Das Stuttgarter Pressehaus machte in diesem Sommer erneut von sich reden: Stellenstreichungen sind angesagt. Kein Einzelfall, denn seit Jahren sorgen die Sparprogramme regionaler und überregionaler Zeitungsverlage für Aufregung. Immer wieder: Arbeitsplatzabbau, Zusammenlegungen, Tarifflucht. Betriebsräte haben wenige Chancen auf Mitbestimmung und Alternativpläne: Der Tendenzparagraf 118 in der Betriebsverfassung verhindert ökonomische Mitbestimmung. Dass es auch anders geht, zeigt ein Beispiel aus Karlsruhe.
Als die Kölner DuMont Gruppe 2010 eine Berliner Gemeinschaftsredaktion für „Berliner Zeitung“, „Frankfurter Rundschau“ und „Kölner Stadt-Anzeiger“ gründete, strich sie zuallererst 50 von 190 gemeinschaftlichen Stellen. Für Ärger sorgten auch die Stellenabbauprogramme des im Ruhrgebiet beheimateten WAZ-Konzerns, heute „Funke-Mediengruppe“. Auf fast 600 Mitarbeiter*innen summiert sich hier der Abbau über die Jahre. „Betrieblichen Notwendigkeiten“ begründeten auch im Stuttgarter Pressehaus wiederholt Sparmaßnahmen. 55 Stellen sind es jüngst, 30 weitere waren es 2016 in der Redaktion.
Haben die Redakteurinnen und Redakteure auch nur den Hauch einer Chance zur Mitwirkung an solchen betrieblichen Entscheidungen? In der Regel nicht. Der im Betriebsverfassungsgesetz verankerte sogenannte Tendenzparagraf – eine gänzlich deutsche Besonderheit – schränkt die „innere Pressefreiheit“, die Freiheit der Journalist*innen gegenüber der Verlagsspitze, deutlich ein. Das gilt für die inhaltliche Tendenz („Blattlinie“), aber schwerwiegender wiegt der §118 des Betriebsverfassungsgesetztes (BetrVG) auf die betriebliche Mitbestimmung. Er beschränkt sie in Medienunternehmen deutlich, schützt Redakteur*innen auch deutlich weniger als ihre Kolleg*innen in anderen Branchen. Betriebsräte in Medienunternehmen haben – zumindest in den allermeisten Fällen – keine detaillierten Einblicke in die betriebswirtschaftlichen Zahlen eines Zeitungshauses.
Einen weithin einzigartigen Journalistenstreik hatte es vor einigen Jahren dort gegeben, wo ihn keiner erwartet hatte: beim „Schwarzwälder Boten“ in Oberndorf. Zwölf Wochen lang traten die Mitarbeiter*innen in den Ausstand, weil der Verleger Richard Rebmann – lange Zeit auch Geschäftsführer der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) in Stuttgart und damit Chef der Zeitungsverlage im Pressehaus Stuttgart – die kleine Regionalzeitung in Untergesellschaften zerschlagen und damit die Tarifbindung aufheben wollte.
Ob Sparkonzepte überhaupt notwendig sind, können die Journalist*innen mangels Einblick in Geschäftszahlen oft nicht beurteilen. Und: Nicht nur in Oberndorf wurde vor der geplanten Umstrukturierung der Betriebsrat ignoriert – auch der jüngste Stellenabbau im Stuttgarter Pressehaus wurde ganz nach Gutsherrenart als „Ordre per mufti“ von oben herab verkündet. 2011 legten zeitweilig bis zu 140 von 270 Mitarbeiter*innen im Schwarzwaldstädtchen Oberndorf die Arbeit nieder. In Stuttgart-Möhringen passierte – nichts. Allerdings gab es einen von mehr als 200 Redakteurinnen und Redakteuren der „STZ-N“ unterzeichneten geharnischten Protestbrief gegen „den Kahlschlag und einen drohenden Verlust an Vielfalt und journlistischer Qualität“.
Einer der maßgeblichen Wrtführer des Protestes in Oberndorf, der frühere Redakteur und Betriebsratsvorsitzende Thomas Ducks, weiß um die sinkenden Ertragszahlen der Zeitungsbranche. Ducks weiß auch um die Online-Konkurrenz. Sie führte dazu, dass viele frühere Werbekunden komplett aus dem Print-Bereich abgewandert sind.
Letztlich sei der Print-Journalismus zu teuer geworden – vom Druck auf Papier bis hin zu dem tarifgebundenen Personal, sagt er, aber auch: „Viele Fehler im Pressewesen sind hausgemacht“. Das größte Kapital des Journalismus sei seine Glaubwürdigkeit. Was aber tun – und da wird Ducks sarkastisch – „die hoch bezahlten Geschäftsführer in den privatwirtschaftlich organisierten Zeitungen, um dieses Kapital zu mehren?“ Man höre seit Jahren nur dies: Personalabbau und Reorganisation seien wirtschaftlich notwendig, würden aber „selbstverständlich an der bisher gelieferten Qualität nichts ändern“. Das Wort mit der Schaffung von „Synergien“ kann er schon gar nicht mehr hören. Der langjährige leitende Redakteur und Konzernbetriebsrat redet sich in Rage: „Wer, bitteschön, lässt sich noch derart hinter die Fichte führen?“
Für Ducks, der mehrere Jahre Konzernbetriebsratsvorsitzender der Medienholding Süd (MHS) in Stuttgart war, ist guter Journalismus „keine Sprintsportart, bei der es um Schnelligkeit mit den Beinen geht, sondern ein Beruf, der sehr viel gründliche und intensive Denkarbeit verlangt.“ Diese Tätigkeit dürfe sich auch nicht dem Gebot der generierten Klickzahlen unterwerfen. Einen „solchen Journalismus“ brauche niemand. Für ihn, der sich 2019 aus dem langjährigen Wirken in Oberndorf verabschiedete, ist bei den Verlegern „keine wirkliche Strategie erkennbar“. Aus seiner Sicht sei der Markt nie besser gewesen dafür als heute, in unserer komplizierten Welt den suchenden Menschen „verlässliche Informationen und Orientierung zu geben“. Das bleibe eine riesige Chance für Qualitätsjournalismus. „Demokratie braucht guten Journalismus“ sagt Ducks. Und es brauche wirtschaftliche Anreize für hochwertige Beschäftigung in Redaktionen und nicht die mancherorts immer noch vorherrschende „deutlich zweistellige Renditeerwartung“.
Einer, der sich aktuell auch mit Kürzungen und Stellenabbau rumschlägt, ist Michael Trauthig – langjähriger Redakteur der „Stuttgarter Zeitung“ und derzeit amtierender Konzernbetriebsratsvorsitzender der Medienholding Süd (MHS). Auch er glaubt, dass Qualitäts-Journalismus nicht in der kostenlosen Online-Welt stattfindet. Trauthig hofft auf die Erkenntnis der Gesellschaft, dass sie „angewiesen ist auf bezahlten Qualitäts-Journalismus“. Angesprochen auf die Zusammenlegungen, Arbeitsverdichtungen, den weiteren Abbau von Arbeitsplätzen, fürchtet er, dass da „erst mal noch kein Ende in Sicht ist.“ Beim angekündigten Stellenabbau in Stuttgart handele es sich „vor allem um einen Sparkurs“. Da gehe es nicht um die Rettung des Journalismus, sondern eher um die Erhaltung der profitablen Einnahmequelle für die Verleger. Trauthig setzt aber gleichzeitig einige Fragezeichen – klar seien die Einnahmen und die Gewinne in den Verlagen stark rückläufig. Aber früher habe man ja auch gewissermaßen das Geld mit der Schubkarre rausgefahren.
Die „Stuttgarter-Zeitungs-Nachrichten“, wie Trauthig sie selbst im gängigen Jargon des Hauses nennt, sei immer noch die streikstärkste Redaktion in der ganzen Republik. Doch gegen die aktuelle Verlagsentscheidung zur Streichung von 55 Stellen war offenbar nur wenig zu machen: „Wir leben im real existierenden Kapitalismus. Wir haben einen kämpferischen Betriebsrat, wir haben eine kämpferische Belegschaft, aber uns ist es noch nie gelungen, Stellenabbau auch nur zu vermindern“, sagt er. Außerdem plane der Konzern Tarifflucht – etwa mit der Gründung neuer Sub-Gesellschaften, wie „ZGS Digital“. Da sollen künftig alle Neueinstellungen stattfinden – außerhalb des Tageszeitungstarifvertrages. Der Konzernbetriebsratsvorsitzende wird deutlich: „Ehrlich gesagt, angesichts einer Hochpreisregion wie Stuttgart verstehe ich nicht, dass ein Konzern meint, nicht mehr Tarif bezahlen zu können.“ Schmerzhaft waren für ihn auch die aktuellen Entscheidungen zur Ausdünnung des publizistischen Angebots im Regionalbereich – und die Einstellung von Lokalausgaben.
Auch der langjährige STZ-Redakteur verbindet Qualitäts-Journalismus vor allem mit angemessen bezahlten Redakteur*innen. Von Mitspracherechten wie beim „Spiegel“ in Hamburg kann die Redaktion im Stuttgarter Pressehaus nur träumen. Trauthig verteilt auch Wermutstropfen zu der Streikbewegung beim „Schwarzwälder Boten“ im Jahr 2011. Im Ergebnis blieben zwar die Altbeschäftigten im Tarif, neue Kolleg*innen wurden aber nur noch zu schlechteren Bedingungen eingestellt. So gleichen sich die „tricky“ wirkenden Sparmaßnahmen beim „Schwabo“ und bei der „STZ-N“ mit der Zeit aneinander an. Trauthig hofft aber, dass gerade bei den neuen jungen Online-Kolleg*innen ein Bewusstsein dafür entsteht, wie wichtig Tarifbindung ist.
Etwas neidvoll blickt Trauthig auf andere Redaktionen, deren Verleger-Persönlichkeiten sich „noch verantwortlich fühlen“. Er kennt mehrere Beispiele, zum Beispiel Karlsruhe. Die dortigen „Badischen Neuesten Nachrichten“ (BNN) hatten früher einen teilweise (erz-)konservativen Anstrich, zeigen sich aber in den vergangenen Jahren geradezu revolutionär innovativ. Die „BNN“ galt lange Zeit als digitaler Totalverweigerer. Seit einer Betriebsversammlung im November 2015 unterzieht sich die Zeitung einem radikalen Wandel. Im Januar 2015 war Altverleger Hans Wilhelm Baur 88-jährig verstorben, sein Nachfolger Klaus-Michael Baur (geb. Willimek) trat in seine Fußstapfen – ließ jedoch kaum einen Stein auf dem anderen. Klaus Michael Baur war seit 2000 der Chefredakteur und seit 2005 auch Herausgeber und Geschäftsführer. Der gelernte Journalist bezeichnet das Familienunternehmen „BNN“, das 1994 zur Sicherung des Fortbestandes in eine Stiftung überführt wurde, als finanziell solide aufgestellt.
Seit Beginn der Digitaloffensive 2015 bis 2020 habe der Verlag durchschnittlich einen Jahresumsatz von 75,5 Millionen Euro und im Mittel ein Nach-Steuer-Ergebnis von 2,1 Millionen Euro erzielt, ließ Baur kürzlich den Kress-Mediendienst wissen. Dabei ist es ungewöhnlich genug, dass ein Verleger betriebswirtschaftliche Kennzahlen offenlegt. Für das dritte Quartal 2021 meldet die „BNN“ die verkaufte Auflage von 105.174 Exemplaren. Aber was noch weit bemerkenswerter ist: Neben einem großzügigen Umbau der Redaktionsräume, der Rückverlegung der größten Lokalredaktion in Karlsruhe ins Zentrum und der Anschaffung neuer Redaktionssysteme wurde auch die Zahl der Stellen in der Redaktion von 100 auf 130 aufgestockt – entgegen allen üblichen Trends. Auch Sparrunden wie anderswo hatte es bei den „BNN“ in früheren Jahren kaum gegeben. Inhaltlich haben sich die „BNN“ merklich weiter entwickelt, ist offener und lesernaher ausgerichtet. Klaus Michael Baur sagt heute, dass mit dem Stellenzuwachs in der Redaktion die „BNN“ mit vergleichbaren Verlagen gleichgezogen habe – und: Es habe auch Nachholbedarf gegeben, da es vor 2015 überhaupt keine Digitaljournalist*innen bei der Zeitung gab.
„Die gedruckte Zeitung wird wertgeschätzt und ist ein funktionierendes Geschäftsmodell, das zwar Jahr für Jahr leicht an Auflage verliert, aber dabei hochprofitabel ist“, resümiert der Verleger. Nicht vergessen dürfe man dabei auch, dass die Weiterentwicklung der „BNN“ im Digitalen mit den Erträgen im Printgeschäft querfinanziert worden sei. Den Aufkauf des – aus seiner Perspektive ebenso profitablen – ehemals kleinen Wettbewerbers „Badisches Tagblatt“ im benachbarten Baden-Baden (Vertragsabschluss Mai 2021) sieht er „als bessere Positionierung gegenüber anderen Medienunternehmen, die sich mit Expansions- und Übernahmegedanken tragen“. Der gelernte Journalist Baur sagt auch: „Nur in einem Punkt bin ich konservativ: Die journalistische Vielfalt dürfen wir nicht einschränken“.
Der Dortmunder Zeitungswissenschaftler Horst Röper hat sich wiederholt kritisch mit den Entwicklungen im Medienbereich auseinandergesetzt. Er hält die Macht der Verleger für nahezu allumfassend: „Vom Grundsatz her ist es so: Ein Verleger kann machen was er will“. Der besondere Tendenzschutz ermögliche es ihm – wie früher einem Graf oder Freiherrn – „frei zu entscheiden“. Verlage sind rein privatwirtschaftlich agierende Unternehmen. Im Fall der Karlsruher „BNN“ ist das positiv zugunsten der journalistischen Qualität und Vielfalt ausgegangen. Röper sieht ein Problem vor allem im gesetzlich festgeschriebenen Tendenz“schutz“: „Der muss weg“. Allerdings traut sich keiner in der Politik mit den Verlegern anzulegen. Wenn es den Paragrafen 118 nicht gäbe, so Röper, hätten die Betriebsräte auch das Recht auf Einblick in die betriebswirtschaftlichen Zahlen. Und damit zumindest einen ähnlichen Kenntnisstand wie der Verleger – um mitzureden und gegebenenfalls Alternativpläne zu entwickeln. Im Ruhrgebiet habe es auch wiederholt Absprachen mit Gewerkschaften gegeben, alternativ zu Stellenstreichungen Einsparungen zu erzielen.
„Ein Redaktionsbeirat oder Betriebsrat kann aber nur wenig anfangen ohne betriebswirtschaftliche Daten“, resümiert Röper. Und schlussfolgert: „Hosen runter, offene Karten, Finanzen vorlegen. Offenheit gegenüber der eigenen Belegschaft, was die wirtschaftliche Basis angeht“.