Streichkonzert bei Stuttgarter Zeitungen

Viele Leser*innen - auch noch nach der nächsten Sparrunde in der Zeitungsgruppe Stuttgart. Foto: Horst Rudel

Bei der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“, soll erneut gespart werden. Bis Jahresende sollen bis zu 55 Stellen in der Verlagsgruppe wegfallen, die zur Südwestdeutschen Medien Holding (SWMH) gehört. Verkauft wird dieser Kurs als Umstrukturierung nach einem ganz neuen Modell mit dem Fokus auf Digitalabos. Alle Ressorts werden abgeschafft. Themen-Teams liefern die Artikel. Lokale Berichterstattung wird minimiert. 

Der journalistischen Qualität soll dieses Vorgehen keinen Abbruch tun, heißt es aus der Geschäftsleitung, die vorige Woche die Belegschaft informierte. Nach eigenen Angaben reagiere die Zeitungsgruppe Stuttgart (ZGS) mit dem Programm „einerseits auf die starken Wachstumsmöglichkeiten im Internet und andererseits auf die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, etwa durch den Rückgang der Anzeigen im Zuge der Corona-Pandemie sowie steigende Papierpreise“. Die Beseitigung von Doppelstrukturen solle dazu beitragen, bei gleichbleibend hoher journalistischer Qualität Kosten zu senken. Als Sparziel machen rund sechs Millionen Euro die Runde.

Scharfe Kritik an den Plänen kommt von ver.di. Die Gewerkschaft befürchtet einen tariflosen Zustand, wenn Lokalredaktionen in einer neuen Gesellschaft zusammengelegt werden, in die auch Technik und zentrale Dienste integriert werden. Zudem würden alle Leser*innen der unterschiedlichen Zeitungen im Stadtgebiet Stuttgart dann den gleichen Inhalt erhalten. Der gesamte Stellenabbau werde nach ver.di-Einschätzung über zwanzig Prozent ausmachen.

ver.di fordert, beim jetzt verkündeten Abbau auf absolute Freiwilligkeit zu setzen. „Freiwillig heißt aber nicht, dass jemand eine Abfindung einer für ihn ungeeigneten Stelle vorziehen muss. Die Beschäftigten der Zeitungsgruppe stehen nicht nur für guten Journalismus. Sie wissen auch am besten, was die Leserinnen und Leser interessiert. Es ist Zeit, sie bei der Suche nach der Zeitung der Zukunft endlich einzubeziehen“, sagte ver.di-Konzernbetreuer Uwe Kreft. „Lokale Berichterstattung ist das wichtigste exklusive Alleinstellungsmerkmal und Bindeglied zu den Abonnent*innen. Wer hier die Axt anlegt, verletzt sich selbst. Es braucht natürlich Investitionen ins Digitale. Für Qualität braucht es aber auch hier guten und tariflich bezahlten Journalismus. Die Probleme dürfen nicht mit Personalabbau und Tarifflucht gelöst werden.“

Der Betriebsrat verweist darauf, dass bei der letzten Umstrukturierung – nicht nur in den Redaktionen – insgesamt bereits 100 Arbeitsplätze abgebaut wurden. Bereits 2015/16 wurden die Redaktionen der „Stuttgarter Zeitung“ und der „Stuttgarter Nachrichten“ in einer eigenständigen Tochterfirma zusammengelegt, die von da an beide Blätter herausgab, mit 35 Vollzeitstellen weniger. Gleichzeitig sollten unterschiedliche Digitalangebote forciert werden. Viele Redakteur*innen redeten damals vom „Stuttgarter Irrweg“, wie M berichtete. „Jetzt folgen weitere Sparmaßnahmen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Michael Trauthig. „Wir halten es für fatal, dass es wieder zu einem großen Aderlass kommen soll. Der Betriebsrat befürchtet zudem, dass die geplante Abschaffung der Ressorts die Zukunft der Redaktion gefährdet und das Image der Zeitungen beschädigt.“ Ebenso besorgt ist der Betriebsrat wegen der geplanten Reduzierung der lokalen Berichterstattung. Wie schon zuvor habe der Arbeitgeber versichert, dass die Stellen sozialverträglich abgebaut würden und dass man auf betriebsbedingte Kündigungen „soweit wie möglich“ verzichten wolle. Die Geschäftsführung müsse nun in den Verhandlungen zeigen, dass es ihr ernst mit dieser Ankündigung sei. „Das bedeutet: attraktive Abfindungskonditionen vereinbaren und vor allem mit dem Betriebsrat über Alternativen zum Abbau verhandeln.“


Mehr lesen Kontext:Wochenzeitung: Auflösung einer einst stolzen Zeitung

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Entlarven und kontern auf TikTok

Rechte und Rechtsextreme verfügen über große Reichweiten auf sozialen Medien, insbesondere auf TikTok. Dort trenden populistische Inhalte und fremdenfeindliche Hashtags. Dagegen regt sich immer mehr Widerstand. Politiker*innen und Institutionen wollen das digitale Feld nicht der AfD überlassen. Doch warum gelingt es den Demokratiefeinden dort offenbar so mühelos, junge Menschen anzusprechen? Antworten erhoffen sich Nachwuchsjournalist*innen der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft mit ihrem Medienprojekt „Im rechten Licht“.
mehr »

Schon entdeckt? InZeitung

„Das grundsätzliche Problem, dass Menschen mit Migrationsgeschichte nicht zu Wort kommen, gibt es immer noch“, konstatiert Viktoria Balon, Chefredakteurin der InZeitung. Die wurde 2010 in Freiburg vom dortigen Migrationsbeirat gegründet. Das interkulturelle Redaktionsteam mit Autor*innen aus über 40 Ländern will die Freiburger Bevölkerung für Vielfalt und unterschiedliche Perspektiven in der Gesellschaft sensibilisieren. 
mehr »

Weiterbildung für Lokaljournalist*innen

Das Lokaljournalistenprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und das VOCER Institut für Digitale Resilienz beschäftigen sich mit neuen Anforderungen und Risiken im Digitalen. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) veränderten die Medienlandschaft in nie gekanntem Tempo, heißt es in der Ausschreibung für das Weiterbildungsprogramm. Es zielt auf Lokaljournalist*innen in redaktionellen Schlüssel- und Führungspositionen. 
mehr »

Beschäftigte von ARD-Sendern streiken

ver.di hat die Beschäftigten der ARD-Rundfunkanstalten NDR, WDR und SWR für den 12. März zu Streiks für Einkommenserhöhungen aufgerufen. Die ARD-Verhandler*innen verweigern bisher Angebote für Tariferhöhungen. Sie zögern die Verhandlungen hinaus, zuletzt in der zweiten Verhandlungsrunde beim Südwestrundfunk in Stuttgart am 9. März. Frühestens für Ende April wurde im SWR ein beziffertes Angebot in Aussicht gestellt. Auch in  anderen ARD-Sendern gibt es bisher keine Verhandlungsfortschritte, heißt es in der Pressemitteilung.
mehr »