Verlage wehren sich gegen Adblocker – vor Gericht und direkt im Browser
Die Lage ist ernst – zumindest wenn man sich nach der Lautstärke der Branchenvertreter richten kann. FAZ-Redakteur Michael Hanfeld spricht von einer „Mafia 4.0”, der Chef des Interactive Advertising Bureau (IAB), Randall Rothenberg gar von einer „Internet-Apokalypse”. Nilay Patel, Chefredakteur der US-Webseite The Verge prophezeit: „Es wird zu einem Blutbad an den unabhängigen Medien kommen.” Grund für den Pessimismus sind die immer weiter verbreiteten Adblocker, die automatisiert und zuverlässig fast jede Werbung im Browser unterdrücken. Jeder vierte deutsche Internetnutzer blockiert Werbung im Internet.
Eigentlich sind solche Programme ein alter Hut. Schon 1998 veröffentlichte ein deutsches Startup das Programm „Webwasher”, das Banner und Popup-Fenster aus dem Datenstrom fischte, bevor sie zum Browser gelangen konnten. Aus der Nischenanwendung ist inzwischen ein Massenphänomen geworden. Laut einer Studie der Firmen Pagefair und Adobe nutzten im Juni 2015 bereits knapp 200 Millionen Nutzer weltweit Adblocker. In Deutschland ist es demnach jeder vierte Internetnutzer. Die Tendenz: stark steigend. Die deutsche Werbebranche kommt auf ähnliche Zahlen: Nach Zählung des Online-Vermarkterkreises werde bei 21,5 Prozent der Aufrufe deutscher Webseiten Werbung aussortiert. Bei technisch orientierten Angeboten liegt die Quote teilweise über 50 Prozent.
Blocker gegen Blocker
Insbesondere der Axel Springer-Verlag hat den Werbeblockern nun den Kampf erklärt. Bereits seit vergangenem Jahr geht der Verlag vor Gericht gegen den Hersteller des populären Adblockers „Adblock Plus” (ABP) vor, die Kölner Firma Eyeo. Nachdem der Verlag – wie andere Medienhäuser – in erster Instanz gescheitert war, nahm er den Kampf direkt im Browser auf.
Wer seit Oktober Bild.de mit einem Adblocker aufrufen will, bekommt eine Fehlermeldung angezeigt. „Mit aktiviertem Adblocker können Sie Bild.de nicht mehr besuchen”, heißt es dort. Und weiter: „Ohne Erlöse aus dem Verkauf von Werbeplätzen können wir die Arbeit unserer Journalisten nicht finanzieren.” Verbunden ist die Meldung mit einer Anleitung, den Adblocker zu deaktivieren. Alternativ können Leser für drei Euro pro Monat ein werbereduziertes Angebot abonnieren.
Der Verlag spricht nach den ersten Wochen von einem Erfolg: „Die Adblocker-Rate ist innerhalb von zwei Wochen um zwei Drittel zurückgegangen”, sagt Verlagssprecherin Sandra Petersen im Gespräch mit Menschen Machen Medien. Ergebnis: „Es gab drei Millionen zusätzliche vermarktbare Visits, ohne dass sich die Reichweite von Bild.de signifikant verringert hat”, erklärt Petersen. Dieser zumindest zeitweilige Erfolg war aber nur mit großem Aufwand durchzusetzen. So hat der Verlag Eyeo per Einstweiliger Verfügung vom Landgericht Hamburg verbieten lassen, die Adblocker-Sperre zu umgehen.
Erpressung oder Angebot?
Obwohl es mittlerweile eine ganze Reihe von Werbeblockern gibt, steht Eyeo im Zentrum der Kritik. Denn die Kölner Firma filtert nicht nur Werbung aus, sondern bietet Unternehmen auch an, so genannte „nicht nervende” Werbung freizuschalten. Das heißt: Keine Videos, keine Töne, keine Banner, die den Inhalt verdecken. Dieses „Acceptable Ads” getaufte Geschäftsmodell ist für Eyeo höchst einträglich. Konzerne wie Google, Amazon und United Internet gehören bereits zu den zahlenden Kunden. Die Gegner werfen Eyeo Erpressung vor. Die Kölner Firma selbst sieht sich als Dienstleister mit einem innovativen Angebot und nimmt inzwischen auch andere Werbeblocker unter Vertrag.
Doch Adblock Plus nicht mehr das einzige Problem für die Werbebranche. So bekommt der populäre Browser Firefox einen Tracking-Blocker integriert, der auch Werbung unterdrückt. Das US-israelische Unternehmen Shine wirbt gar damit, Werbung direkt beim Provider auszufiltern. Dass dies nicht nur aus Kundeninteresse geschieht, zeigt der erste Praxiseinsatz: Der Mobilfunkprovider Digicel aktivierte Ende September den Werbeblocker für seine Kunden in Haiti – und verlangte prompt Geld von den US-Konzernen Google, Yahoo und Facebook, um deren Werbung passieren zu lassen.
Inzwischen tobt in den Browsern ein regelrechter Krieg. Immer mehr Angebote versuchen Nutzer mit Adblockern auszuschließen. Andere Anbieter setzten auf Techniken wie „AdDefend”, die Werbung mit technischen Tricks an den Filtern vorbeischmuggelt. Doch der Kampf verschlingt viel Geld und kostet zudem Reichweite. Vertreter der Werbebranche fordern inzwischen sogar eigene Gesetze gegen Werbeblocker.
Mehr Werbung als Inhalt
Nur langsam reift bei Medienhäusern und Werbeunternehmen die Erkenntnis, dass das bisherige Werbemodell nicht mehr funktioniert. Der Nutzer wird mit einer Vielzahl möglichst auffälliger Werbung überfordert – teilweise werden ganze TV-Spots mitten in Artikeln eingeblendet. Diese Fülle ist mittlerweile selbst den Werbekunden zu viel: Sie befürchten im Getümmel auf den Bildschirmen gar nicht mehr wahrgenommen zu werden.
Um ihre Einnahmen zu steigern, haben viele Angebote immer mehr Werbenetzwerke auf ihre Seiten eingeladen. So ermittelte die New York Times, dass es bei den meisten Nachrichtenwebseiten länger dauert, die Werbung zu laden als die eigentlichen Inhalte. Gleichzeitig werden die Nutzer mit einer Vielzahl von Tracking-Skripten überwacht. Allein auf FAZ.Net finden sich laut dem Analysedienst „Ghostery” Skripte von 17 verschiedenen Anbietern, auf Welt.de sind es gar 29. Diese Programme ermöglichen es, einen Nutzer quer durch das Netz zu verfolgen – oder auch die Zahlungen der VG Wort zuzuordnen.
Das Modell lädt zum Missbrauch ein: So gelingt es Angreifern immer wieder, Werbeserver zu hacken, und so Computerviren auf Hunderten Webseiten gleichzeitig zu verbreiten. IAB-Manager Scott Cunningham gestand kürzlich ein: „Wir haben es vergeigt.” Nun will die Werbebranche Fehlentwicklungen zurückschrauben – und gleichzeitig Werbeblocker mit allen Mitteln bekämpfen. Wer am Ende die Oberhand behält, ist noch nicht ausgemacht.
Wachstum
Trotz Adblockern wächst die Online-Werbebranche. Nach Zahlen des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft werden 2015 in Deutschland 1,7 Milliarden Euro mit „digitaler Display-Werbung” umgesetzt – 6,5 Prozent mehr als im Vorjahr.
Experimente
Immer mehr Redaktionen wie das Jugendangebot der Spiegel-Gruppe „Bento”experimentieren mit „sponsored post”, bei denen werbliche Inhalte in Form redaktioneller Beiträge erscheinen.