Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) gerät in diversen europäischen Ländern zunehmend unter Druck. Das gilt auch für Deutschland, erst recht seit den Enthüllungen über mutmaßliche Vetternwirtschaft und Beitragsverschwendung beim Rundfunk Berlin-Brandenburg. Als Hebel dient den Kritiker*innen meist die Finanzierung der Sender. Die Instrumente sind: Mittelkürzungen oder die Ersetzung der Beitrags- durch eine Steuerfinanzierung. Zum Beispiel in Frankreich und Großbritannien.
Frankreich: Kosten für den Rundfunkempfang lediglich verlagert
Im Präsidentschaftswahlkampf hatte Macron es versprochen, Ende Juli 2022 war es so weit: Mit 165 Stimmen von Mitte- und Rechtsparteien gegen 57 Stimmen der Linken hob die französische Nationalversammlung die Rundfunkgebühr auf. Von der Regierung wurde dieser Beschluss als „Stärkung der Kaufkraft“ der Franzosen in schwierigen Zeiten angepriesen. Eine Mogelpackung, kritisiert die Linke. Denn tatsächlich werden die Kosten für den Rundfunkempfang einfach verlagert. Künftig wird das bisherige Budget des ÖRR – derzeit 3,85 Milliarden Euro – aus der Mehrwertsteuer entnommen. Die Bürger finanzieren ihre Sender weiter, wenn auch nur indirekt.
138 Euro jährlich zahlt derzeit jeder Haushalt mit Geräten, die den Empfang von Fernsehprogrammen ermöglichen. Der reine Radioempfang ist gebührenfrei. Von den 28 Millionen französischen Haushalten berappen heute nur noch 23 Mio. die Gebühr – ausgenommen sind Menschen ohne TV-Gerät und sozial Bedürftige. Diese sogenannte „Wohnsteuer“ wird 2023 abgeschafft, was eine Neuordnung der Senderfinanzierung notwendig macht. Mit dem neuen Modell werden dann alle Steuerzahler*innen zur Kasse gebeten. Ganz unlogisch erscheint der Systemwechsel nicht: Im digitalen Zeitalter können Radio und TV auch ohne herkömmliche Empfangsgeräte genutzt werden. Aus eben diesem Grund wurde schließlich auch in Deutschland 2013 die gerätebezogene Gebühr durch den aktuell gültigen Haushaltsbeitrag ersetzt.
Betroffen sind die TV-Sender von France Télévisions und die Radioprogramme von Radio France. Vor der Wahl hatte Macron eine Generalreform der Sender propagiert und angekündigt, „eine Art französische BBC“ schaffen zu wollen. Debattiert wurde unter anderem eine Fusion von France Télévisions und Radio France mit dem Ziel, die digitale Präsenz der Gruppe massiv auszubauen. Eine gemeinsame Redaktion und Newsplattform der Beschäftigten von Radio und TV, so das Kalkül, könne mehr Schlagkraft gegenüber den großen US-Plattformen entfalten. Die Gewerkschaften dagegen fürchten im Gefolge einer Fusion eher Arbeitsplatzverluste.
Die politische Rechte würde den ÖRR am liebsten privatisieren. Der Wegfall der Gebühr läuft aber nicht auf eine Privatisierung hinaus, eher auf eine Art verdeckte Verstaatlichung. Denn über den Staatshaushalt hat die Regierung mehr Einfluss auf die Sender als über die bisherige Wohnsteuer. Sender, die Macron auch schon mal als „Schande der Republik“ geschmäht hatte. Um die Kritiker zu beschwichtigen, hatte Macron im Wahlkampf in Aussicht gestellt, das Budget für die Sender künftig über einen mehrjährigen im Haushalt festgelegten Finanzierungsplan abzusichern.
Die Betroffenen bleiben skeptisch. „Wenn der Staat die Hand auf dem Budget für die Programme hat, dann ist das der Versuch der Politik, Einfluss zu nehmen, zu sagen, diese Programme sind gut und diese nicht“, argumentierte Matthieu Darriet von der französischen Journalistengewerkschaft SNJ gegenüber dem ARD-Studio Paris. Aus diesem Grund organisierte die SNJ bereits im Juni Proteststreiks, da sie „populistische und verheerende“ staatliche Interventionen befürchtet. Auch die französische Kulturszene lief Sturm gegen das Vorhaben Macrons. Mit der Abschaffung der Rundfunkgebühr werde die Unabhängigkeit des ÖRR verspielt, die Kontrolle an die Politik ausgeliefert.
Unklar ist einstweilen auch, was die Regierungspläne für den deutsch-französischen Gemeinschaftssender ARTE bedeuten. Falls es zu Einsparungen gegenüber dem jetzigen Rundfunkbeitrag komme, sei auch der französischen 50-Prozent-Anteil am ARTE-Etat gefährdet, fürchten Kritiker. Eine direkte staatliche Alimentierung von ARTE, aber auch der anderen französischen Rundfunkanstalten ist eine Abkehr von staatsfernen Medien“, moniert ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz. Damit wachse die Gefahr, „dass aus der Administration in Paris und nach der politischen Farbe von Regierungsparteien Einfluss auf das Programm genommen werden könnte“.
Großbritannien: Gelder für BBC eingefroren
Ein Dorn im Auge ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch den britischen Tories. Gern hätte Ex-Premier Boris Johnson schon während seiner Amtszeit die ihm verhasste BBC abgewickelt. Wie anderswo ist die Rundfunkgebühr der Hebel, um medienpolitisch Tabula rasa zu spielen. Schon im Januar kündigte die Regierung an, die Licence Fee der BBC ab 2027 zu streichen. Bis dahin sichert die so genannte Royal Charter die bedarfsgerechte materielle Ausstattung. Danach soll ein alternatives Finanzierungsmodell eingeführt werden.
In einem Zwischenschritt hat Medienministerin Nadine Dorries die Licence Fee schon mal für die nächsten zwei Jahre eingefroren. Gegenwärtig liegt sie bei 159 Pfund oder rund 190 Euro pro Jahr. Das ergibt jährliche Einnahmen von rund 4,3 Milliarden Euro. Der Rest des 5,6 Mrd. Euro-Etats wird weitgehend über Programmverkäufe erzielt. Im Inland betreibt die BBC zwölf Radio- und 14 Fernsehsender. Nach 2024 soll die Licence Fee nach den jetzigen Plänen nur noch marginal erhöht werden. Laut BBC-Berechnungen läuft das auf Mindereinnahmen in Höhe von umgerechnet rund 640 Millionen Euro hinaus. In der Konsequenz drohen massive Einschnitte im Programm und Personalabbau. Bereits in den vergangenen 18 Monaten hat der Sender ca. 1.200 Arbeitsplätze abgebaut, ein Fünftel davon im redaktionellen Bereich. Die nächste Entlassungswelle könnte erneut bis zu 2.000 der aktuell etwa 22.000 Beschäftigten treffen.
Medienministerin Dorries – sie nahm 2012 an der britischen Variante der Dschungel-Show („I’m a Celebrity… Get me out of here!“) teil – steht der BBC äußerst feindselig gegenüber. Wie ihr Förderer Johnson geißelt sie regelmäßig deren angeblich „mangelnde Objektivität“. Ihre Attacke auf die nationale Institution BBC wurde von Tory-kritischen Medien als Nebelkerze interpretiert, mit der von Johnsons Popularitätsknick im Gefolge der Enthüllungen über Lockdown-Parties in der Downing Street abgelenkt werden sollte. Ein Schachzug, der bekanntlich nicht funktionierte. Punkten wollen die Konservativen auch mit der „Entkriminalisierung einer Nichtzahlung der TV-Gebühr“. Eine Straffreiheit für Gebührenverweigerer würde allerdings das Finanzierungsmodell der BBC untergraben.
Mit dem seit September 2020 amtierenden BBC-Generaldirektor Tim Davie hatte Johnson einen ihm genehmen Intendanten inthronisiert, der offenbar bereit ist, die Kahlschlagpolitik der Tories nach Wunsch zu exekutieren. Ende Mai dieses Jahres verkündete Davie eine großangelegte Senderreform, deren Hauptelemente Personalabbau und Umschichtungen ins Digitale sind. „Digital First“ heißt die Parole, nach der die altehrwürdige BBC umgebaut werden soll. Ziel: Mehr Effizienz durch Zusammenlegungen und Investitionen in neue kommerzielle Projekte.
Konkret heißt das: BBC World und BBC News fusionieren zu einem Sender, wodurch 70 Beschäftigte voraussichtlich ihre Jobs verlieren. BBC Four und die Kinderkanäle CBBC sowie CBeebies mutieren zu Online-Angeboten. Linear ausgestrahlt werden weiterhin die beiden Hauptprogramme BBC 1 und BBC 2; der Kulturkanal BBC 3 war schon 2016 ins Internet gewandert. Außerdem kündigte Davie Investitionen in Höhe von 300 Mio. Pfund an, um den Digital-First-Ansatz voranzutreiben. Gedacht wird etwa an neue Programme für den iPlayer (die britische Variante der Mediathek).
„Ich glaube an eine öffentlich-rechtliche BBC für alle, die angemessen finanziert, für alle relevant, universell verfügbar ist und im On-Demand-Zeitalter wächst“, beteuerte Generaldirektor Davie Ende Mai in einer programmatischen Rede auf einer Belegschaftsversammlung. Wie jenseits solcher Schlagworte die BBC künftig organisiert sein könnte, liegt jedoch nach wie vor im Dunkeln. Einige Medienpolitiker*innen setzen perspektivisch auf ein Abo-Modell analog zu Streaming-Diensten wie Netflix. Sollte ein solches Modell realisiert werden, wäre die BBC in ihrer bisherigen Verfassung allerdings nicht überlebensfähig. Das Prinzip des „public value“, bei dem neben massenattraktiven Angeboten auch solche für Minderheiten offeriert werden, würde auf diese Weise ausgehebelt.
Schweiz: SRG trotz Einsparungen weiter unter Druck
Vor vier Jahren war die Schweizer Bevölkerung aufgerufen, über die Zukunft der öffentlich-rechtlichen SRG abzustimmen. Die sogenannte „No Billag“-Initiative, unterstützt vor allem von Rechtsparteien und den meisten Printverlagen, hatte das Ziel ausgegeben, die Rundfunkgebühren abzuschaffen. Ein Erfolg dieser Initiative hätte vermutlich zum Aus für die SRG geführt – zumindest in der bisherigen Form. Die Attacke endete mit einem überwältigenden Bekenntnis der Schweizer*innen zu „ihrem“ Rundfunk: 71,6 Prozent der Wähler stimmten damals für eine Beibehaltung der Gebühren.
Noch am Tag des Plebiszits kündigte SRG-Generaldirektor Gilles Marchand umfassende Reformen an, darunter eine Senkung der Gebühren sowie Sparmaßnahmen. Diese Versprechen sind inzwischen weitgehend erfüllt. Die Gebühren liegen inzwischen bei 335 (vorher 365) Franken pro Jahr und Haushalt. Auch die Zusage, innerhalb von zwei Jahren an die 100 Millionen Franken einzusparen, wurde realisiert. Dieser Sparkurs wird trotz Corona-bedingtem Einbruch der Werbeeinnahmen fortgesetzt. Das geht nicht ohne Einschnitte im Programm: Einige Sendungen wie „Viva Volksmusik“ oder „Einstein Spezial“ wurden gestrichen, viele Kulturformate vom Analogen ins Digitale verschoben. Auswirkungen auf die Beschäftigten bleiben dabei nicht aus. Bis 2024 will der Sender 250 der insgesamt 5.500 Arbeitsplätze abbauen – möglichst über natürliche Fluktuation. Eingelöst wurde auch das Vorhaben, 50 Prozent der Gebühreneinnahmen in Informationsprogramme zu stecken.
Manchen SRG-Gegnern reicht das noch nicht. Nach den Vorstellungen einer Gruppe um Marco Chiesa, den Präsidenten der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) sollte der Senderverbund noch einmal um fast die Hälfte schrumpfen, durch Halbierung des aktuellen Gebührenvolumens von 1,2 Milliarden auf 700 Millionen Franken. Gegen dieses Ansinnen („No-Billag 2“) hat sich inzwischen ein breites Bündnis „Pro Medienvielfalt“ gegründet.
Österreich: Gebührenfreier ORF-Empfang via Internet verfassungswidrig
Gute Nachrichten gab es zuletzt für den österreichischen ORF. Mitte Juli entschied der nationale Verfassungsgerichtshof (VfGH), der bisher mögliche gebührenfreie Empfang von ORF-Programmen via Internet sei verfassungswidrig. Derzeit müssen Nutzer*innen, die über kein Radio- oder TV-Gerät verfügen, laut Rundfunkgebühren-Gesetz keine Rundfunkgebühren und laut ORF-Gesetz somit auch kein Programmentgelt zahlen. Diese Koppelung, so der VfGH, sei jedoch verfassungswidrig. Denn die Finanzierung über Programmentgelt sichere die gebotene Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Der ORF hatte in seiner Verfassungsbeschwerde argumentiert, durch die aktuelle Regelung werde sein Recht auf Rundfunkfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Denn die Anzahl der Personen, die ORF-Inhalte ausschließlich streamen und daher keine Gebühren entrichten, wächst kontinuierlich an. Diese „Streaminglücke“ gefährdet tendenziell die Finanzierungsbasis des Senders, schließlich machen Gebühreneinnahmen etwa zwei Drittel des rund eine Milliarde Euro hohen ORF-Umsatzes aus. GIS-pflichtige Haushalte (die „Gebühren Info Service GmbH“ entspricht etwa der früheren deutschen GEZ) müssen derzeit 18,59 Euro pro Monat an Programmentgelt bezahlen. Zu diesem Betrag addieren sich noch Gebühren und Abgaben an Bund und Länder. Die gesamten ORF-Gebühren liegen somit nach Darstellung des ORF zwischen 22,45 und 28,65 Euro.
Bis 2024 muss eine gesetzliche Neuregelung gefunden werden. Für die amtierende Regierungskoalition aus ÖVP und Grünen eine heikle Situation, da jede finanzielle Zusatzbelastung einzelner Bevölkerungsgruppen aufgrund der aktuellen Inflation äußerst unpopulär erscheint. Es deutet einiges darauf hin, dass es zu einer grundlegenden Reform der Rundfunkfinanzierung kommt. Denkbar wäre – analog zum deutschen Modell – die Ablösung der gerätebezogenen Gebühr durch eine – günstigere – Haushaltsabgabe. Die andere diskutierte Option ist eine Steuerfinanzierung aus dem Bundeshaushalt.