Gewinnsicherung hat Priorität – Redakteurstellen sollen massenhaft gestrichen werden
Massenentlassungen bei Gruner + Jahr, drastische Sparprogramme beim WAZ-Konzern, beim Süddeutschen Verlag, der FAZ und anderswo. Die Verlagskonzerne missbrauchen die Turbulenzen auf dem Finanzmarkt, um Tabula rasa auf Kosten von Belegschaften und Pressevielfalt zu machen. Droht die größte Medienkrise seit dem Platzen der Internetblase vor sieben Jahren?
Wolfgang Fürstner, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger, mochte von einer tiefen Krise in der Printbranche nichts wissen. Ein gewisser Verdrängungswettbewerb der Zeitschriften sei doch nichts Neues. Natürlich „fraktionieren sich die Leserschaften“ und setzten die einzelnen Titel und ihre Verlage unter Druck. Aber der verschärfte Wettbewerb, so sein Credo, fördere doch nur umso mehr die „Kreativität“ der Zeitschriftenmacher. So Fürstner Anfang November auf der Jahrespressekonferenz des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Nur wenige Wochen später, auf dem Zeitschriftenkongress, klang die Zustandsbeschreibung der Branche schon wesentlich bedrohlicher. Alexander Mogg von der Unternehmensberatung Roland Berger, registrierte da bereits seit dem zweiten Quartal dieses Jahres einen deutlichen Knick bei den Werbeausgaben. Es handle sich aktuell um eine „richtige Vollbremsung ganz klassisch bei den großen werbeträchtigen Medien“. Die gebeutelten Branchen Automobil, Finanzen und Informationstechnologie fahren ihre Werbespendings drastisch zurück, und in den Konzernetagen bricht Panik aus.
Lauscht man den Großen der Verlagsbranche, so kann man den Eindruck gewinnen, die zweite Medienkrise nach dem Platzen des Internet-Hypes um die Jahrtausendwende nähere sich mit der Wucht eines Tsunami. Bernd Buchholz, Leiter von Gruner + Jahr Deutschland, sah eine Negativ-„Welle auf der Umsatzseite“ auf die Verlage zukommen, die die Vorstände zu „Reaktionen auf der Umsatzseite“ zwinge (vgl. M11/08). Konkreteres mochte er auf dem VDZ-Kongress nicht preisgeben. Kein Wort davon, dass zu diesem Zeitpunkt die redaktionelle Zusammenlegung der bisher in Köln und München erscheinenden Wirtschaftstitel Capital, Impulse und Börse Online am Standort Hamburg längst beschlossene Sache war. Kein Wort von den damit verbundenen 110 betriebsbedingten Kündigungen. Kein Wort auch vom Aus für das Lifestyle-Magazin Park Avenue und anderen Grausamkeiten, die erst tags darauf verkündet wurden. Rationalisierung und Personalabbau durch Umzug und redaktionelle Poolbildung? Das Beispiel von Sat.1 scheint Schule zu machen.
Zeichen für hilfloses Management
In die „Gesamtlösung“ bei der G+J-Wirtschaftspresse wird auch die angesehene, aber seit ihrer Gründung defizitäre Financial Times Deutschland (FTD) einbezogen. Die gemeinsame Hamburger Großredaktion soll an die 250 Mitarbeiter haben und zum 1. März 2009 starten. Alle bisherigen Beschäftigten von Capital, Impulse und Börse Online werden zunächst betriebsbedingt gekündigt. Sie können sich wie auch externe Bewerber um die ersatzweise ausgeschriebenen 50 neuen Stellen in der Großredaktion bewerben. Auch die FTD muss Federn lassen. Nach früheren Kürzungen sollen jetzt weitere zehn Stellen wegfallen. Die attraktive Wochenendbeilage Weekend wird eingestellt. Trotz aller Sparmaßnahmen, so beteuerte G+J-Vorstand Bernd Buchholz allen Ernstes, wolle man „die starken Marken unseres Wirtschaftsportfolios dauerhaft und krisensicher als Qualitätsmedien führen“. Die Schaffung der Redaktion Wirtschaft sei „der einzige Weg, die nötigen Einsparungen durch die Nutzung gemeinsamer Ressourcen zu erzielen und zugleich die Identität und Qualität der Blätter zu wahren“.
Das sieht ver.di deutlich anders. Aus Sicht der Dienstleistungsgewerkschaft wird „die journalistische Glaubwürdigkeit der Wirtschaftstitel von G+J durch die Einführung einer personalreduzierten Zentralredaktion massiv erschüttert“, kritisiert der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Bei solch einem Wirtschaftsjournalismus auf Sparflamme bleiben Unabhängigkeit von Unternehmens-PR, Präzision und kritische Recherche auf der Strecke.“. Der Umgang mit den betroffenen Wirtschaftsjournalisten lasse zudem „an den Unternehmensgrundsätzen von G+J zweifeln“. Offenbar sollten dabei die Mitbestimmung der Betriebsräte und geltendes Tarifrecht „ausgehebelt“ werden.
Solidarität erfuhren die Wirtschaftsredakteure auch von Seiten der Stern-Kollegen: „Kosten-Rasenmäher sind ein Zeichen von hilflosem Management“, heißt es in einer Resolution. Gefolgt von der Aufforderung an die G+J-Aktionäre, ihre Renditeerwartungen mal zu überprüfen und sich auch mal mit niedrigeren Gewinnen zu begnügen. Wenige Tage später gab der Verlag eine Gewinnwarnung: Eine G+J-Renditerate von 9,3 Prozent wie im Jahr 2007 dürfte vorerst kaum wiederholbar sein.
In einigen Häusern wird jetzt das vor Jahren im Axel Springer Verlag erstmals erprobte Redaktionsmodell als effektivste Sparlösung favorisiert. Bei Springer gibt es mittlerweile den zentralen Newsroom nicht nur für alle Titel der Welt-Gruppe. Auch Programmzeitschriften werden bereits aus einer gemeinsamen Redaktion erstellt. Springer-Zeitschriftenvorstand Andreas Wiele sieht in der offenkundigen Sparmaßnahme sogar eine Chance zur Qualitätssteigerung. Früher habe sich unter den Programmzeitschriften nur die Hör Zu einen eigenen Gesundheitsredakteur leisten können. Jetzt, wo Hör Zu, Funkuhr, TV Neu und Bildwoche gemeinsam aus einer Redaktion gemacht würden, gebe es zwei Gesundheitsredakteure, die sämtliche Blätter „bespielen“. Ein fragwürdiges Argument, geht es doch letzten Endes bei allen Poolbildungen vorrangig um maximale Kostenersparnis.
So auch im Fall der WAZ-Gruppe, die für Anfang kommenden Jahres ihren vier Zeitungstiteln in NRW einen drastischen Sparkurs verordnet (M11/08 S.18). Im Rahmen eines „Synergie-Konzepts“ will sie wesentliche Bereiche der regionalen und überregionalen Berichterstattung für die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, die Neue Rhein/Ruhr Zeitung und die Westfälische Rundschau von einer gemeinsamen Redaktion erstellen lassen. Lediglich die Westfalenpost soll als „Heimatzeitung“ weiter einen eigenen Mantelteil machen. Bis zu 300 der etwa 900 Redaktionsarbeitsplätze stehen angeblich auf der Kippe. Aus der Geschäftsführung verlautet, bei einem jährlichen Einsparziel von 30 Millionen Euro solle gleichzeitig die Qualität der Blätter gesteigert werden. „Wie das gehen soll, dürfte das Geheimnis der Geschäftsführung bleiben“, zweifelt Medienwissenschaftler Horst Röper vom Formatt-Institut, der ansonsten die Vorgänge bei der WAZ als „größten Konzentrationsfall in der deutschen Zeitungsgeschichte“ ansieht. Die Pool-Lösung werde trotz anders lautender Versicherungen lediglich einen „publizistischen Einheitsbrei“ im Revier erzeugen. Das fürchtet auch die regionale dju in ver.di. Gemeinsam mit dem DJV warnt dju-Landesvorsitzender Frank Biermann vor „irreparablen Schäden in der publizistischen Landschaft in NRW“. An Gesellschafter und Geschäftsführung der WAZ-Gruppe wird appelliert, beim Umbau der Zeitungsredaktionen „mit Augenmaß statt mit der Axt vorzugehen und insbesondere Kündigungen und vermeidbaren Verlust an Zeitungsvielfalt zu verhindern“.
Nachdem sich die WAZ-Pläne verdichteten, schlug Ende November auch der dju-Bundesvorstand Alarm. Die aktuellen wirtschaftlichen Probleme rechtfertigten „angesichts des positiven Gesamtergebnisses der (WAZ-)Gruppe auf keinen Fall betriebsbedingte Kündigungen“, heißt es in einer Protestresolution. Schließlich würden die WAZ-Verantwortlichen selbst gern auf ihre „gut gefüllten Kriegskassen“ für ihre Medienzukäufe verweisen.
In einer Betriebsversammlung der WAZ-Gruppe am 5.Dezember in Essen teilte die Geschäftsleitung die grobe Marschrichtung des Sparprogramms mit. Geplant ist der Abbau von 261 Stellen unter Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen. Nach Aussage von WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach soll der Abbauprozess „so sozialverträglich wie möglich“ erfolgen. Mit mehr als 200 wegfallenden Jobs ist das Lokale überproportional betroffen. Konkrete Angaben, welche Redaktionen geschlossen oder zusammengelegt werden sollen, wurden bislang nicht gemacht.
Offiziell bekannt gegeben wurde, dass Malte Hinz, zuletzt Lokalchef in Lünen, langjähriger WR-Betriebsratsvorsitzender und Vorsitzender der dju in ver.di, mit sofortiger Wirkung Chefredakteur der Westfälischen Rundschau (WR) wird. Er folgt auf Kathrin Lenzer, die gekündigt hatte. „Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Tageszeitungen der WAZ-Gruppe in Nordrhein-Westfalen übernehme ich wahrlich keine einfache Aufgabe. Dennoch sehe ich eine gute Chance, die WR als wichtige Zeitung am Markt zu erhalten und damit Arbeitsplätze vieler Kollegen zu sichern“, sagte Malte Hinz gegenüber M. „Es gab bereits den konkreten Vorschlag, die WR zu schließen. Dagegen habe ich – natürlich auch als Betriebsrat – in Gesprächen mit der Verlagsgeschäftsführung argumentiert und offenbar deutlich machen können, dass die WR tatsächlich journalistische und damit auch wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten hat.“ Daraufhin sei er gebeten worden, die Verantwortung für die Entwicklung des Blattes als Chefredakteur zu übernehmen. Malte Hinz gegenüber M: „Ich habe unter der Bedingung zugestimmt, dass die WR eine tatsächliche Chance bekommt. Zudem soll gemeinsam mit den Betriebsräten ernsthaft versucht werden, das Sparprogramm in den betroffenen NRW-Titeln ohne betriebsbedingte Kündigungen umzusetzen. Ich habe Hoffnung, dass dies gelingen kann und denke, dass ich in meiner neuen Funktion dazu beitragen kann.“
Freie Stellen bleiben unbesetzt
Erstmals seit 2002 ist die Krise auch bei den überregionalen Qualitätszeitungen angekommen. Mit welchen Konsequenzen? Auf diese Frage bekamen die 500 Teilnehmer einer Betriebsversammlung beim Süddeutschen Verlag Mitte November keine klare Antwort von der Geschäftsführung. Aber die Gerüchteküche brodelt: Die Rede ist von einem geplanten Sparvolumen in Höhe von15 Millionen Euro, erzielbar über Budgetkürzungen zu je einem Drittel bei der Redaktion der Süddeutschen Zeitung, dem SV-Verlag und in den Bereichen Produktion/Marketing. Verantwortlich für diese fragwürdige Politik sind die Provinzverleger der Südwestdeutschen Medienholding (SWM: Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten, Südwestpresse), die den Münchner Verlag vor einem Jahr übernommen hatte. Mindestens jede zehnte Stelle, möglicherweise sogar jede fünfte könne dem Rotstift zum Opfer fallen. Derweil versuchen Ressortleiter einzelne Mitarbeiter mit dem Angebot von Abfindungen zu einem freiwilligen Abschied zu animieren. Endgültig auf Eis gelegt wird nun das jahrelang ventilierte Projekt einer Sonntagsausgabe. Damit zerplatzt auch der Traum, der Wettbewerberin FAZ die Position eines nationalen Meinungsführers im Bereich der Qualitätspresse zu entreißen – trotz stabil wachsendem Auflagenplus.
Auch die FAZ tritt unter dem Eindruck der nahenden Rezession auf die Kostenbremse. Wirklich abspecken kann das Blatt nicht mehr, höhnen Insider: Die Dienstwagen für fest angestellte Redakteure seien doch schon im Verlauf der letzten Krise vor sechs Jahren abgeschafft worden. Aber auch das Zehn-Prozent-Sparprogramm, das laut Branchenblatt Horizont Mitte November beschlossen wurde, dürfte wehtun. Noch ist keine Rede von betriebsbedingten Kündigungen. Allerdings werden frei werdende Stellen derzeit nicht besetzt.
Bei der Berliner Zeitung stehen nach dem Willen von Chefredakteur/Geschäftsführer Josef Depenbrock 40 von 132 Redaktionsstellen zur Disposition. Insgesamt soll die Zahl der mehr als 900 Mitarbeiter der zur britischen Mecom gehörenden Deutschen Mediengruppe (Berliner Kurier, Hamburger Morgenpost, TIP-Magazin, Netzeitung u.a.) um 150 verringert werden. Bei der Netzeitung wurde das Personal soeben halbiert. Nach dem Rauswurf von 15 freien Kollegen fürchten die verbleibenden 15 Festen um die Existenz der Online-Zeitung als selbständige publizistische Einheit.
Hauptleidtragende der aktuellen Krise, so viel zeichnet sich ab – sind eindeutig die Redaktionen. Gefährdet ist nicht nur eine beachtliche Anzahl qualifizierter Arbeitsplätze. Sollten die Verlage ihre Sparprogramme ungehindert durchziehen, dürfte es mit dem bisher gewohnten Qualitätsjournalismus auf absehbare Zeit vorbei sein. In der Resolution des 22. Journalistentags der dju (Titel S. 8–11) wird daher nicht nur der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen gefordert. Zugleich ergeht der Appell „an die politisch Verantwortlichen, die Presse als unverzichtbaren Bestandteil unserer Demokratie zu fördern und dafür zu sorgen, dass die Meinungsfreiheit erhalten bleibt.“