Produzenten im Dilemma zwischen Auftragschance und mangelnder Finanzierung
Die deutsche Film- und Fernsehproduktion ist durch eine große Kleinteiligkeit geprägt. Insbesondere kleine und unabhängige Produzenten können keine langfristigen Beschäftigungsgarantien geben. Selbst das eigene Überleben ist alles andere als sicher. Für Produzenten ist die Unsicherheit Teil der Jobbeschreibung; die Beschäftigten akzeptieren sie ebenfalls und streben offenbar keine Veränderung an.
„Nennen Sie mir die Branche, die total sicher ist. Bei Ihnen wird das doch auch nicht anders sein“, steigt eine TV-Produzentin in das Gespräch ein und wird sofort konkret: „Wer Sicherheit haben will, muss was Anderes machen. In dieser Branche gilt: ganz oder gar nicht.“ Wie andere Gesprächspartner_innen möchte sie nicht mit Namen genannt werden, um sich nicht unnötigen Fragen und Kommentaren aussetzen zu müssen. Denn was gerade die Fernsehbranche auszeichnet, ist eine hohe Fluktuation, Lebendigkeit, ein großes Einzelkämpferwesen aber auch ein komplexes Geflecht aus persönlichen Beziehungen.
Das bestätigt Matthias von Fintel, Tarifsekretär Medien beim ver.di-Bundesvorstand, und greift auf das Beispiel Stefan Raab zurück. Durch den Rückzug des Moderators erhielt die Situation der Beschäftigten bei Fernsehproduktionen 2015 eine über die Branche hinausgehende Aufmerksamkeit. Brainpool, die Produktionsfirma von Raab, entließ 80 Mitarbeiter_innen mit der Begründung, dass man sie aufgrund fehlender Aufträge nicht weiter beschäftigen könne. ver.di bot den Betroffenen damals Unterstützung an. „Die wurde abgelehnt“, erzählt Matthias von Fintel. „Die Beschäftigten schrecken häufig davor zurück, sich zu organisieren. Man hört zwar viel Verärgerung über die Situation, aber gemeinsam etwas dagegen zu unternehmen, macht man letztendlich doch nicht.“ Fintel führt dies darauf zurück, dass man es sich aufgrund der häufig wechselnden Arbeitsverhältnisse nicht mit potenziellen Auftraggebern verscherzen möchte und womöglich auf schwarzen Listen landet. Allerdings betont Fintel auch, dass es sehr wohl engagierte Filmschaffende gebe, die auf Tarif-Vereinbarungen und Arbeitsschutz pochten, doch die seien in erster Linie bei fiktionalen Produktionen zu finden. Mittlerweile produziert Brainpool wieder einige Sendungen, ob dafür auf frühere Mitarbeiter_innen zurückgegriffen wurde, war nicht zu erfahren, da die Bitte für ein Hintergrundgespräch ignoriert wurde.
„Für ‚Volksvertreter – die Show zur Bundestagswahl’ im ZDFNeo mit Jo Schück haben wir zahlreiche neue Teammitglieder eingestellt“, erzählt Geschäftsführer Stefan Wieduwilt. Einige davon seien von Produktionsfirmen gekommen, die zuvor Sendungen eingestellt hatten. Bei Wieduwilt TV gebe es ein fest angestelltes Stammteam, das möglichst auch in mageren Zeiten dabei bleibt. „Ich will mir deren Kreativität erhalten“, sagt Wieduwilt und fügt hinzu: „Andere Produktionsfirmen machen es übrigens kaum anders.“
Abhängig von dem Format sind die Chancen auf Anschlussprojekte ohnehin relativ gut, weil so viel produziert wird. Im Bereich Factual Entertainment werden Mitarbeiter_innen sogar händeringend gesucht. Das stärkt die Position der Jobsuchenden. Grundvoraussetzungen sind dabei jedoch immer Zuverlässigkeit und die Qualität der abgelieferten Arbeitsergebnisse. Wer da einen Namen in der Branche hat, hat es definitiv leichter. Und wer so gut durchkommt, möchte auch nicht fest angestellt werden, weil er dann letztlich weniger verdient. Andererseits werden oft Pauschalistenverträge vergeben, die zeitlich begrenzt sind, um Scheinselbständigkeit zu verhindern. Dabei kommt es gelegentlich zu absurden Konstruktionen, die bei genauerem Hinsehen aber genau das sind. Auch dass die meisten Jobs in der Film- und TV-Industrie weisungsgebunden sind, spiegelt sich in der Art der Beschäftigungsverhältnisse nicht notwendigerweise wider. In der Ende 2015 erhobenen Studie „Die Situation der Film- und Fernsehschaffenden 2015“ des Verbands „Die Filmschaffenden“ wird festgehalten, dass 26 Prozent der bundesweit Befragten ausschließlich und 21 Prozent vorwiegend im Angestelltenverhältnis beschäftigt waren. Ausschließlich freiberuflich tätig waren 30 Prozent, 14 Prozent vorwiegend. Insgesamt arbeiteten laut Studie 2015 in der Branche 35.802 Personen in unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen, deren Lage von den Machern der Studie als „überaus prekär“ bezeichnet wird. Denn nur 39 Prozent der Befragten konnten ihren Lebensunterhalt zu 100 Prozent aus ihrer Kerntätigkeit bestreiten. 16 Prozent der Befragten bezogen gar staatliche Unterstützung /ALG.
Gerade im Doku-Bereich ist es nicht unüblich, dass Produktionsfirmen nur aus ein, zwei Leuten bestehen, die dann aber auch alles selber machen und nur selten jemanden dazu holen, der bei Recherche und Drehrealisation hilft. Der Grund dafür ist, dass zu wenig bezahlt wird. Arte etwa gibt für eine Dokumentation 85 bis 90.000 Euro. Hört sich viel an, ist es aber nicht, da davon nicht nur Reisen und andere Drehnebenkosten bezahlt werden müssen, sondern die gesamte Produktion, inkl. Lizenzrechten für Archivmaterial.
Für Dokumentarfilmer gibt es kaum mehr Möglichkeiten Projekte zu realisieren, weil die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Sendeplätze dafür zusammenstreichen oder in die Nacht verlegen. Gleichzeitig wächst für diese Plätze die Konkurrenz, die zusätzlich einer mainstreamtauglichen, von den Redaktionen vorgegebenen Ästhetik unterworfen sind. So entsteht eine ungute Mischung aus Unterfinanzierung, einem schwindenden Absatzmarkt, eingeschränkter Kreativität sowie einer Verdrängung komplexer gesellschaftlicher Themen aus der allgemeinen Aufmerksamkeit. „Dokumentationen sind wie Altenpflege – jeder weiß, sie sind enorm wichtig für Entwicklung und Fortbestand unsere Gesellschaft, aber es gibt für sie weder Anerkennung noch werden sie ausreichend unterstützt“, sagt ein betroffener Produzent.
In Deutschland gibt es laut Produzentenallianz rund 1.600 Produzent_innen für Kinofilm, fiktionale und nicht-fiktionale TV-Produktionen jeglicher Couleur. Davon machen viele auch Web-Produktionen, aber mit denen ist selten Geld zu verdienen. Von diesen 1.600 Produzenten stuft die Produzentenallianz (PA) 350 als relevant an. Das heißt, sie produzieren regelmäßig ein Volumen, das die Firma trägt. 200 dieser relevanten Produzenten sind Mitglied der PA, die übrigens insgesamt 243 Mitglieder hat. Kleine, unabhängige Produzent_innen sind darauf angewiesen, dass ihre Leute in der Pitch-Phase, wenn Projekte einem Sender vorgestellt werden, mitziehen. Stefan Wieduwilt nennt ein erfolgreiches Projekt auf 20 Vorschläge, deren Konzepte alle finanziert werden müssten. „70 bis 80 Prozent der Arbeit machen kleine Firmen umsonst“, sagt der Dok-Film-Produzent. „Dieses Geld geht für Vorgespräche, Recherche, Konzepte und Akquise drauf und wird in den Honoraren und Budgets der Sendungen immer weniger berücksichtigt.“ Ein großes Problem ist auch die Wartezeit auf eine verbindliche Zusage. Große Firmen können diese Strecken aus ihren laufenden Umsätzen finanzieren. Kleine Firmen haben nichts, wenn sie nicht produzieren. Für sie ist es auch schwieriger an Projekte zu kommen, weil neue Kunden lieber mit ihnen schon bekannten oder großen Produzenten arbeiten wollen.
Der Vorteil kleiner Firmen ist, dass sie günstiger produzieren, weil ihr Overhead kleiner ist und es keine Mutterfirma gibt, die die Hand aufhält. Kleine Firmen sind mitunter kreativer, weil sie nur mit Eigenentwicklungen reüssieren können. Große Firmen haben neben Eigenentwicklungen noch Lizenzproduktionen der Mutterfirmen. „Wir brauchen die großen Tanker, aber auch die kleinen Manufakturen“, sagt die bereits zu Textbeginn zitierte TV-Produzentin und schöpft daraus die Zuversicht, dass die Branche immer etwas für diejenigen bereithalte, die wach genug seien, es zu greifen.
Studien online
www.die-filmschaffenden.de/system/files/Studie%20Filmschaff_FINAL_JL.pdf
Dossier zur FORMATT-Studie über die Film- und Fernsehproduktion in Deutschland auf M Online: filmproduktion-kleinteilig-mit-hoher-konzentration-32959