Nach 10 Jahren HbbTV: Da geht noch mehr

Foto: TechniSat

Seit dem Start des Hybridfernsehens HbbTV vor zehn Jahren bauen große Sendergruppen wie kleine Regionalanbieter solche Angebote kontinuierlich aus, mit umfassenden Diensten für den Nutzer und in der Hoffnung auf neue Reichweiten und zielgerichtete Werbung. Der Wettstreit zwischen Fernseh- und Online-Werbung soll endlich begraben werden. Während sich Öffentlich-Rechtliche mit sogenannten „Addressable Ads“ schwertun, sagt der kommerzielle Markt: Da ist noch mehr drin.

Der rote Knopf auf der Fernbedienung ist das Tor zu verlängerten Inhalten, neuen Reichweiten und Vermarktungsmodellen. Auf Knopfdruck eine laufende Sendung neu starten, Konzerte oder Dokus abrufen, wenn das Live-TV nichts für den individuellen Geschmack bietet. Vor zehn Jahren ging das „Hybrid Broadcast Broadband TV“ als kostenloser Zusatzdienst von Fernsehsendern an den Start. Viel braucht der Nutzer nicht: Breitbandanschluss via WLAN oder LAN und ein HbbTV-fähiges Endgerät (Smart TV, Receiver), wie sie heute in jedem Elektromarkt zu finden sind.

Sender-Mediatheken, optimierte Videotext-Angebote, elektronische Programmführer (EPG) und Netz-Inhalte auf Smart TV (sog. OTT-Dienste), Portale und interaktive Dienste. Das alles sind HbbTV-Dienste und gehören im Jahr 2020 zur Standardausrüstung.

Im Mittelfeld, doch hungrig

Europaweit befindet sich Deutschland bei der Nutzung von HbbTV aktuell im Mittelfeld, sagt Vincent Grivet, Vorsitzender der internationalen HbbTV Association mit Sitz in Genf gegenüber M. Führend sei Großbritannien. Das habe vor allem mit der starken Verbreitung von „Freeview Play“ zu tun, einer auf vielen Set-Top-Boxen und Fernsehern vorinstallierten Software für frei empfangbare Services wie Live-TV und Mediathekenzugängen. Anders die Lage in Frankreich. Dort habe HbbTV derzeit sehr begrenzten Einfluss, da nur wenige Sender bereit seien, ihren Nutzern HbbTV-Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen.

Trotz Mittelfeldplatzierung: Den deutschen Nutzern attestiert die HbbTV Association einen wachsenden Hunger nach HbbTV-Diensten. Die deutschen Sender auch.Durch die zunehmende Verbreitung von Smart TVs nimmt die Nutzung unseres HbbTV-Angebots stetig zu“, heißt es beim ZDF. Aktuell mache die Nutzung der ZDFmediathek über Smart-TV fast 50 Prozent aus. Der Großteil erfolgt dabei via HbbTV. Spannend für den Nutzer, die klassische lineare Nutzung durch persönliche Empfehlungen im HbbTV-Angebot zu verbessern – beispielsweise nach der Ausstrahlung des ersten Teils einer Doku im linearen Programm dann direkt den zweiten Teil im HbbTV-Angebot zu zeigen. Das ZDF wolle das ausbauen. Außerdem werde das Thema „UHD/HDR“ immer stärker eine Rolle im HbbTV-Angebot spielen, also die Nutzung von besonders hochauflösenden Videoinhalten mit erweiterten Farben/Kontrasten.

Addressable TV: Große Bedeutung für Private

Vielversprechende Entwicklungen auf dem HbbTV-Markt rund um das Thema „Addressable TV“, also die individuelle Ausspielung von Werbeblöcken, seien für das ZDF als öffentlich-rechtlichen Sender allerdings kein Thema. „Das kommt nicht in Frage“, so die Mitteilung vom ZDF. Detail am Rande: derzeit ist diese gezielte Werbeform den Öffentlich-Rechtlichen auch untersagt. Die ARD-Vermarktung äußert sich allerdings dahingehend, dass sich die ARD-Kunden diese Kundenadressierung aber sehr wünschten.

Umso bedeutsamer das Thema für die Privaten. Addressable TV entwickle sich „inzwischen sensationell und zähle mittlerweile für viele Werbekunden und Agenturen zum unverzichtbaren Standard“, sagt Markus Bacher, Leiter Digital und Distribution von ProSiebenSat1 in Wien.

Besonders zufrieden zeigt sich die Mediengruppe, die ihre Sender mit regionalisierter Werbung in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausspielt, über HbbTV-Dienste wie „SwitchIN XXL“. Das biete der Branche mehr Individualität durch freiere Gestaltungsmöglichkeiten. Das erweiterte Addressable-TV-Angebot ermöglicht es Werbekunden, Zuschauer*innen etwa passend zum Wetter anzusprechen. Der Werbevermarkter der Gruppe, SevenOne Media, erklärt das so: „Regnet es beispielsweise in Hamburg, lohnt es sich für einen großen Schuhhändler hier ein SwitchIn-Motiv für festes Schuhwerk zu buchen. Da zur gleichen Zeit aber in München die Sonne scheint, werden dort Sandalen beworben.“ Die Wetterdaten liefere das konzerneigene, größte deutsche Wetterportal wetter.com. Bisher war bei Addressable TV bereits die Aussteuerung nach AGF-Daten und Geo-Targeting, z.B. nach Städten, möglich. Gerade kleinere, regionale Unternehmen hätten mit Addressable TV nun eine denkbar einfache Möglichkeit, den Schritt in die TV-Werbung zu wagen.

Auch Regionale setzen auf HbbTV

Das haben auch die kleinen und regionalen Fernsehsender spitzbekommen. Gerade für heimatverbundene Zuschauer*innen scheint die Verknüpfung der Internetvorteile auf dem traditionellen Fernseher von besonderer Bedeutung. Der Blick in die Lokal-TV-Landschaft zeigt, wie die Landesmedienanstalten gezielt HbbTV Übertragungswege fördern, um damit die heimischen Lokal- und Regional-TV Sender zu unterstützen, denn die Technik steigert die Reichweite für die Kleinen rasant. Ein Lokal-TV-Portal, finanziert von der Bayrischen Landesmedienanstalt (BLM), ermöglich inzwischen via App den weltweiten Zugang zu Streams und Mediatheken von 79 Sendern in acht deutschen Bundesländern. Die BLM fördert zudem einen HbbTV-gesteuerten barrierefreien Zugang zu Medieninhalten für Menschen mit Seh- oder Hörbeeinträchtigungen, um ein inklusives Fernseherlebnis gemeinsam mit weiteren Familienmitgliedern zu ermöglichen. Dazu werden Programminhalte in einer HbbTV-Mediathek in Versionen mit Gebärdendolmetscher, Audiodeskription, leichter Sprache und mit Untertiteln angeboten, derzeit allerdings nur bei münchen.tv, Kabel Eins, SAT.1 Gold und Sport1.  

Suche nach kreativen kommerziellen Diensten

Doch zehn Jahre nach dem Start von HbbTV sei trotz guter Ergebnisse noch mehr drin, findet Sebastian Labonte, Geschäftsführer der Smart TV Market GmbH. Die Firma bietet HbbTV-Lösungen, spezialisiert für Nischensender. Über neue HbbTV-Formate könne ein Sender die Diversität der Zuschauerinteressen einfach und unkompliziert bedienen und wirtschaftlich davon profitieren, sagt Labonte.

So nutze der Spartensender Anixe, Pionier im deutschsprachigen HbbTV-Markt, neue Applikationen erfolgreich für die Werbevermarktung. „Unser Kunde Anixe strahlt im Nachtprogramm Sendungen von Teleshop-Anbietern aus. Innerhalb dieser Sendung kann der Werbende auf weiterführende Infos und Formate zum Produkt in der Mediathek verweisen“, so Labonte. Somit sei der Zuschauer mit nur einem Klick auf seiner Fernbedienung im gerade beworbenen Inhalt. All das sei verfügbar nach Wünschen des Senders in verschiedenen Qualitätsstufen, also auch in 4K. Derzeit würde noch nicht 100 Prozent des HbbTV- Potenzials ausgeschöpft, sagt auch Vincent Grivet. Inzwischen würden aber die Rundfunkveranstalter in ganz Europa erkennen, welches Potenzial da noch drinstecke. Als Beispiele nennt Grivet die neue HbbTV Spezifikation ADB2, eine neue Wasserzeichentechnologie, mit der kompatible Fernseher erkennen, ob über eine Set-Top-Box empfangene TV-Sender HbbTV-Dienste übertragen. Da stecke enormes Wirkungspotential drin, es werde aber, zumindest aktuell, kaum genutzt.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Filmtipp: Die Saat des Heiligen Feigenbaums

Die Alten hüten die Asche, die Jungen schüren das Feuer. Konflikte zwischen den Generationen sind vermutlich so alt wie die Geschichte der Menschheit. Zumindest im Westen haben die im Rückblick als „68er-Bewegung“ zusammengefassten Proteste für tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen gesorgt. Angesichts des Klimawandels könnte sich das Phänomen wiederholen. Mohammad Rasoulofs Familiendrama, deutscher „Oscar“-Kandidat, beschreibt anhand der Demonstrationen im Iran, wie sich die Alten wehren.
mehr »

Die Zukunft der Filmförderung

In der morgigen Plenarsitzung des Bundestages wird über die Zukunft der deutschen Filmwirtschaft entschieden, der vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien beschlossene Gesetzentwurf zum Filmfördergesetz (FFG) steht zur Abstimmung auf der Tagesordnung. ver.di begrüßt eine Reform der Filmförderung, denn in Zukunft müssen Filmproduktionen Tarif- und Urheber-Vergütungen verbindlich einhalten.
mehr »

KI-Lösungen: Heise macht es selbst

Das Medienhaus „Heise Medien“ hat kürzlich das auf generative Künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Medienhaus „Deep Content“ (digitale Magazine „Mixed“ und „The Decoder“) aus Leipzig gekauft. Damit will Heise die Zukunft generativer KI mitgestalten. „Deep Content“ entwickelte mit „DC I/O“ ein professionelles KI-gestütztes Workflow-Framework für Content-Teams und Redaktionen. Bereits seit Juni dieses Jahres kooperiert Heise mit „Deep Content“ bei der Produktion des Podcasts „KI-Update“. Hinter der Übernahme steckt die Idee, den neuen Markt weiter zu erschließen und hohe Gewinne einzufahren.
mehr »