Schwäbische Zeitung, schäbige Zeitung?

Lokalausgaben in Rottweil und Schramberg eingestellt – Maulkorberlasse und Angstklima im Leutkirchner Zeitungsverlag

Mit beispielloser Stillosigkeit hat die „Schwäbische Zeitung“ Ende Januar ihre Lokalausgabe für Rottweil und Schramberg eingestellt. Eine Woche Vorwarnung für die Angestellten, ein paar dürre Zeilen für die Leser – für den Verlag anscheinend genug an Information. Geschäftsstellen und Lokalredaktionen wurden in Windeseile dicht gemacht, Aufsehen sollte möglichst vermieden werden. Das Gegenteil wurde erreicht.

Mehrere hundert Teilnehmer fanden sich am letzten Freitag im Januar vor dem Alten Rathaus in Rottweil ein, um ihrem Unmut gegen die kurzfristige Schließung der „Schwäbischen Zeitung“ in Rottweil und Schramberg Luft zu machen: Die Information der eigenen Leser war dem Verlag gerade wenige versteckte Zeilen im eigenen Lokalteil wert; Ministerpräsident Teufel und CDU-Bundestagsabgeordneter Kauder dagegen wussten bereits vor den Angestellten Bescheid. Zur Kundgebung aufgerufen hatten die Berufsverbände dju / ver.di sowie DJV, die Organisation trug ein lokaler Unterstützerkreis. Das Zeitungshaus selbst geriet in der Rottweiler Region in den wenigen Tagen vor der Schließung ebenso wie das Konkurrenzblatt „Schwarzwälder Bote“ vor Ort durch Berichtsverbot und Unterdrückung von Leserbriefen stark ins Abseits – und vor allem gegen diese Vorgehensweise richteten sich Zorn und Protest der Bürger. Die Lokalredaktionen wurden im Gegenzug mit Solidaritätserklärungen und Sympathiebekundungen geradezu überschüttet. Erst zur Protestkundgebung entsann das Zeitungshaus sich selbst wieder seiner meinungsbildenden Aufgabe und entsandte flugs einen Regionalleiter – wenige Zeilen am Folgetag müssen angesichts der sonst strikt untersagten Berichterstattung vermutlich als umfangreiche Hintergrundinformation gewertet werden.

Geschäftsleitung und Verleger der „Schwäbischen Zeitung“ sind schon in der Vergangenheit durch wenig rücksichtsvolle Behandlung der Mitarbeiter aufgefallen. So mussten in Leutkirch und Biberach die früheren Redakteure Rogosch und Dahinten unter wenig rühmlichen Umständen den Hut nehmen – Joachim Rogosch etwa, dem Kirchenredakteur und Vater von fünf Kindern, wurde 1998 just am Heiligen Abend fristlos gekündigt (ausführliche Informationen und weiterführende Links zu beiden Fällen, die bundesweit in der Medienlandschaft Beachtung fanden, unter www.weberberg.de/abc/texte/dahinteng.html sowie www.ul-schussenried.de/Archiv/schwaz_mehr.htm).

Tarifflucht und Verlagsumbau

Erinnert sei auch an den (späteren Schließungen sehr förderlichen) Umbau der Verlagsgruppe in Einzelgesellschaften samt Tarifflucht im vergangenen Frühsommer sowie die kurzfristige Schließung der Ulmer Ausgabe im vergangenen August. Dort hatte sich kurz zuvor die Südwestpresse aus Laichingen und Laupheim zurückgezogen – Zufall oder Gebietsarrondierung?

Zur Kundgebung in Rottweil versammelten sich vom Oberbürgermeister bis zur Narrenzunft, vom örtlichen Theater über Fernsehschauspieler bis zum Stadtarchivar zahlreiche Redner und Unterstützer von Rang und Namen, die örtliche Geschäftswelt legte Unterschriftenlisten gegen die Schließung aus, die vom Rathaus in gesammelter Form nach Leutkirch an den Verlag gingen. Der Betriebsrat dankte in einer bewegenden Ansprache Leserschaft und Bevölkerung im Namen aller betroffenen Kollegen. Einen Schritt weiter ging die nachfolgende Protestkundgebung in Schramberg mit gut 50 Teilnehmern – hier wurde die „Schwäbische Zeitung“ (SZ) kurzerhand im Sarg zu Grabe getragen. Wir hoffen für alle noch bei der SZ Beschäftigten, dass aus der szenischen Metapher nicht noch in weiteren Orten gruseliger Ernst wird: Erste Gütetermine für die Betroffenen vor dem Arbeitsgericht, Klageandrohungen gegen Betreiber der Unterstützer-Website und das weiterhin winterliche Klima im Verlagshaus zeichnen ein unverändert unbescheidenes Bild von Verlegerfürst und Management, deren Printprodukt sich wohl nur noch im eigenen Untertitel als „unabhängige Zeitung für christliche Kultur und Politik“ darstellt.


Entlassen:

18 fest angestellte Mitarbeiter ebenso wie zahlreiche Freie und Austräger sind von der Zeitungsschließung betroffen


Erlassen:

Der Schließungsankündigung folgte umgehend der Maulkorb für Redaktion (Verbot jeglicher Artikel, Kommentare, Abschiedsseiten zum Thema) und Leser (Verbot von Leserbriefen, zunächst Zensur, später komplettes Abschalten der Onlineforen des Verlags) – das Konkurrenzblatt „Schwarzwälder Bote“ schloss sich der Verschweigerhaltung für einige Tage an.


Verlassen:

sind die Leser weniger als wütend – weiterhin aktiv ist das Onlineforum www.sz-go-on.de mit aktueller ehrenamtlicher Berichterstattung aus Rottweil, und nach wie vor arbeitet ein Unterstützerkreis an Konzepten für ein neues Medienforum in Rottweil und Umgebung.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

„PR-Puppen“ proben den Aufstand 

Kreative, die der Tech-Konzern OpenAI (ChatGPT, DALL-E) zu einem geschlossenen Produkttest eingeladen hatte, leakten den Testzugang kürzlich und griffen OpenAI in einem Protestschreiben öffentlich an. Sie warfen dem Unternehmen u.a. vor, sie für Marketing und PR zu missbrauchen und Art Washing zu betreiben.Eine teilnehmende Person schildert M , wie es zu dem Leak kam und was Techkonzerne künftig bei der Zusammenarbeit mit Kreativen besser machen können.
mehr »

Klimaprotest erreicht Abendprogramm

Am 20. August 2018, setzte sich die damals 15jährige Greta Thunberg mit dem Schild “Skolstrejk för Klimatet“ vor das Parlament in Stockholm. Das war die Geburtsstunde von Fridays for Future (FFF) – einer Bewegung, die nach ersten Medienberichten international schnell anwuchs. Drei Jahre zuvor hatte sich die Staatengemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) völkerrechtlich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
mehr »

Mediatheken löschen ihre Inhalte

In Zeiten von Video-on-demand, Streaming und Mediatheken haben sich Sehgewohnheiten verändert. Zuschauer*innen  gucken wie selbstverständlich Filme, Serien, Dokus oder Nachrichten online. Private und öffentlich-rechtliche Fernsehsender pflegen daher inzwischen umfangreiche Mediatheken. Sendung verpasst? In den Online-Videotheken der TV-Anstalten gibt es nahezu alle Medieninhalte, um sie zu einem passenden Zeitpunkt anzuschauen, anzuhören oder nachzulesen. Irgendwann werden sie dann aber gelöscht.
mehr »

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »