Männerüberschuss im Film

Esther-Gronenborn ist Regisseurin und Mitglied im Vorstand von Pro Quote Film Foto: Birgit Gudjunsdottir

Noch ein Stück Weg zur Geschlechtergerechtigkeit vor und hinter der Kamera

Männerüberschuss in der deutschen Film- und TV-Branche: Obwohl es in der jüngsten Zeit Verbesserungen gab, kann von einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis von Frauen und Männern vor und hinter der Kamera noch immer keine Rede sein. Daran wird auch die Novelle des Filmförderungsgesetzes voraussichtlich nichts ändern – das sagt eine Regisseurin, die seit Jahren für ein Umdenken in ihrer Branche kämpft. Denn weibliche Filmemacherinnen begegnen noch immer massiven Vorurteilen.

Vom neuen Filmförderungsgesetz (FFG) verspricht sich die Bundesregierung „zukunftsrelevante gesellschaftspolitische Weichenstellungen“ – nicht nur in Sachen Nachhaltigkeit, sondern auch in der Geschlechtergerechtigkeit. Schon lange kämpft etwa der Verein Pro Quote Film für gleichberechtigte Teilhabe und mehr Diversität in der Filmbranche. Auf die aktuelle Novellierung des FFG hatte Esther Gronenborn, Regisseurin und Mitglied des Vorstands von Pro Quote Film, große Hoffnungen gesetzt – und wurde enttäuscht. „Mit Erschrecken“ habe man feststellen müssen, dass die Gesetzesvorlage die Themen Geschlechtergerechtigkeit und Diversität „fast vollständig ignoriert“, heißt es in ihrem Statement zur öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses.

Die Neufassung des Gesetzes sieht zwar vor, dass Gremien der Filmförderungsanstalt paritätisch besetzt werden – Geschlechtergerechtigkeit soll nun im Präsidium und im Verwaltungsrats der FFA gelten. Doch wesentliche Forderungen von Pro Quote Film, allen voran die nach einer 50/50-Genderquote bei der Vergabe von Fördermitteln, haben es nicht in die Novelle geschafft. Pro Quote Film fordert weiterhin Gender Incentives und Genderbudgeting als Anreiz für Filmproduktionen, mehr Frauen in die Teams zu holen. Zu den Forderungen gehört auch die Einführung verpflichtender Diversitätsstandards nach dem Vorbild der Diversitätscheckliste der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein. Aufgrund der Corona-Pandemie gilt die Gesetzesnovelle nur für zwei Jahre.

Ob Kinofilm oder Fernsehkrimi: Deutsche Film- und Serienproduktionen sind in der überwiegenden Mehrheit das Werk von Männern. Nur jeder fünfte Kinofilm aus dem Jahr 2018 wurde von einer Frau inszeniert, wie der aktuelle Diversitätsbericht des Bundesverbands Regie zeigt. Ganz ähnlich sieht es im TV aus: Bei lediglich 20 Prozent aller fiktionalen Sendeminuten bei ARD und ZDF hat eine Frau Regie geführt, etwas höher ist der Anteil bei den Privatsendern. Neuere Zahlen will der Verband anlässlich der Berlinale im kommenden Jahr veröffentlichen.

Diese Ergebnisse sind umso bemerkenswerter vor dem Hintergrund, dass das Geschlechterverhältnis beim Regie-Nachwuchs nahezu ausgeglichen ist: Fast 45 Prozent der Absolvent*innen der Filmhochschulen sind Frauen. Doch als Regisseurin arbeitet später nur etwa die Hälfte von ihnen. Bei den Männern hingegen gibt es zusätzlich zu den Regie-Absolventen eine hohe Zahl an Quereinsteigern, die sich als Regisseure etablieren können. Das bedeutet: Vielen qualifizierten Frauen gelingt es nicht, in ihrem Beruf Fuß zu fassen – weniger qualifizierten Männern hingegen schon.

Zweifel an Frauen in der Regie

Gerade in der Regie würden Frauen oft als Risiko betrachtet, sagt Regisseurin Esther Gronenborn. Es werde angezweifelt, dass Frauen sich am Set durchsetzen könnten, dass sie der Führungsposition gewachsen seien. Hinzu komme, dass es in der Branche noch immer kein Verständnis dafür gebe, dass Frauen, die Kinder bekommen, oft keinen so stringenten Lebenslauf vorweisen könnten wie ihre männlichen Kollegen. Gronenborn, selbst Mutter, sagt, es sei nach der Pause schwer gewesen, sich wieder zu etablieren. „Das war wie von vorne anfangen.“

Wer Filme und Serien inszeniert, wer die Drehbücher schreibt – das hat einen Einfluss auf den Inhalt und die Bildsprache. „Je mehr Frauen hinter der Kamera verantwortlich sind, desto mehr Frauen sehen wir auf dem Bildschirm“, sagte Elizabeth Prommer im vergangenen Jahr in einem Gespräch mit NDR Info. Prommer ist Professorin für Medienwissenschaft an der Universität Rostock und hat zahlreiche Studien zur Rolle von Frauen vor und hinter der Kamera veröffentlicht.

Laut einer aktuellen Studie von Prommer kommen im deutschen Fernsehen im Schnitt auf eine Frau rund zwei Männer – das gilt über alle TV-Vollprogramme und Genres hinweg. Positive Entwicklungen sieht die Studie bei fiktionalen Produktionen – hier war im vergangenen Jahr das Geschlechterverhältnis fast ausgewogen. Bei reinen Informationsformaten sind es allerdings mit über 70 Prozent noch immer vorwiegend Männer, die den Zuschauer*innen die Welt erklären.

Sophie-Charlotte-Rieger ist Chefredakteurin des feministischen Filmmagazins „Filmlöwin“ Foto: Wiebke Detemple

Die mangelnde Sichtbarkeit betreffe nicht nur Frauen, wie Sophie Charlotte Rieger, Chefredakteurin des feministischen Filmmagazins „Filmlöwin“, mit Bezug auf die deutsche TV- und Kinolandschaft betont: „Es fehlen Frauenfiguren, es fehlen Figuren of Color, es fehlen Figuren mit Behinderung, es fehlen migrantische Figuren. Die bräuchten wir aber, um Gesellschaft einigermaßen fair abzubilden und allen Menschen die Möglichkeit zu geben, eine Identifikationsfigur zu finden.“

In Sachen Gendergerechtigkeit gibt es erste Bemühungen der Fernsehbranche, wenn auch vorsichtige. Die ARD-Tochter Degeto beschloss 2015 zum Beispiel eine Zielvorgabe, die vorsieht, dass in mindestens 20 Prozent der Filme eine Frau Regie führt. Damit reagierte Degeto auf Forderungen von Pro Quote Regie, dem Vorgängerverein von Pro Quote Film. Auch beim „Tatort“ sitzen nach einer entsprechenden Regelung immer mehr Frauen im Regiestuhl, zuletzt sogar deutlich mehr als die vereinbarten 20 Prozent. Das ZDF hingegen legte ein Förderprogramm für Frauen auf – für Serienproduktionen am Vorabend.

Der Kultursender ARTE setzte ebenfalls auf Nachwuchsförderung und startete den Kurzdokumentarfilm-Wettbewerb „Regisseurin gesucht“, mit dem Ziel, der Gewinnerin einen Entwicklungsvertrag für einen längeren Dokumentarfilm anzubieten. Das zog massive Kritik nach sich. Ein wesentlicher Vorwurf: Der Sender ignoriere die Tatsache, dass es bereits mehrere Generationen qualifizierter Regisseurinnen gebe. Als Reaktion gründete sich ein Netzwerk, das einen entsprechenden Namen trägt: #wirwarenimmerda.

„Gleichstellung ist nicht gleich Nachwuchsförderung, das sollte man nicht miteinander vermengen“, sagt Regisseurin Gronenborn. Die ARTE-Ausschreibung sei ein Beweis dafür, dass eine wirkliche Teilhabe von Frauen hinter der Kamera nicht existiere. „Es hat sich nicht so viel getan, wie es den Anschein hat.“ Ähnlich äußert sich Filmkritikerin Rieger: „Aktivistisch hat sich viel getan, aber faktisch nicht.“

Lisa-Miller ist Regisseurin, Drehbuchautorin und Künstlerin. Ihr Film „Landrauschen“ gewann den Max Ophüls Preis als bester Film.
Foto: Hannes Kempert

Das Bewusstsein für das Thema nehme zwar zu, Frauen und queere Personen bildeten zunehmend Netzwerke, um für mehr Sichtbarkeit zu kämpfen. Doch oft blieben die Filmemacher*innen und Aktivist*innen bei Netzwerktreffen und auf Panels unter sich. „Es ist grundsätzlich in Deutschland ein großes Problem, dass die Leute, die Macht und Geld haben, sich komplett aus dem Thema raushalten“, sagt Rieger.

Die Filmförderungsanstalt veröffentlicht seit einigen Jahren Zahlen dazu, wie die Fördergelder auf die Geschlechter verteilt sind. 2020 ist der Anteil an geförderten Filmprojekten, an denen Frauen in den Bereichen Regie und Produktion beteiligt waren, deutlich gestiegen. 24 Prozent der Filme wurden von Produzentinnen verantwortet, weitere 47 Prozent von einem gemischten Team an Produzent*innen. Knapp über 30 Prozent der Filme entstanden unter rein weiblicher Regie – trotz gestiegener Zahlen sind die Männer hier also noch in der Überzahl. Die Zahl der Autorinnen von Drehbüchern hat 2020 im Vergleich zum Vorjahr abgenommen.

Hohe Hemmschwelle bei Förderung

Das Problem beginnt früh: Die Hemmschwelle ist oft so hoch, dass Frauen ihre Filme in vielen Fällen noch nicht einmal bei den Förderanstalten einreichen. Häufig, so Gronenborn, wollen die Förderinstitute schon beim Antrag eine Firma sehen, die den Film produziert. Aber: „Es ist sehr schwer, eine Produktionsfirma zu finden, die an das Projekt und an die Frau glaubt.“ Eine Erfahrung, die auch die Regisseurin, Drehbuchautorin und Künstlerin Lisa Miller gemacht hat. 2018 hat sie ihren ersten Kinofilm „Landrauschen“ herausgebracht. Für eine Förderung habe sie den Film gar nicht erst eingereicht, berichtet Miller. Sie habe Vorgespräche mit den Förderanstalten geführt, aber da sei ihr signalisiert worden, dass sie keine guten Aussichten habe. Sie gründete eine eigene Produktionsfirma und finanzierte den Film mit Crowdfunding und Sponsor*innen – ein gewaltiger Kraftakt, wie sie selbst sagt, und kein Modell, das auf Dauer funktioniere.

Doch die Anstrengung wurde belohnt: „Landrauschen“ gewann mehrere Preise, darunter den Max Ophüls Preis als bester Film. 2018 wurde Millers Film auf der Berlinale gezeigt – ein Erfolg für die junge Filmemacherin. Von diesem Tag in Berlin ist ihr allerdings auch eine Frage in Erinnerung geblieben, über die sie sich bis heute wundert: „Drei verschiedene Leute haben mich an einem Tag gefragt, ob ich das weitermachen möchte.“ Eine Erfahrung, die offenbar keine Seltenheit in der Branche ist: „Bei Frauen werden Erfolge nicht so hoch bewertet wie bei Männern“, sagt Regisseurin Gronenborn. „Gelingt einer Frau ein guter Film, wird das eher als Zufall wahrgenommen.“

 

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