Wie Madsack den Osten eroberte

1990 Halle an der Saale. West-Medien-Konzerne drängen in den Ost-deutschen Markt, hier der Express aus Köln. Verkauft wird aus dem Motorrad-Beiwagen. Foto: Paul Glaser

Zukäufe brachten die Hannoveraner auf Rang fünf der größten Zeitungshäuser

Kaum ein anderes Medienhaus hat von den neuen Zeitungsmärkten in der ehemaligen DDR langfristig so stark profitiert wie die in Hannover an-sässige Verlagsgesellschaft Madsack. Im Jahr 2018 belegte die Mediengruppe mit ihren 15 regionalen Tageszeitungen laut Horst Röpers Unter-suchung zur Pressekonzentration in Deutschland den fünften Rang unter den zehn auflagenstärksten Verlagsgruppen. Und das vor allem dank des hohen Absatzes von Leipziger Volkszeitung, Ostsee-Zeitung und Märkische Allgemeine, alle drei ehemalige SED-Parteizeitungen.

Wie für alle anderen Zeitungsverlage in der Bundesrepublik war der Mauerfall auch für Madsack vor allem ein Glücksfall. Der westdeutsche Zeitungsmarkt war weitestgehend konsolidiert, im südlichen Niedersachsen, dem Stammgebiet des 1892 als „Hannoverscher Anzeiger A. Madsack & Co.“ gegründeten Verlags, war Wachstum kaum noch möglich. Recht schnell steckte das Zeitungshaus deshalb seine Fühler gen Osten aus und betätigte sich damit erstmals außerhalb der niedersächsischen Landesgrenzen. Gemeinsam mit DuMont/Schauberg betrieb Madsack in Erfurt, Gera, Leipzig und Magdeburg das Boulevard-Blatt Neue Presse Express, eine Neugründung, zusammengeführt aus Ablegern der Hannoveraner Neuen Presse und des Kölner Express. 1992 zog sich Madsack jedoch aus der Unternehmung zurück und auch die deutlich abgespeckte Express-Folgeversion, die dann unter dem Titel Mitteldeutscher Express firmierte, machte 1995 dicht. Ebenfalls 1992 schlossen die Niedersachsen die nach dem Mauerfall neu gegründete Magdeburger Allgemeine Zeitung.

Das Tor nach Osten öffnet sich

Wesentlich erfolgreicher als mit Neugründungen konnte sich Madsack dagegen auf dem ostdeutschen Zeitungsmarkt mit Zukäufen bereits bestehender Titel etablieren. Als die Treuhandanstalt im Frühjahr 1991 die DDR-Regionalzeitungen – die ehemaligen SED-Bezirkszeitungen – zum Verkauf anbot, sicherte man sich einen 50 Prozent-Anteil an der „Leipziger Volkszeitung“ (LVZ), die mit einer Auflage von 379.000 zu den zehn auflagenstärksten Tageszeitungen im wiedervereinigten Deutschland gehörte. Miteigner wurde der Springer-Konzern. Zuvor hatte sich Madsack bei der LVZ bereits als Kooperationspartner engagiert, sodass die Übernahme wenig überraschend war. Überhaupt ging es bei der Verteilung der großen Ost-Regionalzeitungen nur wenig überraschend zu. „Im Osten nichts Neues“ titelte die M-Vorgänger-Publikation „Kunst und Publizistik“ damals zu den Zeitungsverkäufen an die bekannten Großverleger aus dem Westen. Für Madsack war die Aufteilung des ostdeutschen Zeitungsmarkts dagegen der Beginn des Aufstiegs zu einem der führenden deutschen Medienkonzerne. Zunächst blieb der Griff des Hannoveraner Verlags nach Osten aber auf Sachsen beschränkt, wo man sich nach der LVZ-Übernahme mit dem Erwerb der „Dresdner Neuesten Nachrichten“ – vormals „Sächsische Neueste Nachrichten“ – 1992 (ebenfalls gemeinschaftlich mit Springer) sowie dem Bau eines Druckhauses am Leipziger Stadtrand 1993 jedoch eine mehr als solide Startposition verschafft hatte. Zumal der Verlag bereits frühzeitig auch in Anzeigenblätter und Rundfunksender investierte.

Nachdem Madsack den Sprung in die Riege der zehn größten deutschen Verlagsgruppen vollzogen hatte, konzentrierte man sich in den 90ern durch mehrere Zukäufe vor allem auf die Gebietsarrondierung im Stammland Niedersachsen, wo die Marktposition deutlich verbessert werden konnte. Erhebliche Auflagenverluste erlitt das Medienhaus dafür bei den Ost-Zeitungen, die Auflage der LVZ betrug im Jahr 2.000 nur noch 323.000 Exemplare. Die große Zeitungskrise aufgrund einbrechender Werbeeinnahmen ab 2001 dann hat Madsack ohne größere Probleme überstanden und im Gegenteil dank weiterhin hoher Gewinne für die Expansion in den benachbarten hessischen Zeitungsmarkt genutzt.

Schleichende Osterweiterung

Den Blick erneut nach Osten richtete die Mediengruppe erst im Jahr 2009, fast 20 Jahre nach dem erstmaligen Markteintritt. Mal wieder spielten Madsack die äußeren Umstände in die Hände: Um sich auf Bild und das Digitale zu konzentrieren, beschloss die Springer AG, sich aus dem Regionalzeitungsmarkt zurückzuziehen und verkaufte ihre Beteiligungen an die Hannoversche Verlagsgruppe. Neben den zweiten 50 Prozent an der LVZ, dessen alleinige Eigentümerin Madsack nun wurde, zählten dazu etwa auch Anteile an den Kieler Nachrichten. Der wohl bedeutendste Teil des Deals war aber die Mehrheitsbeteiligung an den Lübecker Nachrichten, die ihrerseits wiederum von Springer ebenfalls 2009 die zweite Hälfte der Ostsee-Zeitung (OZ) erworben hatten. Damit wurde Madsack auch Mehrheitseigner der Rostocker OZ, die 1991 von der Treuhandanstalt gemeinschaftlich an Springer und die „Lübecker Nachrichten“ (LN) verkauft worden war. Gemessen an der Auflage avancierte das ehemalige „Zentralorgan“ der SED-Bezirksleitung Rostock mit 147.100 Exemplaren im Jahr 2010 zum drittstärksten Titel der Madsack Mediengruppe. Madsack selbst wurde mit einem Schlag auf Rang sechs der größten Zeitungshäuser katapultiert.

Geräuschlos vollzog sich diese Übernahme allerdings nicht – weder für den Konzern noch für die Beschäftigten. Wegen der Bankenkrise gerieten die Hannoveraner in Finanzierungsschwierigkeiten, schafften es aber dennoch, die 310 Millionen Euro für den Deal aufzubringen. Bei einem Jahresumsatz von 500 Millionen Euro im Jahr 2009 keine Peanuts. Dass dafür anderswo gespart werden würde, war schnell klar. So hatte etwa die Geschäftsleitung der neuen Madsack-Töchter LN und OZ quasi umgehend den mehrjährigen Verzicht auf Jahresleistung und Urlaubsgeld gefordert sowie angekündigt, den Bereich der Anzeigenproduktion tariffrei auszulagern oder fremd zu vergeben. Nur dank mehrerer Warnstreiks und Proteste war es ver.di damals gelungen, einen Beschäftigungssicherungstarifvertrag zu verhandeln, der den Mitarbeiter*innen im Anzeigensatz zunächst die Weiterbeschäftigung garantierte – allerdings bei einer reduzierten Wochenarbeitszeit von 30 Stunden.

Auflagenherr über den Osten

Immer deutlichere Konturen nimmt zu dieser Zeit die hannoversche Konzernstrategie an: „Madsack verfolgt konsequent eine zweigleisige Strategie“, analysierte Medienforscher Horst Röper in Media Perspektiven 10/2014. „Mit den Zeitungsverlagen werden Unternehmen übernommen, die in ihren jeweiligen Verbreitungsgebieten lokal führend sind […] Eine umfassende Marktführerschaft ist das erklärte Ziel. Das zweite strategische Ziel des Konzerns sind Skalen-effekte. Auf allen Ebenen sollen über hohe Mengengerüste Stückkostenvorteile erzielt werden.“

Dazu passte der Deal mit Springer. Dazu passt auch der Deal mit der FAZ-Gruppe zwei Jahre später, mit dem sich Madsack endgültig als auflagenstärkstes Medienhaus im Osten etablieren kann. Als die Hessen die 1991 von der Treuhandanstalt erworbene Märkische Allgemeine (MAZ) loswerden wollten, um sich auf das Kerngeschäft um die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu konzentrieren, überlegten die Niedersachsen nicht allzu lange und schlugen zu. Mit der ehemaligen SED-Zeitung für den Bezirk Potsdam Märkische Volksstimme hatte sich der Konzern ganz nach Madsack-Art die mit 15 Lokalausgaben und 136.000 verkauften Exemplaren größte Zeitung Brandenburgs einverleibt. Das reichte für den Sprung auf Platz fünf im nationalen Ranking der größten Mediengruppen.

Einheit statt Vielfalt

Die MAZ passte hervorragend ins strategische Konzernkalkül von Kostenoptimierung durch Zentralisierung und Vereinheitlichung von Masse – auch im -redaktionellen Bereich. Dabei setzt der Konzern wie andere auch auf die Mehrfachverwertung journalistischer Arbeit – natürlich ohne diese auch mehrfach zu vergüten. Bereits seit 2010 belieferte ein Berliner Korrespondenten-Pool mit seinen Berichten unter anderem die LN, die Hannoversche Allgemeine Zeitung oder die LVZ. Seit 2013 übernimmt das in weitaus größeren, nämlich konzernweiten Dimensionen das Tochterunternehmen RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit einem Newsroom in Hannover sowie der Hauptstadtredaktion RND Berlin. Von hier aus werden überregionale Inhalte nicht nur für die konzerneigenen, sondern auch die Tageszeitungen anderer Verlage produziert.

Die Einrichtung des RND gehörte zum ebenfalls 2013 verkündeten Sparprogramm „Madsack 2018“, mit dem Konzern-Chef Thomas Düffert insgesamt 44 Millionen Euro einsparen wollte und die schon seit längerem vorangetriebene Konzernstrategie der Zentralisierung in allen Bereich sozusagen institutionalisierte. Dass dabei mit Fragen der Tarifbindung und der Sozialverträglichkeit nicht gerade zimperlich umgegangen wurde, gehört seitdem zum Madsackschen Markenkern. „Die im Konzern bis dahin gepflegte soziale Verantwortung wurde aufgegeben“, kommentierte Horst Röper das Sparprogramm, wunderte sich jedoch zugleich, dass „Tarifflucht, Stellenabbau und betriebsbedingte Kündigungen zwar konzernweit zu Diskussionen und Disputen mit den Mitarbeitern, auch zu Demonstrationen und befristeten Streiks an einzelnen Standorten“ geführt hätten, „nicht aber zu Arbeitskämpfen im Gesamtkonzern, die man in Anbetracht der Tradition des Konzerns und des Umfangs der Kürzungen erwarten könnte“.

Neue Umwälzungen avisiert

War 2018 das Ende des einen, so soll 2019 der Beginn eines neuen Sparprogramms sein, kündigte Unternehmenschef Düffert Anfang dieses Jahres intern an. Grund dafür sei das schlechte Anzeigenjahr 2018. Mit „Madsack next“ stehen den Beschäftigten möglicherweise neue gravierende Umwälzungen ins Haus. So habe Düffert angekündigt, hört man aus dem Unternehmen, verstärkt in die Digitalstrategie und den Digital Hub in Hannover sowie weitere Zukäufe investieren zu wollen. Wer das alles bezahlen soll, steht wohl außer Frage.

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Die unendliche Krise des RBB

Der Schock sitzt nach wie vor tief. „2025 wird ein Schicksalsjahr für den RBB“, so die unfrohe Botschaft von Intendantin Ulrike Demmer Ende Januar auf einer Informationsveranstaltung vor der fassungslosen Belegschaft. Was folgte, war ein radikales Sanierungsprogramm für den Sender. Insgesamt 22 Millionen Euro will die Geschäftsleitung am Personal- und Honoraretat einsparen. Das entspricht 10,2 Prozent der bisherigen Aufwendungen und ziemlich genau 254 Vollzeitstellen.
mehr »

Gleichstellung im Journalismus

Lag vor 10 Jahren der Frauenanteil im Journalismus noch bei knapp über 40 Prozent, sind mittlerweile 44 Prozent der Journalist*innen weiblich. Das hat das Leibniz-Institut für Medienforschung ermittelt. In wenigen Jahren kann man möglicherweise von einem Gleichstand sprechen, was die Anzahl der Journalistinnen betrifft. Doch Frauen verdienen auch in den Medien noch immer weniger als Männer. Politischer und gewerkschaftlicher Druck sind noch immer notwendig.
mehr »

Danica Bensmail: „Widerstände spornen an“

Danica Bensmail hat am ersten März das Amt der dju-Bundesgeschäftsführung übernommen. Ein Gespräch mit „der Neuen“ über kaltes Wasser, die Bedeutung von Paarhufern für Diversity in den Medien und Treppengeländer. Danica Bensmail ist erst wenige Wochen im Amt – eine kleine Ewigkeit und ein Wimpernschlag zugleich. „Die ersten 48 Stunden waren ein wenig wie der sprichwörtliche Wurf ins kalte Wasser“, sagt Danica und lacht. Aber alles halb so wild, so eine Abkühlung belebe schließlich die Sinne.
mehr »

Mehr Vielfalt statt Einfalt im TV

Die vielfach ausgezeichnete Britcom „We Are Lady Parts“ über eine islamische Mädchen-Punkband in London ist eines der vielen Beispiele von „Diversity“-Formaten, die in der Coronazeit einen regelrechten Boom erlebten. Die neue zweite Staffel der Comedy war vor kurzem für den renommierten Diversify TV Awards nominiert. Deutsche Anwärter waren diesmal nicht vertreten.
mehr »