Verschlanken nach Flensburger Art

Schweriner Volkszeitung vor schmerzlichen Personaleinschnitten

Die große Angst geht um bei der mit einer täglichen Auflage von 111.500 Exemplaren starken Schweriner Volkszeitung (SVZ)! 1995 noch sorgte man überregional für Schlag­zeilen, als das Blatt als erste deutsche Ta­geszeitung mit einer Online-Ausgabe auf den Markt kam. Elf Jahre später drohen dem traditionellen Zeitungshaus nach der im Mai 2005 erfolgten Übernahme durch den Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (sh:z/Flensburg) die schmerzlichsten Personaleinschnitte seit Bestehen.

Die Belegschaft soll nach Plänen aus Flensburg möglichst bis zum Jahresende von 340 um 100 Stellen verschlankt werden. 25 Arbeitsplätze in der Druckerei und in der Weiterverarbeitung sind bereits zum Jahreswechsel weggefallen, Ende Januar folgten 26 Kündigungen für Redaktions­sekretärinnen, Hersteller und im Redaktionsarchiv.
Der erste Flensburger Akt nach der Übernahme war die Installation einer neuen Doppelspitze in Person von Geschäftsführer Bernd Bleitzhofer und Chefredakteur Thomas Schunck. Es gab Gespräche zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung des neuen Eigentümers, dem Mutterhaus sh:z. Ergebnisse davon waren ein Interessenausgleich und ein Sozialplan. Altersteilzeit, Vorruhestand und Jobsharing sollen das Schlimmste verhindern. Für den Betriebsratsvorsitzenden Roland Zaharzewski ist das die bislang schwierigste Mission in 15 Jahren Betriebsratsarbeit. Für ihn gilt: Er muss um jeden einzelnen Arbeitsplatz kämpfen, mit allen Mitteln.

Fragwürdige Versprechungen

Mit neuer Technik hielt im vergangenen Jahr der Arbeitsplatzabbau Einzug ins sechsgeschossige Verlagshaus an der Gu­tenbergstraße. Das gilt für die Druckerei wie für den Bereich Anzeigensatz und Bildbearbeitung. Noch im Herbst des Vorjahres wurde die Druckerei modernisiert, dieses Jahr soll das beim sh:z genutzte Redaktionssystem N-Gen auch in Schwerin eingeführt werden. Doch auch im Redaktionsumfeld will das neue Mutterhaus aus Flensburg straffen. So werden Stellen in Sekretariaten, bei den Anzeigenblättern, im Archiv und beim Endlayout wegfallen. Da liegt es auf der Hand, dass über vermeintlich zu nutzende Synergieeffekte sinniert wird. Ein erster möglicher Testballon in dieser Richtung könnte in der Re­daktion die Berichterstattung rund um die Fußball-Weltmeisterschaft sein.
Am unmittelbaren SVZ-Redaktionspersonal soll laut sh:z-Geschäftsleitung vorerst keine Hand angelegt werden. Ebenso wenig soll, wenn man den Verlautbarungen aus Flensburg Glauben schenken darf, am Druckstandort Schwerin gerüttelt werden. Doch alle wissen beispielsweise, dass das hochmoderne sh:z-Druckzentrum in Büdelsdorf zurzeit ge­rade einmal zu 65 Prozent ausgelastet ist. Sonderbeilagen, Kollektive im Vordruck und einzelne Anzeigentitel werden nämlich schon nicht mehr in Mecklenburg-Vorpommern gedruckt. Und in der Schweriner Redaktion ist auch bekannt, dass Flensburg 2004 mit eisernem Besen knapp 30 sh:z-Redaktionsstellen abgebaut und der Sportredaktion per Outsourcing im Vorjahr schlechtere Arbeitsverträge verpasst hat. Mehrarbeit wird auf jeden warten, wandern doch höchstwahrscheinlich die digitale Fotobearbeitung und Archivierung in Redakteurshände.
Nach Bekanntwerden des „sh:z-Kahlschlagsprogramms“, so ver.di-Fachbereichs­sekretärin Sieglinde Heyl, hatte ver.di scharfen Protest angemeldet. Alle Landtagsabgeordneten erhielten ein persönliches Informationsschreiben zur Thematik, und diese Art von Sensibilisierung blieb nicht folgenlos.

Redaktionsstatut im Gespräch

Die Veränderung der Zeitungslandschaft, die in Mecklenburg-Vorpommern eigentlich ohnehin nur aus Ostseezeitung, Nordkurier und SVZ besteht, hat die Landespolitik auf den Plan gerufen. Die SPD fürchtet einen nachhaltigen Einschnitt in die publizistische Vielfalt im Land, aber auch Verluste an Qualität der Berichterstattung in den Tageszeitungen. Sie sorgte dafür, dass es im Landtag Mitte November vergangenen Jahres zu einer diesbezüglichen Anhörung vor dem Innenausschuss kam. Quintessenz waren Überlegungen bei der SPD, das Landespressegesetz dahingehend zu ändern, dass neben der durch die Herausgeber zu gewährleistenden Außenpluralität auch mit einem Re­daktionsstatut ein Stück Binnenpluralität erreicht wird. Der medienpolitische Sprecher der Sozialdemokraten, Siegfried Friese, möchte, dass die Redakteure ein Mitspracherecht erhalten, wenn es um ureigenste Belange wie journalistische Standards geht. Ob das bis hin zu Personalfragen gehen sollte, ist auch hier umstritten.
Dass in dieser aktuellen innerbetrieblichen Krisensituation im März Betriebsratswahlen anstehen, hat auch etwas Gutes: „Die Wahlbeteiligung dürfte diesmal bestimmt höher sein als in den letzten Jahren“, blickt Zaharzewski voraus.

 

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