Erste Lichtblicke für die Kinos nach schrittweisen Wiedereröffnungen
Als „den großen Verlierer in der Corona-Krise“ sehen einige Branchenkenner die Kinos. Sorgen haben sie jedenfalls zuhauf: Bis Anfang Juli waren alle Häuser geschlossen. Zwar gab es bundesweit Förderprogramme und fast flächendeckend wurde Kurzarbeit vereinbart, doch ersehnten die Betreiber den Neustart. Der brachte strenge Hygieneauflagen – ganze Sitzreihen mussten frei bleiben und zumeist zwei Sitze zwischen Besuchergrüppchen.
Mit 20 Zuschauer*innen waren kleinere Filmtheater ausverkauft, auch in größeren wurde nur 20 bis 25 Prozent Auslastung erreicht. Für Produzenten und Verleiher Grund, längst angekündigte Neuproduktionen zurückzuhalten, für vermeintlich bessere Zeiten aufzusparen oder sie nur über Onlineplattformen zu vermarkten. Ein Dilemma: Keine neuen Streifen, kein Anreiz für Besucher, in der Sommerzeit eine Kinokarte zu kaufen. Den Häusern fehlen auch Werbeeinnahmen oder Eventerlöse. Der Kino-Hauptverband HDF lief Sturm gegen die Mindestabstände, beauftragte gar ein Gutachten bei der TU Berlin. Dass die Aerosolkonzentration wahrscheinlich niedriger läge als in Büroräumen, erbrachte es im Juli. Da müsse nur noch ein Sitzplatz frei bleiben, regte die Kulturstaatsministerin an, einige Länder erlaubten es.
„An manchen Abenden hielt sich die Besucherzahl mit der der Angestellten beinahe die Waage“, berichtet Holger Nietgen aus dem Cinedom Köln von „gemütlichem Arbeiten“, das in dem Multiplexkino mit 14 Sälen allerdings über Wochen weit entfernt von Wirtschaftlichkeit gewesen sei. Die Beschäftigtenzahl sei um 30 Leute geschrumpft, so das Betriebsratsmitglied, kurzfristig abbaubares Personal wurde gekündigt. Für die Verbliebenen konnte eine Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit ausgehandelt werden, die immerhin eine Aufstockung auf 90 bzw. 97 Prozent des Nettoverdienstes vorsieht und bis Jahresende läuft. „Viereinhalb Tage haben wir verhandelt. Die Regelung, die es bei UCI schon gab, hat uns da gegenüber unserem neuen Geschäftsführer sehr geholfen“, weiß Nietgen. Weil der Arbeitgeber spart, dass es quietscht, habe es beim langersehnten Blockbuster-Start von „Tenet“ personell regelrecht „geknallt“, da „viel zu wenig Leute eingeteilt waren“. Nach Lockerung der Abstandsregeln liege die Auslastung inzwischen besonders an Wochenenden wieder bei 60 bis 65 Prozent: „Der Chef müsste neu einstellen.“
„Tenet“, der Action-Spionage-Thriller des britisch-US-amerikanischen Regisseurs Christopher Nolan kam verspätet erst Ende August, verleiherseits wohl als ein Testballon für Besucherresonanz. Nun gilt er fast als Heilsbringer. Auch Melanie Thielebein, Betriebsratsvorsitzende des CinemaxX Berlin und stellvertretende Gesamtbetriebsratschefin, hofft damit den Teufelskreis zu durchbrechen. Bereits am ersten Wochenende habe „Tenet“ Millionen eingespielt. Im Sommerloch zuvor sei auch bei CinemaxX ein personeller und wirtschaftlicher „Tiefstand wie nie zuvor“ zu verkraften gewesen; an den 31 Standorten bundesweit schrumpfte die Beschäftigtenzahl um rund ein Viertel. Befristungen seien nicht verlängert, Beschäftigte in der Probezeit gekündigt und Neueinstellungen nicht vorgenommen worden. Die verbliebene Belegschaft profitiere von einer Betriebsvereinbarung, die regelt, dass der Arbeitgeber zusätzlich zum gesetzlichen Kurzarbeitergeld noch 75 Prozent des Differenzbetrags zum Netto aufstockt. „Auch unsere Studenten und Minijobber, die ja kein Kurzarbeitergeld bekommen, wurden von CinemaxX zu 90 Prozent entlohnt.
Die Kinos des Unternehmens wurden bundesweit sukzessive wieder geöffnet, als andere noch zögerten. Gemeinsam von Interessenvertretung und Geschäftsleitung ausgearbeitete Hygienekonzepte seien von Behörden als vorbildlich gelobt worden. „Wir achten auch streng auf die Umsetzung“, so die Gewerkschafterin, und das Publikum sei überwiegend sehr diszipliniert. „In Nordrhein-Westfalen dürfte man inzwischen sogar jeden Sitzplatz wieder nutzen, wenn Besucherpersonalien in den Reihen exakt dokumentiert werden. Wegen des hohen Aufwands verzichtet man darauf. Doch ist Kurzarbeit in manchen Häusern schon aufgehoben“, freut sich Thielebein. In Berlin wird gerade zu 80 Prozent gearbeitet. Nach dem Blockbuster-Wochenende habe es deshalb auch hier schon „personell geknirscht“.
In einigen der 15 Berliner Yorck-Kinos ist „Tenet“ auch angelaufen, spielt aber für die Statistik der Programmkino-Gruppe keine derart überragende Rolle. Kino-Abos oder die Beteiligung am Jüdischen Filmfestival Berlin in der ersten Septemberdekade gelten hier mindestens ebenso viel. Hülya Kilic, über 25 Jahre dabei und seit August Betriebsratsvorsitzende, freut sich, dass das Stammpublikum zurückkommt und dass das beliebte Sommerkino im hauptstädtischen Kulturforum auch 2020 sehr gut gelaufen ist. Mit „Blauer Stern“ in Pankow wurde gerade ein Haus komplett saniert wiedereröffnet. In den Kinos der Yorck-Gruppe gelten Anfang September noch immer die strengen Abstandsregeln mit 1,5 Metern und ungenutzten Sitzreihen. Auch hier wurde in der Schließungszeit zuerst Personal abgebaut. Es wurde das gesetzliche Kurzarbeitergeld gezahlt, in bestimmten Härtefällen, für Studierende oder Minijobber, griff eine Betriebsvereinbarung. Mittlerweile sind wieder um die 150 Leute an Bord. Für die Beschäftigten sei vieles belastend, speziell bei permanenter Maskenpflicht in Foyers und Sälen, „da müssen wir natürlich durch“. Auch Arbeitsstrukturen seien umgestellt worden, für Online-Buchung mit neuer App und bargeldlosen Verkauf waren zusätzliche Schulungen notwendig.
Melanie Thielebein hält CinemaxX trotz der Corona-Einbußen für wirtschaftlich stark, hofft auf den Herbst und noch mehr Kinolust beim Publikum. Mit der 20. Filmkunstmesse Mitte September in Leipzig startet auch der erste Branchen-Event wieder live. Die Branche sei aber nach wie vor gefährdet. Kleine Spielstätten darbten, große Ketten seien „zu groß, für Förderung nach der Kulturstättenregelung“. Doch alle repräsentierten den Kulturort Kino, sichern eine nicht unerhebliche Zahl von Arbeitsplätzen und sind zudem ein nicht unbedeutender Wirtschaftsfaktor. Die Betriebsratsvorsitzende hofft, dass „die großen Filmverleiher nicht länger zögern, neue Filmware herauszubringen und weiterhin auf den Erstverwertungsort Kino setzen“. Es sei auch in ihrem Interesse, dass möglichst viele Kinos die Pandemie überlebten und Filmtheater „weiterhin für gute Umsätze sorgen – so wie sie über Streaminganbieter nie erzielt werden könnten“.
Dass der Staat etwas vom Risiko der Kino-Betreiber übernehmen sollte, meint auch Holger Nietgen. Er denkt da an eine „Kopfprämie“ als zuschauerabhängigen Ausgleich für die Hygieneaufwendungen, könnte sich Mietkostenhilfe und Lohnkostenzuschüsse für Neueingestellte vorstellen. „Auch Werbung mit dem Inhalt: ,Ihr Kino ist sicher und freut sich auf Sie!‘ könnte unterstützt werden.“