Madsack-Konzern unter Holding-Dach in einzelne Teile zergliedert
Die Verlagsgruppe Madsack galt bislang als Vorreiter für den perfektionierten digitalen Workflow. Nun schlagen die Niedersachsen einen neuen Weg ein: Der Medienkonzern wird aufgespalten, die einzelnen Unternehmensteile sollen sich auf ihren „Märkten“ behaupten, ohne die schützende Hand des Mutterhauses.
Das zehnstöckige Anzeigerhochhaus ist eines der Wahrzeichen der niedersächsischen Landeshauptstadt. Es war das erste Hochhaus Hannovers, Ende der 20er Jahre von Madsack als Verlagshaus erbaut, wurde dort Pressegeschichte geschrieben: Der Medienkonzern nahm hier seinen Anfang und auch die Wiege des Nachrichtenmagazins Der Spiegel stand dort. Auch die heutige Geschäftsleitung hat ein Faible für innovative Architektur. Hinter dem Anzeiger-Hochhaus ließ sie von Stararchitekt Alessandro Mendini ein neues Gebäude entwerfen. Dort residiert bereits seit einigen Monaten die Madsack Supplement GmbH. In einigen Monaten wird die Neue Presse, neben der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung Madsacks zweite Tageszeitung in Hannover, dort einziehen. Nah den Wurzeln des Konzern, verlässt die Neue Presse quasi zeitgleich mit dem Umzug auf der anderen Seite den sicheren Hafen des Mutterhauses.
Dienstleister gleich Kunde
Noch befinden sich die Redaktionen der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ), der Neuen Presse (NP) und der Heimatzeitung genauso wie der Verlagsbereich und die Druckerei unter dem Dach der Verlagsgesellschaft Madsack GmbH & Co. KG. Die NP und die Heimatzeitung, in der die regionalen Beilagen zusammengefasst sind, sollen jedoch in Kürze in Kommanditgesellschaften (KG) umgewandelt werden. Die Verlagsgesellschaft fungiert dann für sie nur noch als Holding. Dies ist aber erst der Anfang: In den kommenden vier Jahren plant die Geschäftsleitung weitere Unternehmensteile in eigene Gesellschaften zu überführen. Wie viele es schlussendlich sein werden, soll noch nicht feststehen. Dies wurde der Belegschaft auf einer Betriebsversammlung Mitte März mitgeteilt.
Die Inhalte will Madsack künftig crossmedial verwerten, also im Online- und im Printbereich, im Hörfunk aber auch im TV. Die Einzelunternehmen sollen auf ihren „Märkten“ freier, wendiger und schneller agieren können. „Sie sollen Dienstleister und gleichzeitig Kunden sein“, fasst Rainer Butenschön, Betriebsratsvorsitzender von Madsack die Rolle dieser neuen Gesellschaften zusammen: „Die Holding lässt die Puppen an der langen Leine tanzen.“ Dies könnte zum Beispiel bedeuten, dass die HAZ, nicht mehr die eigene Anzeigenabteilung beschäftigt, sondern eine Fremdfirma, wenn deren Angebot günstiger ist. „Der Markt kommt näher ins Haus“, beschreibt Butenschön die Pläne.
Auf den ersten Blick handelt es sich um Auslagerungen, wie sie fast alle Verlagshäuser in den vergangenen Jahren praktiziert haben. Bei Madsack liegt der Fall jedoch anders: Kostendumping durch simples Outsourcing steht bei den Hannoveranern nicht im Vordergrund. Stattdessen wurde in den vergangenen fünfzehn Jahren der digitale Workflow (computergestützte Steuerung von Arbeitsvorgängen) im gesamten Konzern optimiert. Bereits seit Mitte der 90er Jahre können zum Beispiel die Kunden am heimischen PC ihre Anzeigen aufgeben oder die Zeitung für die Urlaubszeit abbestellen. „Das Abrechnungsprocedere läuft vollautomatisch“, sagt Rainer Butenschön. Madsack nahm damit eine Vorreiterrolle ein, die Branche schaute fasziniert zu und seit einigen Jahren ziehen die anderen Verlagshäuser nach.
Straff durchorganisiert, mit exakt rationalisierten Arbeitsschritten konnte Madsack die Kosten im Konzern radikal senken und die Zahl der Arbeitsplätze von 1.600 im Jahr 1992 auf heute ca. 870 fast halbieren. Im Geschäftsbericht 2005 heißt es: „Mit einem Konzern-Jahresüberschuss von 54,2 Mio. Euro (Vorjahr 46,0 Mio. Euro) konnte dennoch ein sehr zufrieden stellendes Konzernergebnis erwirtschaftet werden. Die Ergebnissteigerung basiert im Wesentlichen auf der guten Entwicklung von Konzerngesellschaften sowie langfristig angelegten Kostensenkungen vor allem im Personalbereich und bei den Produktionsprozessen.“
Steigender Leistungsdruck
Doch diese Variante ist ausgereizt, die Betriebs- und Personalkosten können in dem perfektionierten System nicht entscheidend weiter gesenkt werden. Die Geschäftsführung läutet mit der Holding deshalb den nächsten Schritt für noch mehr Effizienz ein und holt den Wettbewerb der Märkte ins Haus. Wie der passgenau abgestimmte digitale Workflow nach den Ausgründungen aufrecht erhalten werden kann, ist bisher noch nicht geklärt.
Der Betriebsrat befürchtet, dass durch die Aufspaltung der Leistungsdruck steigen wird. Zudem könnte die neue Strategie im Einzelfall auch schief gehen. Deshalb fordern die Arbeitnehmervertreter nicht nur die Übernahme sämtlicher Betriebsvereinbarungen für alle neuen Unternehmen sowie Qualifizierungsangebote für die Beschäftigten und das Recht auf Weiterbeschäftigung im Konzern, wenn Entlassungen drohen.
Die Geschäftsleitung hat auf der Betriebsversammlung zugesagt, dass die beiden neuen Gesellschaften den Arbeitsgeberverbänden beitreten werden. Damit wären sie tarifgebunden. ver.di und DJV fordern die Tarifbindung für alle Ausgründungen. Die Gewerkschaftsmitglieder aus dem Betrieb haben eine betriebliche Tarifkommission gewählt, die die Frage der Betriebsaufspaltung mit der Geschäftsleitung verhandeln soll. Beim Berliner Verlag konnte auf dem Weg eines Konzerntarifvertrages einiges erreicht werden, als dieser von Finanzinvestoren gekauft wurde.
Weniger Freistellungen
Dass die Verlagsgesellschaft zerlegt wird, lässt sich jedoch nicht verhindern. Deshalb beobachtet Rainer Butenschön die Entwicklung mit Sorge. „In den aufgespaltenen Betrieben werden weniger als 200 Beschäftigte tätig sein“, erklärt er. „Dies bedeutet am Ende pro Betrieb weniger Betriebsratsmitglieder und vorerst keine Freistellungen.“ Zwar bleibt der bisherige Betriebsrat im Amt, aber fünf der Arbeitnehmervertreter sind bei der Heimatzeitung und der Neuen Presse beschäftigt, die dann ausscheiden würden. Spätestens wenn alle neuen Gesellschaften gegründet sind, soll es nach dem Willen der Geschäftsleitung den Betriebsrat in der bisherigen Form nicht mehr geben. Dagegen verfolgen ver.di und der Betriebsrat das Ziel einer gemeinsamen Interessenvertretung.