Rückblick in Dresden: Vier Wochen Streik

Es war ihr Streik. Teilnehmer erinnerten sich.
Foto: Lilith Grull

In Dresden trafen sich am 22. November alte Weggefährten: Solche, die 20 Jahre zuvor den „längsten Vollstreik in der deutschen Redaktionsgeschichte“ führten, wie es in einem Erinnerungsheft heißt. Gemeinsam mit ihren Kolleg*innen kämpften sie damals gegen Outsourcing bei Druckvorstufe und Lokalredaktionen der Sächsischen Zeitung und für die Rechte von Medienschaffenden in ihrer Region. Durchaus mit Erfolgen.

Es war ein Montag, an dem Mitarbeiter der Redaktion der Sächsischen Zeitung (SZ) gemeinsam auf die Straße gingen, der 22. November 1999. Doch eigentlich begann alles viel früher. Es begann, als der Verlag Gruner+Jahr den Plan machte, die Druckvorstufe der Zeitung auszugliedern, im Oktober 1996. Schon damals sprachen sich die Beschäftigten dagegen aus und die Geschäftsführung musste einlenken. So begann ein langer Kampf, der sich drei Jahre durch alle Verlagsebenen und bis auf die Straßen Sachsens zog.

An der Grenze der Belastbarkeit

Im November 2019 sind also viele alte Bekannte zusammengekommen. Einige waren schon lange nicht mehr in den Räumen des ver.di-Gewerkschafts-Hauses in Dresden. 1999, zu Hochzeiten, dienten ihnen ebendiese Räume als Streikbüro, Versammlungsort und Wärmestube. Auf den weißen Tischen liegt heute die Broschüre zum Protest aus und an Aufstellern hängen die Titelbilder der 13 Streikausgaben, zwei Jahrzehnte alt. Man sucht sich auf den Fotos aus einer Zeit, die lange zurückliegt liegt, aber noch längst nicht vergessen ist. Andere fehlen an diesem Abend, denn manche, die mal für die SZ im Freistaat gearbeitet haben, hat es sie in die Ferne gezogen, auf Rügen etwa oder nach Österreich.

„Wir waren an der Grenze der Belastbarkeit“, erinnert sich Bernd Köhler, damals Betriebsratsvorsitzender der SZ und Konzernbetriebsratsvorsitzender von Gruner+Jahr. „Aber wenn man etwas ändern will, muss man etwas tun.“ 1996 lagen bei mehreren Zeitungen die gleichen Pläne auf dem Tisch wie beim Verlag in Dresden: Abteilungen zusammenlegen und so die Lokalredaktionen in der Fläche optimieren. In den 1990ern boomte der Print-Anzeigenmarkt zwar noch und auch der Wettbewerb zwischen Druck- und Online-Inhalten war noch nicht groß – aber die lokale Branche brach langsam und stetig immer mehr ein. Auch wegen der Privatisierung der Post und der folgenden neuen Vertriebslogistik der Verlage.

Ausgliederungsüberlegungen schienen vor diesem Hintergrund vielleicht nicht ungewöhnlich: Real aber bedeuteten sie vor allem, dass es keine Tarifbindung für die Redakteure mehr geben würde, dass Abteilungen und so auch Inhalte komprimiert werden müssten. Für viele Verlags- und Redaktionsmitglieder der SZ stand dieser Schritt außer Frage.

Problempunkte bleiben gleich

In der Veranstaltung erinnert man sich heute, dass man damals bis 4 Uhr morgens an Strategien arbeitete, um Inhalte und Arbeitsplätze zu guten Konditionen zu bewahren. Für ordentliche Arbeitsbedingungen setzt sich auch einer ein, der damals wohl noch in den Kinderschuhen steckte: Daniel Herold, ver.di-Bezirksleiter Sachsen West-Ost-Süd, schlägt den Bogen zum Aktuellen. Für ihn blieben die Kämpfe die gleichen: die einen hätten das Geld, die anderen die Arbeit. Nur der Zahn der Zeit, der Wandel, das sei der Kontext. Herold selber ist Teil davon, denn er informiert sich kaum noch über lineare Medien, sagt er. Neue Kommunikationsplattformen rückten immer mehr in die Haushalte und verdrängten die klassischen Medien. „Aber das sind nicht automatisch Plattformen für journalistische Inhalte“, sagt er. „Öffentlich schreiben kann heute jeder, aber das macht noch niemanden zum Journalisten.“ Verändertes Konsumverhalten sei hinzugekommen, meint Herold, doch die Finanzfrage sei immer noch allgegenwärtig. Die Ansprüche von Redaktionen an ihre Angestellten hätten sich verändert.

Faire Bezahlung?

Kurz ist es ruhig im Raum. „Ich arbeite nur noch 24 Stunden die Woche. Mein junger Kollege ist in Vollzeit mit offiziellen 40 dabei“, sagt Thomas Morgenroth, SZ-Lokalredakteur in Freital-Pirna. Doch gäbe es da eine Schieflage: „Wir arbeiten trotzdem beide für etwa das gleiche Geld. Hinzu kommt, dass ich mehr Urlaubstage habe als er.“

Man schweift ab, zu den miesen Konditionen für freie Autoren und Fotografen, die habe es auch schon vor zwanzig Jahren gegeben. Doch damals ging man auf die Straße. Zwar habe man – das wird immer wieder gesagt – die Entscheidung der Ausgliederung nicht rückgängig machen, doch die Bedingungen für alle Betroffenen deutlich beeinflussen können.

Am 19. Dezember 1999 wurde erreicht, dass die Ausgliederungen der Lokalredaktionen zumindest verschoben wurde. Am Ende waren sechs, nicht 18 Standorte betroffen. Außerdem griff die tarifliche Regelung, sodass die redaktionellen Rechte der Redakteur*innen gesichert blieben. Das war ein Erfolg, da sind sich alle Anwesenden einig. „Die Menschen gingen ja nicht nur für sich und die Kollegen auf die Straße“, wirft Holger Artus, Protestunterstützer und früherer Betriebsratsvorsitzender der Hamburger Morgenpost, in den Raum, „sondern auch aus Identität zum Unternehmen.“ Doch: „Das interessiert heute wohl niemanden mehr“, hatte Artus vor Beginn der Veranstaltung vermutet. Er befürchtet, dass die Diskussion in der Historie verschwinde. Vielleicht stimmt das?

Mehr nachfragen bitte

Dieser Novemberabend im Gewerkschaftshaus war einer, an dem nicht wirklich diskutiert wurde – zumindest nicht über die aktuelle Situation und was man tun könnte, um sie zu verbessern. Dass es zwar Tarifverträge für Feste und Freie gibt, sie vielerorts aber nicht eingehalten werden. Dass weiterhin Redakteursstellen reihenweise gekürzt werden, immer mehr Lokalredaktionen zusammengelegt und unbefristete Verträge oft nicht mehr aufgesetzt werden. Die Arbeitsbedingungen werden immer härter. Ja, das zumindest wurde gesagt.

Es war ein Abend, an dem alte Hasen der Branche in Erinnerungen schwelgten, wie es damals ablief. Das war ihr Kampf, den sie austrugen. Und damals, da lief es gut. Aber etwas könne man doch zur Gegenwart sagen, meinte Bernd Köhler abschließend: „Ich wünsche mir, dass die jungen Journalisten, wie damals, mehr nachfragen, statt nur zu erfahren.“ Wie hatte es zu Beginn geheißen? „Wenn man etwas ändern will, muss man etwas tun.“

 

 

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