Nicht alles Trash

Ermüdungserscheinungen nach drei Jahrzehnten Privatfernsehen

30 Jahre nach dem Start taumelt das Privatfernsehen in eine heftige Sinnkrise: Sinkende Quoten, ausgelutschte Formate, Trash statt Qualität. Und Besserung ist nicht in Sicht.


Als die Privaten zum Jahresbeginn 1984 starteten, sorgten sie zunächst für eine überfällige Durchlüftung des deutschen Fernsehens. ARD und ZDF hatten sich in den Jahrzehnten zuvor in einem behaglichen Duopol eingerichtet. Keine Experimente, bloß nichts riskieren – nach diesem Muster wurde lange Programm gemacht. So manchem öffentlich-rechtlichen TV-Manager dürfte schwindelig geworden sein angesichts der Fülle neuer Formate, mit denen Sat.1, Pro Sieben und RTL plötzlich die Mattscheibe überschwemmten: Nachmittag-Talks, Gerichtsshows, Doku-Soaps, Daily Soaps, Telenovelas, Castingshows … Nicht alles war Trash wie „Tutti Frutti“ oder „Big Brother“. Mit „Talk im Turm“ etablierte Sat.1 ein Debatten-TV, das zu dieser Zeit bei ARD und ZDF nicht existierte. Im Sport ließ eine innovative Show wie „ran“ selbst die altehrwürdige „Sportschau“ vorübergehend reichlich verschnarcht aussehen. Mit Harald Schmidts Late Night, mit Comedy oder mit Jauchs „Wer wird Millionär“ wurden Genres befeuert, die bis zu diesem Zeitpunkt bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten kaum vorstellbar waren. Deren Manager sahen sich genötigt, neue Vokabeln zu lernen: Formate, Audience Flow, Quote.
Und sie lernten schnell. Die Quotenerfolge der Privaten riefen heftige Nachahmeffekte hervor. „Die heutigen Tagesprogramme der öffentlich-rechtlichen Anstalten sind letztlich von Vorgaben der Privaten abgekupfert“, bilanzierte schon vor fünf Jahren der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler. Mit Sicherheit gilt das für die Serien und Boulevardmagazine am Nachmittag und Vorabend. Die Strategie von ARD und ZDF „war und ist simpel“, konstatierte unlängst auch FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld: „Sie werben ab, kaufen weg und kopieren.“ Leicht übertrieben, aber Beispiele dafür gibt es zuhauf. Von Jauchs Talk in der ARD bis zur Champions League im ZDF – das Design vieler aktueller öffentlich-rechtlicher Erfolgsformate trägt ein privates Copyright-Siegel. Die anfangs noch existierende ideologische Trennscheibe zwischen privat und öffentlich-rechtlich ist längst aufgehoben. Zumindest auf der Ebene des Personals: Beckmann, Jauch, Pilawa, Kerner, Pflaume sind da nur die prominentesten Namen, die für mehrfache Rochaden zwischen den Systemen stehen.

Lizenz zum Gelddrucken.

In den Gründerjahren bedeutete jede Frequenz für die Privaten eine Lizenz zum Gelddrucken. Mit den verdienten Milliarden bauten sie Senderfamilien auf, investierten ins Abo-TV, in Online-Auftritte und Mediatheken. Geld verdienen sie immer noch, aber in Sachen Quote und auf programmlicher Ebene sieht es zunehmend mau aus. Der langjährige Marktführer RTL hatte 2013 zum zweiten Mal in Folge das Nachsehen hinter dem ZDF. Mit einem Marktanteil von 11,3 Prozent steht man so schlecht da wie zuletzt im Wendejahr 1989, landete sogar noch hinter der ARD. Sat.1, ebenfalls lange an stabile zweistellige Anteile gewöhnt, rutschte weiter ab auf bescheidene 9,4 Prozent.
Während Schmuddel-Ableger wie RTL II mit Scripted-Reality à la „Berlin – Tag & Nacht“ oder „Köln 50667“ nach wie vor punkten, ist bei den großen Unterhaltungsdickschiffen das große Schwächeln ausgebrochen. Das gilt vor allem für die bisherigen Erfolgsgaranten. Bei RTL zeigen die einstigen Quotenhits „DSDS“, „Supertalent“ und „Bauer sucht Frau“ allesamt Ermüdungserscheinungen. Gleiches gilt für Sat.1, das nach dem Vorjahresflop „Million Dollar Shootingstar“ soeben mit der nicht minder unsäglichen „Millionärswahl“ einen weiteren Fehlstart hinlegte. „Die Sender reagieren auf die Situation mit immer strikteren Sparprogrammen und hektischeren Programmierungen, um auch noch das letzte bisschen Rendite aus den alten Konzepten raus zu quetschen“, analysierte bereits vor Jahresfrist der Branchendienst „Meedia“. Bleibt ein neues Format unter der Quotenvorgabe, wird es gnadenlos abserviert bzw. ins Nachtprogramm verbannt. Auch in dieser Hinsicht üben die Privaten leider eine fatale Vorbildfunktion für ARD und ZDF aus. Qualitätsproduktionen wie „Im Angesicht des Verbrechens“ oder „Kanzleramt“ landeten nach mangelnder Akzeptanz schnell im programmlichen Abseits.

Konkurrenz Pay-TV.

Speziell außerhalb der Prime Time macht sich im Privat-TV schon jetzt eine schwer erträgliche Ödnis breit. Wenig spricht für Besserung in naher Zukunft. Kurzfristig richten sich die Hoffnungen der Programmmacher auf einzelne Reizformate wie etwa die x-te Staffel der „Dschungelshow“. Ein Effekt, den ARD und ZDF zur Jahresmitte mit der Übertragung der Fußball-WM locker kompensieren dürften. Eine tendenziell gleichfalls gefährliche Konkurrenz droht den Privaten neuerdings aus den eigenen Reihen. Nach langen Jahren des Darbens sieht es so aus, als ob sich das Pay-TV hierzulande doch noch zu einer Erfolgsstory mausern könnte. 2013 war das Jahr, in dem Sky Deutschland mit inzwischen beachtlichen 3,5 Millionen Abonnenten erstmals schwarze Zahlen schrieb. Attraktiv wird der Pay-Sender vor allem für eine kaufkräftige Klientel, die Filme und Sport ohne nervtötende Werbeunterbrechungen goutieren möchte. Und die beim Konsum ihrer englischen oder US-amerikanischen Lieblingsserien nicht der absurden Programmierpraxis deutscher Privatfunkmanager ausgeliefert sein will. Dazu dürften in nächster Zeit auch Internetangebote wie iTunes und Co. den Sendern verstärkt das Leben schwer machen.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

KI-Lösungen: Heise macht es selbst

Das Medienhaus „Heise Medien“ hat kürzlich das auf generative Künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Medienhaus „Deep Content“ (digitale Magazine „Mixed“ und „The Decoder“) aus Leipzig gekauft. Damit will Heise die Zukunft generativer KI mitgestalten. „Deep Content“ entwickelte mit „DC I/O“ ein professionelles KI-gestütztes Workflow-Framework für Content-Teams und Redaktionen. Bereits seit Juni dieses Jahres kooperiert Heise mit „Deep Content“ bei der Produktion des Podcasts „KI-Update“. Hinter der Übernahme steckt die Idee, den neuen Markt weiter zu erschließen und hohe Gewinne einzufahren.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »