läßt sich dann nicht vermeiden. Aber dennoch braucht man den Sachverstand von Journalisten für die Betriebsratsarbeit. Bei uns sind von 1800 Beschäftigten 650 Journalistinnen und Journalisten. Die müssen einfach im Betriebsrat vertreten sein.
Also doch nicht problemlos. Lohnt sich der Aufwand? Kann man denn als Betriebsrat überhaupt etwas bewirken?
BARTHEL: Heute ist das natürlich ein defensiver Job. Das ist ja ein gesellschaftliches Problem. Früher konnten wir mehr durchsetzen als heute. Wir haben eine Betriebsrente eingeführt, eine Gewinnbeteiligung und vielfältige Sozialleistungen. Heute ist unser Arbeitgeber wie alle anderen in Deutschland. Also müssen wir das, was wir erreicht haben, verteidigen. Das ist wohl im Moment überall so.
Das hört sich sehr allgemein an. Können Betriebsräte denn auch etwas für Journalisten erreichen?
BARTHEL: Ich denke doch. Im Betrieb sind Journalisten auch ganz normale Arbeitnehmer – auch wenn sie sich selbst oft nicht so sehen. In der IG Medien bin ich beispielsweise in der Tarifkommission und schlage mich derzeit mit dem Urheberrecht herum, das die Verleger für den Onlinebereich aushebeln wollen. Für Journalisten ist es im Betrieb als Betriebsrat vielleicht schwierig, die Arbeitszeit zu regeln, aber wichtig sind die vielen personellen Einzelfälle. Da haben wir gerade bei Gruner+Jahr in bestimmten Redaktionen und bei bestimmten Chefredakteuren eine Menge zu tun. Und da haben wir auch eine Menge erreicht.
Du hast Deine Tätigkeit in der IG Medien angesprochen. Heute sind die Betriebsräte viel eigenständiger als früher. Ist die Gewerkschaft für Betriebsräte heute überflüssig?
BARTHEL: Überflüssig bestimmt nicht, aber sie leistet nicht das, was sie leisten könnte und müßte, um wirklich Dienstleister für Betriebsräte zu sein. Bei uns wollte die Geschäftsleitung beispielsweise in einem Bereich eine neue Gleitzeitvereinbarung mit Arbeitszeitkontingenten. Da gibt es in der IG Medien niemand, der mir sagen kann, macht das oder macht das nicht und achtet auf folgendes. Oder wenn eine Software eingeführt werden soll. Keiner in der Gewerkschaft hat Ahnung davon. Deshalb können wir in diesen Fragen nicht mehr auf den Rat von ohnehin überlasteten hauptamtlichen Gewerkschaftern zurückgreifen, sondern wenden uns an externe Berater. Hier hat die Gewerkschaft mit Sicherheit ein Defizit.
Warum kandidierst Du wieder zur nächsten Betriebsratswahl?
BARTHEL: Daß ich nochmal kandidiere, ist für mich eigentlich selbstverständlich. Das entspricht meinen politischen Vorstellungen. Ob ich dann noch einmal Vorsitzender werde, muß das Gremium entscheiden.