Schwarzer Tag für die Buchstadt

Bibliographisches Institut Leipzig geschlossen

Die Nachricht kam überraschend: Der Mannheimer Verlag Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG (BIFAB) verkauft zum 31.12.2008 die Markenrechte an Brockhaus sowie die Inhalte der lexikalischen Nachschlagewerke unter Brockhaus und Meyers an eine Bertelsmann-Tochter.

„Der Brockhaus kapituliert“, überschrieb die Frankfurter Allgemeine ihren Bericht über den Verkauf der „Ikone des Bildungsbürgertums“; der Leipziger Buchmesse-Chef Oliver Zille bezeichnete die Entscheidung als „schwarzen Tag für die Buchstadt“. Michael Kopp, bei ver.di Fachbereichsleiter Medien, Kunst und Industrie für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, forderte von der Politik rasches Handeln, „um diesen irreparablen Schaden für den verlegerischen und wissenschaftlichen Standort Leipzig und Sachsen zu verhindern und die Arbeitsplätze zu retten.“ Doch dafür war es bereits zu spät.
Eine Woche vor Weihnachten war den 59 Beschäftigten und dem Betriebsrat des Bibliographischen Instituts in Leipzig mitgeteilt worden, dass ihr Standort schließe, weil man die Online-Aktivitäten aufgeben werde. Erst zum Jahresbeginn 2008 war die Redaktion in Leipzig komplett auf das Online-Geschäft umgestellt worden. „Das ist uns jetzt zum Verhängnis geworden“, meinte ein geschasster Redakteur.
Die erste Verhandlungsrunde des Leipziger Betriebsrates mit dem Noch-Arbeitgeber aus Mannheim im Dezember hatte rein informativen Inhalt. In weiteren Runden im Januar ging es um Lösungen für die Beschäftigten. Die Schließung war wegen Aufgabe des Geschäftsfeldes durch BIFAB nicht zu verhindern: „Der Standort wird zum 31. Januar stillgelegt“, so Textredakeurin und Betriebsrätin Dörte Brox. Man habe sich über Abfindungen für alle Kolleginnen und Kollegen geeinigt, wolle aber über Einzelheiten nicht sprechen. Für den Fall selbstbewusster Forderungen der Beschäftigten hatte die Leitung des wirtschaftlich völlig von der Mannheimer Muttergesellschaft abhängigen Unternehmens mit der Insolvenzkeule gedroht. Auch die von Stadt und Land angebotenen Fördermittel konnten die Schließung nicht rückgängig machen, da dies die Bereitschaft der Geschäftsleitung zu wirtschaftlichen Aktivitäten am Standort Leipzig erfordert hätte. „Hier gibt es nichts mehr zu fördern“, stellte Brox ernüchtert fest. Auch am Standort Mannheim drohen Stellenstreichungen, gegen die sich der kampferprobte Betriebsrat mit seinem Vorsitzenden Michael Bauer aufbäumen wird.
Käufer der Rechte an der Marke Brockhaus und aller Brockhaus-Werke ist die wissenmedia GmbH, ein Tochterunternehmen der zur arvato AG gehörenden inmediaOne-Gruppe, die wiederum zum größten europäischen Medienkonzern Bertelsmann gehört. Die Zustimmung des Kartellamtes steht noch aus. „Das Bibliographische Institut wird sich künftig ganz auf die erfolgreichen Geschäftsfelder unter der Marke Duden und das Kalendergeschäft konzentrieren“, heißt es in einer BIFAB-Mitteilung. Doch nach dem grandiosen unternehmerischen Versagen, das die Schließung des Standortes Leipzig zur Folge hatte, liegt die Frage nahe: Wer gibt den Mannheimern eine Garantie, dass der Vorstand mit der Marke Duden nicht ein ähnliches Desaster anrichtet?
Es ist eine unselige Verquickung von Marktentwicklungen und Managementfehlern, durch die das Traditionsunternehmen mit bekannten und zugkräftigen Marken geradezu zerlegt wird.
Die BIFAB-Misere größtenteils auf die Internetkonkurrenz wie Wikipedia zu schieben, greift zu kurz: In Mannheim wollte man offenbar einen kleinen Multimedienkonzern mit einem großen Onlineportal aufbauen, das werbefinanziert Wikipedia Paroli bieten sollte. Dieser Plan schlug fehl und kurzerhand stößt das Traditionsunternehmen für Lexika und Wörterbücher eine seiner Kernmarken an den Medienmulti Bertelsmann ab. Und der nimmt diese Markenperle natürlich nur zu gern. Insider vermuten, dass in absehbarer Zeit die Adressen von wissen.spiegel.de, wikipedia.de und wissen.de unter dem Namen Brockhaus im Netz zu finden sein könnten.
www.brockhaus-enzyklopaedie.de

Weitere aktuelle Beiträge

Ressourcen für Auslandsjournalismus

Der Auslandsjournalismus in Deutschland steckt in der Krise. Die Zahl der Korrespondent*innen nimmt ab, Freie arbeiten unter zunehmend prekären Bedingungen. So geraten ganze Weltregionen aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Journalist*innen plädieren darum für eine andere Form der Finanzierung. Die gute Nachricht: Das Interesse des deutschen Publikums ist da. Dass die Menschen wissen wollen, was in anderen Ländern los ist, beweist nicht zuletzt das ARD-ZDF-Jugendangebot Funk.
mehr »

Dienstleister bestreikt den MDR

Der gestrige Streik der MCS TEAM GmbH zeigte deutliche Auswirkungen auf das Fernsehprogrammprogramm des MDR. Live-Schalten fielen aus und nicht alle Beiträge in der Sendung „Sachsen-Anhalt Heute“ konnten ausgestrahlt werden. Hintergrund des Streiks waren die bislang unzureichenden Angebote der Geschäftsführung. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fordert eine Erhöhung der Gehälter um 6 Prozent, mindestens aber um 200 Euro pro Monat, bei einer Laufzeit von 12 Monaten.
mehr »

Social Media: Mehr Moderation gewünscht

Wer trägt die Verantwortung, um etwas gegen zunehmenden Hass in den sozialen Medien zu unternehmen? Die Plattformen? Die Politik? Die Nutzer*innen? Alle drei Gruppen jeweils zu einem Drittel. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie der Technischen Universität München (TUM) und der University of Oxford. Sie zeigt auch: der Großteil der Menschen in den zehn untersuchten Ländern wünscht sich mehr Moderation bei Inhalten.
mehr »

Faktenchecks und Alternativen

Hat Mark Zuckerberg, der Chef des Meta-Konzerns, einen Tabubruch begangen? Anfang Januar verkündet er das Ende der Faktenchecks in den USA für Facebook und Instagram. Beide Social-Media-Plattformen gehören zu Meta. Es stellt sich die Frage, ob nun auch das Ende der Faktenchecks in Europa und damit in Deutschland droht. Die Gesetzeslage liefert hier keine Eindeutigkeiten. Aber was könnte Facebook in diesem Zusammenhang von Wikipedia lernen?
mehr »