Überraschung!

Springer auf knallhartem neuen Kurs von Print in Richtung Digital

Springer steigt aus, der WAZ-Konzern steigt ein. Auf diese kurze Formel lässt sich eine der größten Transaktionen bei den nationalen Printmedien bringen. Mit einem Volumen von 920 Mio. Euro und 900 Festangestellten bei den betroffenen Zeitschriften, Zeitungen und auch Anzeigenblättern geht es allerdings um vielmehr – eine Analyse.

Medienforscher Horst Röper ist Chef des Formatt-Instituts in Dortmund. Foto: privat
Medienforscher Horst Röper ist
Chef des Formatt-Instituts in
Dortmund.
Foto: privat

Für Branchenbeobachter völlig überraschend hat der Springer-Konzern acht Publikumszeitschriften sowie seine letzten Regionalzeitungen verkauft. Ist Springer-Chef Mathias Döpfner der letzte 68er? Jedenfalls hat er das erreicht, was den 68ern nicht gelungen ist, eine wesentliche Reduktion von Springers Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung. „Enteignet“ hat Döpfner den Konzern allerdings nicht, sondern für einen stattlichen Erlös gesorgt.
Der einst einflussreichste deutsche Medienverlag verfügt national nur noch über Bild und Welt sowie deren Ableger, insbesondere die Sonntagszeitungen. Daneben werden noch einige Zeitschriften mit der Marke „Bild“ im Titel herausgegeben. Zwei Frauentitel sowie sämtliche TV-Zeitschriften (Hörzu, TV Digital, Funk Uhr, Bildwoche, TV neu) werden verhökert. Ausgerechnet an den Springer-Standorten, Berlin und Hamburg, werden auch die letzten Regionalzeitungen verkauft: Die Berliner Morgenpost, das Hamburger Abendblatt und die kleine Bergedorfer Zeitung.
Döpfner zieht seinen Kurs weiter knallhart durch: Er verkauft mit den Printmedien die frühere Basis des Konzerns und setzt voll auf das digitale Geschäft. Dass die Mehrheitsaktionärin Friede Springer sogar dem Verkauf des Hamburger Abendblatts und der Hörzu zugestimmt hat, zeigt die Neuorientierung. Beide hatte Axel Cäsar Springer einst gegründet und damit das Fundament für ein schnelles Wachstum gelegt. Nun zählt Tradition nicht mehr.
Wenn die Angaben von Springer zum Umsatz und Ebitda der verkauften Titel stimmen, hat der WAZ-Konzern einen hohen Preis bezahlt. 920 Mio. Euro entsprechen fast dem zehnfachen des Ebitda bei einem Umsatz von gut 500 Mio. Euro. 260 Mio. Euro des Kaufpreises stundet Springer zunächst. Für den Essener Konzern, der bisher nur selten mit dem neuen Titel Funke-Gruppe bezeichnet wird, stellt auch die restliche Finanzierung keinen Pappenstiel dar. Petra Grotkamp, eine der Töchter des WAZ-Mitgründers Funke, hatte erst im letzten Jahr die Mehrheit am Konzern übernommen und den Zukauf finanziell nur mit Schwierigkeiten gestemmt. Dass der Konzern nun schon zu einem solchen Big-Deal in der Lage ist, überrascht gleichfalls. Bei den Mitarbeitern des WAZ-Konzerns löste er blanke Wut aus. Sie müssen seit Jahren einen Sparerlass nach dem anderen vollziehen. Bei der Westfälischen Rundschau wurde in diesem Jahr sogar die gesamte Redaktionsmannschaft entlassen. Nun wissen sie wozu: Die Expansion muss bezahlt werden.
Kein Wunder, dass bei den betroffenen Springer-Mitarbeitern Entsetzen ob des künftigen Arbeitgebers herrscht. Der Deal soll, wenn das Bundeskartellamt zustimmt, Anfang nächsten Jahres vollzogen werden. Für die ersten Jahre danach hat Springer zu Gunsten seiner Noch-Mitarbeiter eine Bestandssicherung verhandelt. Wie diese umgesetzt werden soll, ist allerdings in Teilen völlig offen. Hamburger Abendblatt und Berliner Morgenpost sind redaktionell eng verknüpft mit der Welt. Die Morgenpost hat keine eigenständige Redaktion mehr. Die Welt könnte auch künftig den überregionalen Teil liefern, während die Morgenpost-Redaktion den Berliner Lokalteil der Welt zuliefert.
Wegen der Ertragsschwäche der Welt dürfte Springer am Bestand der redaktionellen Kooperation hohes Interesse haben. Für die Pfennigfuchser in Essen gilt das ohnehin. Die unter den Mitarbeitern aufgekommene Besorgnis, dass die Welt demnächst auch für andere WAZ-Titel den Mantel liefern wird, ist allerdings überzogen. Von Berlin aus die überregionale Berichterstattung für Zeitungen in NRW, Niedersachsen und Thüringen zu gestalten, ist nicht machbar. Kooperationen könnten allerdings ein Ziel sein.
Das Abendblatt und die Bergedorfer Zeitung wirtschaftlich lukrativ zu führen, wird dem WAZ-Konzern keine Probleme bereiten. Die Marktposition ist nicht nur in Hamburg, sondern auch in weiten Teilen Schleswig-Holsteins oppulent. Im wettbewerbsintensiven Berliner Markt ist das weit schwieriger.
Bei den Zeitschriften sieht das anders aus. Die Springer-Titel passen ideal ins Sortiment des WAZ-Konzerns, der in München eigene Frauen- und Programmtitel verlegt. Die WAZ-Titel sind als „Billigheimer“ in der Regel im unteren Marktsegment angesiedelt, die Springer-Titel darüber. Bei den Programmzeitschriften würde der WAZ-Konzern nach Berechnungen von meedia.de aufschließen zum traditionellen Marktführer, dem Bauer-Konzern. Die Kartellrichter könnten an dem faktischen Duopol – mit kleinen Marktanteilen von Burda (TV Spielfilm) – Anstoß nehmen. Ein Verbot der Übernahme einzelner Titel scheint möglich.
Offen bleibt zunächst auch, was Springer mit der vollen Kriegskasse unternehmen wird. Investitionen in digitale Geschäfte auch außerhalb des Journalismus sind wahrscheinlich. Das Interesse an der Scout-24-Gruppe der Deutschen Telekom ist ungebrochen. Derzeit steht aber auch erneut der TV-Konzern ProSiebenSat.1 zum Verkauf. Daran hatte Döpfner einst großes Interesse, scheiterte aber medien- und kartellrechtlich. Zumindest die medienrechtlichen Bedenken sind nach den Verkäufen der letzten Jahre reduziert. Der Preis für die Fernseh-Gruppe ist allerdings immens gestiegen. Auch Investitionen in Zeitungen sind denkbar. So könnte sich der Kredit an die WAZ in Luft auflösen, wenn Springer deren Anteile an den österreichischen Titeln Krone und Kurier bekäme. An diesen Titeln hat Springer schon lange Interesse. Und die WAZ war schon mal verkaufswillig. Andere Auslandsengagements sind bereits verkauft worden. In der gemeinsamen Pressemitteilung zum großen Deal spricht die Funke-Gruppe vom Aufbau eines „nationalen Medienhauses“.

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