Kein „Naturschutz“ für Amica

Werberückgänge bei Burda-Printmedien – Online feiert Zuwächse

In deutschen Burda-Verlagen werden sinkende Erlöse beklagt, Zeitschriften eingestellt und Kündigungen verschickt. Das Burda-Unternehmen Tomorrow Focus AG meldet dagegen für seine Portale Umsatzsteigerungen bis zu 70 Prozent. Philipp Welte, für die Verlage zuständiges Vorstandsmitglied, prophezeit ein grauenhaftes Jahr, Tomorrow Focus-Chef Stefan Winners verkündet: „Der E-Commerce wird uns durch die Krise tragen.“

Für „nachhaltig nicht erfolgreiche Projekte“ werde es keinen „Naturschutz“ geben, erklärte Welte im Januar der Badischen Zeitung. In Offenburg fielen 18 Vollzeitstellen in Vertrieb und Vermarktung weg, trotz guter Ergebnisse der dortigen Haus-und-Garten-Blätter. Das Magazin Young wurde eingestellt ebenso wie Tomorrow in Berlin. In München gab es Kündigungen für 17 Beschäftigte von Blättern wie Freundin, Elle, Bunte. 20 Kündigungen folgten dem Ende der von Welte hoch gelobten, dennoch eingesparten Frauenzeitschrift Amica. Mit der Zusammenfassung der anzeigenorientierten Blätter des Verlags Arabellastraße und der Burda People Group zur Burda Style Group sind ab Mai Bunte, Elle, Freundin, InStyle und Burda Modemagazin mit der Produktionsfirma Starnetone unter Bunte-Chefin Patricia Riekel als Herausgeberin vereint. Die Konsequenz der Burda Style Group: 40 weitere Kündigungen.
Bereits Ende 2007 kam das Aus für Ivy, ein Magazin der Hamburger Burda-Tochter Verlag Milchstraße. Ein Jahr später war der Auftritt von Max auch beendet. Schon 2004, als Burda den Milchstraßenverlag allein übernahm, fielen 150 Stellen weg. 2005 trennte sich Burda zur Bereinigung des Portfolios von seinen einzigen deutschen Tageszeitungen Schweriner Volkszeitung und Norddeutsche Neueste Nachrichten.
Beim Burda-Vorzeigeheft Focus rutschten laut IVW im ersten Quartal 2009 die Verkaufszahlen auf 683.440 ab, also – 7,48 Prozent im Vergleich zum Jahresende 2008. Der Anzeigenumfang sank um ein Drittel gegenüber 2008 und damit weit über dem Durchschnitt der Publikumszeitschriften (–16,6 laut Zentraler Anzeigenstatistik ZAS). Wenn, wie angekündigt, die Zahl der Bordexemplare und Prämienabos eingedampft wird, könnte die Auflage bald unter der halben Million landen. Helmut Markwort, Herausgeber, Chefredakteur und laut burda.de „1. Journalist“ des Konzerns, berichtete im März in Horizont von 30 eingesparten Stellen. Welte, der im deutschen Werbemarkt ein Minus von mindestens sechs Prozent vorhersagt, kündigte an, die bekannten „Marken“ stärker mit ihren Online-Auftritten zu verzahnen: „Wir müssen intensiv daran arbeiten, alte und neue Medien miteinander zu verschmelzen.“ Das sei im Prinzip richtig, sagt ver.di-Mediensekretär Bernd Mann in München, doch er befürchtet, dass diese Linie keine inhaltliche Auseinandersetzung, sondern nur neue Sparprogramme bedeutet.

Typischer Schwebezustand

Der Burda-Konzern ist in viele Einheiten untergliedert. Es gibt einen Europabetriebsrat, einen Konzernbetriebsrat sowie Standort-Betriebsräte, allein drei in München: einen an der Arabellastraße für die Beschäftigten der Style Group und weitere Burda-Einheiten, einen für die Tommorrow Focus AG und einen für BurdaYukom, die Corporate Publishing macht. Bei der „Focus“-Gruppe gibt es keinen.
„Fakten, Fakten, Fakten“ ist zwar ein bekannter Spruch aus dem Konzern, für die Information der Betriebsräte gilt dies jedoch nicht, bedauert der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende an der Arabellastraße, Albert Schindlbeck. Nach der Ankündigung, 2008 wie 2009 je fünf Prozent der Kosten einzusparen, forderte der Betriebsrat konkrete Wirtschaftsdaten. Als die ausblieben, zog er vor Gericht. Einen Gütetermin des Münchner Arbeitsgerichts lehnte der Betriebsrat ab, da er eine klare Entscheidung anstrebt. Zwei Mal ist die Verhandlung wegen Terminproblemen auf Seiten Burdas verschoben worden. Das sei nicht ungewöhnlich, aber ärgerlich, sagt Schindlbeck. Deshalb hat der BR-Anwalt nun verlangt, dass der für Mitte Mai angesetzte dritte Termin stattfinden müsse.
Der Betriebsrat hat Welte und Konzernchef Burda, auch Präsident des Verbands der Deutschen Zeitschriftenverleger (VDZ), Mitte März Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung vorgeschlagen. Eine Antwort erhielt er nicht, auch keinen neuen Gesprächstermin. Stattdessen kamen die Kündigungen. Die einzelnen Burda Zeitschriftenverlage sind nicht durch Tarifvertrag gebunden, auch wenn sich die Bedingungen für die Redaktionen überwiegend daran orientieren – für Schindlbeck ein im Konzern typischer „Schwebezustand“. Mitglied im VDZ ist nur die auch in München beheimatete Burda Holding, eine kleine Firma der Entscheidungsträger.
Burda ist eines der größten Medienhäuser Deutschlands mit weltweit über 7.900 Beschäftigten: Verlage im Inland mit rund 70 Titeln und Auslandsverlage mit über 180 Publikationen von Frankreich bis Asien, die 2007 zusammen mit über einer Milliarde Euro noch zwei Drittel des Gesamtumsatzes erwirtschafteten. Dazu kommen Druckereien am Stammsitz in Offenburg, im Elsass und in Bratislava sowie die jetzt auf Wachstumskurs segelnden Bereiche des Direktmarketings und des Digitalgeschäfts, von denen eine Steigerung auf gut 50 Prozent des Gesamtumsatzes erwartet wird.
Über Burda Broadcast ist der Konzern an etwa 30 lokalen bis bundesweiten Radios beteiligt. Laut IFM-Mediendatenbank hält Burda 1,1 Prozent an RTL und 51 Prozent an Austria 9. Die Focus Produktions GmbH liefert Sendungen für mehrere Privatsender und mischt auch im Pay-TV mit. Zwar sinken auch in Funk und Fernsehen die Werbeerlöse, doch die Burda-Beteiligungen sind gut platziert. Das von Welte beschworene „annus horriblis“ gilt vorwiegend den Zeitschriften des Konzerns.

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