Missverhältnisse bei Springer

Betriebsbedingte Kündigungen nur als „allerletzte der möglichen Lösungen“

Die Verlagsmitteilung, ausgegeben an Allerheiligen, hatte es in sich: „Vor dem Hintergrund der anhaltend schwierigen Konjunkturlage setzt der Axel Springer Verlag sein konsequentes Sparprogramm fort.“ Jede zehnte Stelle in Europas größtem Zeitungshaus wird bis 2003 gestrichen, das sind 1.400 Jobs.

Zwar will der Verlag, so Sprecherin Edda Fels, die lange Tradition des sozialverträglichen Wegs“ beim Personalabbau fortsetzen, durch Altersteilzeit, natürliche Fluktuation, „restriktive Einstellungspolitik“ und interne Versetzungen. Doch sollen „auch betriebsbedingte Kündigungen nicht von vornherein ausgeschlossen“ werden, aber nur „als aller-, allerletzte der möglichen Lösungen“ (Fels). Sollte es dazu kommen, wäre dies ein Novum in der Geschichte des Verlags seit 1975.

Die dramatische Entwicklung hatte sich bereits mit der Vorlage einer katastrophalen Halbjahresbilanz des Verlags angekündigt. In den ersten sechs Monaten 2001 brach das operative Ergebnis im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 70 Prozent auf 34 Millionen Euro ein. Der Konzerngewinn sank gar um mehr als 80 Prozent auf 14 Millionen Euro. Seitdem hagelte es weitere Negativmeldungen. Das schwächelnde Anzeigengeschäft bekam durch die Terrorakte vom 11.9. eine weiteren Dämpfer.

Rote Zahlen

Erstmals in der Geschichte des Konzerns drohen rote Zahlen in der Gesamtjahresbilanz. „Wir zahlen jetzt den Preis für manche Traumtänzerei in der Vorstandsetage“, sagt ein Redakteur im Berliner Springer-Hochhaus. Denn nicht allein Anzeigenflaute, steigende Papierpreise und Terrorfolgen belasten das Ergebnis. Auch einige der „entschlossenen Investitionen in die Zukunftssicherung des Unternehmens“ hätten dazu beigetragen, übte der zum Jahreswechsel scheidende Vorstandsvorsitzende August „Gus“ Fischer zarte Selbstkritik.

Tatsache ist, dass sich Fischers jungdynamischer Kronprinz Mathias Döpfner mit seiner bisherigen strategischen Schwerpunktsetzung Multimedia ziemlich verhoben hat. „1. Internet, 2. Internet, 3. Internet“ – so schlicht hatte Döpfner noch im vergangenen Jahr als Chefredakteur der „Welt“ sein unternehmerisches Credo umschrieben. Dreistellige Millionenbeträge sollten ausgegeben werden. Kritiker wie Finanzchef Ralf Kogeler, die früh auf das Missverhältnis zwischen realer Ertragslage und Investitionsplänen hinwiesen, mussten gehen.

Jetzt, da der neue Markt plötzlich sehr alt aussieht, wird auf die Kostenbremse getreten. Betroffen ist vor allem Döpfners einstiges Lieblingskind, die Dauerbaustelle Bild.de. „Neue Zielgruppen und Erlöspotenziale erschließen“ sollte das Online-Angebot der „Bild-Zeitung“. Doch angesichts renitenter User und unausgegorener Geschäftsmodelle stehen die Chancen für E-Commerce im Netz nach wie vor schlecht. Nicht einmal die im April lautstark verkündete Kooperation mit T-Online ist unter Dach und Fach. Das Kartellamt prüft noch. Ein vor Monaten hektisch und halbherzig durchgeführter Relaunch roch stark nach sinnlosem Aktionismus. Die Vision einer Online-Redaktion mit bis zu 400 Beschäftigten ist auf das Normalmass von gerade mal 100 geschrumpft. „Bild.de“-Inhalte-Chef und Ex-„Bild“-Chefredakteur Udo Röbel hat schon seinen Hut genommen und wird künftig Krimis schreiben.

An den Kragen geht es auch den Online-Redaktionen der anderen Springer-Tageszeitungen. Die bislang selbständigen Internet-Auftritte von „Berliner Morgenpost“, „BZ“, „Welt“, „Hamburger Abendblatt“ und des Ullstein-Regionalportals „berlin1.de“ schnurren zu einer zentralen „Content Unit“ zusammen. Wo eben noch auf Autonomie der einzelnen Online-Crews gepocht wurde, heißt es jetzt von Verlagsseite, die „nicht markenspezifischen“ Inhalte sollten künftig zentral produziert und durch regionale Inhalte für die jeweiligen Auftritte ergänzt werden. Leidtragende sind hochqualifizierter Online-Redakteure besonders beim Berliner Ullstein-Verlag: Von den bislang 30 Planstellen waren ohnehin nur 22 besetzt, nun sollen gerade mal fünf übrig bleiben.

Geringe Präsenz

Zerschlagen hat sich auch die vom scheidenden Vorstandsboss Fischer noch vor vier Jahren verkündete Vision, zu einer echten Größe im TV-Geschäft zu werden Nach der Integration von SAT 1 in die Kirch-Senderfamilie ist Springer noch mit 11,5 Prozent an der ProSiebenSAT.1 Media AG beteiligt. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass Kirch im Laufe des nächsten Jahres auch diesen Anteil schlucken wird, wenn die Senderfamilie mit der Kirchmedia verschmilzt – gegen einen vertraglich vereinbarten Preis von 1,5 Milliarden Mark. Dann reduziert sich die Präsenz Springers in den elektronischen Medien im wesentlichen auf ein Dutzend Hörfunkbeteiligungen, profitabel, aber strategisch nicht optimal platziert.

So bleibt das Printmediengeschäft wohl weiterhin die tragende Säule des Konzerns. Im vergangenen Jahr wurden mit Zeitungen und Zeitschriften allein mehr als 4,5 Milliarden des Gesamtumsatzes von knapp 5,7 Milliarden Mark erwirtschaftet. Doch auch hier sieht sich Springer verschärfter Konkurrenz ausgesetzt. Eben erst wurde der Angriff der norwegischen Schibsted-Gruppe auf dem Feld der Gratispresse pariert. Das Billigblatt „Extra-Rhein-Neckar“, gedacht als „Kaufzeitung für junge Leser“, scheiterte nach einem vierwöchigen Test im Raum Mannheim/Ludwigshafen. Schon versuchen Wettbewerber, die traditionell starke Position der Hamburger auf dem Markt der Sonntagszeitungen zu schwächen. Etwa die FAZ, die seit Ende September mit der bundesweiten „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ aufwartet.

Eingedampft

„Nur ein rigoroser Sparkurs schafft die Voraussetzungen für unseren zukünftigen unternehmerischen Gestaltungsspielraum“, begründete Anfang November der scheidende Vorstandsvorsitzende Fischer die angelaufene Rotstift-Orgie. Seither laufen aus allen Himmelsrichtungen Meldungen über Arbeitsplatzabbau bei Springer-Blättern ein. Beim „Hamburger Abendblatt“, so melden Branchendienste, stehen nach jüngsten Umsatzverlusten von 30 Prozent zehn Planstellen zur Disposition. Bei der „Berliner Morgenpost“ führte das Eindampfen der kiezbezogenen „Lokalanzeiger“-Beilage bereits zur Kündigung von rund 100 freien Mitarbeitern (M 10/01); weitere 20 Planstellen sollen demnächst entfallen. Sturmtief auch über der Rostocker „Ostsee-Zeitung“: bei dem ehemaligen SED-Bezirksblatt, an dem Springer direkt und indirekt mit 75 Prozent beteiligt ist, sollen 42 Stellen im Stammhaus, weiter 20 Stellen in der Tochtergesellschaft Lokalzeitungsverlag gestrichen werden. Selbst die cash cow „Bild“ ist von dem Desaster nicht ausgenommen: Die Regionalredaktionen Wiesbaden und Bielefeld sind bereits geschlossen, von der Lokalredaktion Chemnitz blieb nur ein Korrespondentenbüro übrig. Symptomatisch für die Umstrukturierung ist der Springer-Auslandsdienst. Die SAD-Zentrale in Hamburg ist aufgelöst, die Büros sind den Zeitungsgruppen Rot (Bild, BZ …), Blau (Die Welt, Welt am Sonntag) und Grün (Regionalblätter) zugeteilt.

Weitere harte Schnitte dürften folgen. Fragt sich nur, wo. Die „Welt“ etwa konnte seit dem Relaunch vor vier Jahren spektakuläre Auflagengewinne verbuchen, fährt aber immer noch Verluste in zweistelliger Millionenhöhe ein. Geht es jetzt auch solchen Prestigeobjekten an den Kragen? Schwer vorstellbar, wenn Döpfner, als früherer Chefredakteur der Architekt der neuen „Welt“-Blüte, zum Jahresbeginn 2002 bei Springer auch offiziell das Kommando übernimmt.

 

 

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